Die Zuverlässigkeit steigt

Ist BIM der Baustandard der Zukunft?

Interview mit Bauinformatiker Prof. Rasso Steinmann von der Hochschule München.

Building Information Modeling soll unsere Art des Bauens revolutionieren. Stimmt das? Die TiB sprach mit Prof. Rasso Steinmann dazu über die Vorzüge von BIM, die Hindernisse für eine flächendeckende Umsetzung und die praktische Umsetzung. Weiterhin ging es um Bildungsangebote zu BIM und die zukünftige Entwicklung dieser Arbeitsmethode.

Technik in Bayern: Alle reden über BIM – was sind aus Ihrer Sicht die Vorzüge?

Prof. Steinmann: Bei BIM geht es um Produktivität und darum, die Qualität zu erhöhen und die Risiken zu senken. Die Risiken entstehen in erster Linie durch das Medium Papier, weil damit nicht alle erforderlichen Informationen übertragen werden können. Wenn ich digitale Gebäudemodelle habe, dann habe ich Daten in einer ganz anderen Qualität.

Ich kann Planungsfehler frühzeitig entdecken. Bei Papierplänen ist das Auffinden von Kollisionen doch sehr schwierig – denken Sie nur daran, wenn Sie Pläne der Gebäudetechnik mit der Architektur überlagern, dann ist alles ziemlich schwarz. Im Modell kann ich nach einzelnen Klassen und Gewerken filtern.

Anderes Beispiel: heute werden Mengen noch immer einzeln ausgemessen und in Exceltabellen nachgehalten. Wenn dann Änderungen kommen, muss ich diese wieder nachfassen.

TiB: Das würde bedeuten, es läuft auf eine Verbesserung der Qualität, der Kommunikation und auf Kostensicherheit hinaus?

Steinmann: Ja, und BIM ist wichtig für die Entscheidungsunterstützung im ganzen Bauablauf. Änderungen auf der Baustelle werden zeitnah in die Planung zurückgespiegelt. Die Zuverlässigkeit steigt und beispielsweise bei der Kollisionsverhinderung kann man den Nutzen klar erkennen.

TiB: Was sind die größten Hindernisse für eine flächendeckende Umsetzung?

Steinmann: Sehen Sie sich die Zahlen an: Nur etwas mehr als 10 % der Bauingenieure und Architekten wenden BIM an. Etwa 60 % geben an, Sie hätten wenigstens eine Ahnung davon, aber mehr als 20 % haben noch nie etwas von BIM gehört. Die Gründe sind vielfältig, aber der Entscheidende ist, dass Sie mit BIM ganz anders arbeiten müssen. Damit gehen eine ganze Reihe von Fragen einher: Wie kalkuliere ich meine Arbeit und mit welchen Stundensätzen kann ich rechnen? Wie stellt sich das in den Verträgen dar, wenn ich Planungsschritte nach vorne ziehe und möglicherweise andere den Vorteil haben? Wie mache ich dem Auftraggeber klar, dass er durch diese Arbeitsweise weniger Risiken und damit auch Vorteile hat?

Wenn ich planerische Leistung früher erbringe, dann muss ich mich auch früher für bestimmte Bauteile und Materialien entscheiden. Insbesondere die Architekten wollen das zu diesem frühen Zeitpunkt noch gar nicht, denn sie sind oft noch gar nicht in der Formfindung. Auch kann es bei einer sehr frühen Festlegung durch die fixen Parameter dazu kommen, dass ich nicht mehr herstellerneutral ausschreiben kann.

Man muss verstehen, dass man mit BIM nicht plant, um ein Dokument zu erzeugen, sondern ein Datenmodell, mit dem man etwas anderes tun kann. Hier sind wir in einer Lernkurve.

TiB: Besteht nicht auch Unsicherheit in Hinblick auf die Haftung?

Steinmann: Sie haben Recht: In einem Plan kann ich manche Bauteile, die haftungsrelevant sind, auch mal „Wischiwaschi“ darstellen. Das wirft natürlich ein Haftungsrisiko auf. Ein digitales Gebäudemodell ist dagegen wesentlich transparenter und ich muss dafür Sorge tragen, dass das, was ich nachprüfbar abliefere, auch eine entsprechende Qualität hat. Dazu gibt es aber entsprechende Tools, mit denen ich Gebäudemodelle prüfen kann. Ein Vorteil, denn einen Papierplan kann ich nur mit dem Auge prüfen. Hier kann man also sein Haftungsrisiko durch bessere Qualitätskontrolle sogar mindern.

TiB. So ein BIM-Modell ist relativ schnell relativ konkret. Das bedeutet doch auch, dass sich der Bauherr sehr früh festlegen muss. Ist das nicht ein großes Problem?

Steinmann: Wie konkret ein BIM-Modell wirklich ist, ist Übungssache. Ich glaube tatsächlich, dass heute die Dinge viel zu früh sehr konkret modelliert werden, im Sinne des Detaillierungsgrades in traditionellen Planmaßstäben – einer Verfahrensweise, die noch aus der Zeit des Plänezeichnens kommt. Das BIM-Forum in USA veröffentlicht in regelmäßigen Updates Handreichungen zur praktischen Umsetzung der „Level of Developments”, also der Informationstiefe in bestimmten Phasen. Dies sehe ich als eine der Aufgaben bei der Standardisierung.

TiB: Wie sehen Sie die Möglichkeit, einen einheitlichen Datenstandard – vergleichbar mit dem Standardleistungsbuch – zu etablieren?

Steinmann: Wenn Sie das Standardleistungsbuch oder das Leistungsverzeichnis (LV) mit BIM zusammenbringen wollen, gibt es dazu eine DIN-SPEC, in der gezeigt wird, wie man das IFC-Format mit LV verknüpfen kann. Hier ist der Weg, dass das grundsätzlich möglich ist, schon vorgezeichnet. Leider wird IFC heutzutage noch nicht in vollem Umfang unterstützt, was daran liegt, dass wir die Anforderungen an den Informationsaustausch noch nicht hinreichend definiert haben (IFC = Industry Foundation Classes sind ein offener Standard im Bauwesen zur digitalen Beschreibung von Gebäudemodellen Anm. d. Red).

Bei buildingSMART* haben wir eine Definitionsmöglichkeit die ausdrückt, wie man IFC zweckgebunden einsetzen kann. Damit kann aus dem großen IFC-Modell jeweils ein anwendungsspezifischer Teil identifiziert werden, z.B. für die Koordination der Planung von Architektur, Tragwerk und Gebäudetechnik. Als Nächstes müssen wir mehr dieser Anforderungen an den Informationsaustausch definieren, wie in der VDI 2552, Blatt 11 – einer Sammlung dieser Anforderungen.

* BuildingSMART ist eine internationale nichtstaatliche Non-Profit-Organisation. Sie definiert das Austauschformat Industry Foundation Classes (IFC) zum BIM-Datenaustausch im Bauwesen

TiB: Selbst im Planungsprozess ist eine durchgängige Verwendung von BIM in der Praxis noch nicht möglich. Als sehr schwierig wird die Einbindung der Technischen Gebäudeausrüstung (TGA) gesehen. Ist das richtig?

Steinmann: Also Planungsunternehmen, die sich dem Thema BIM nähern, sagen zunehmend, dass es zwischen Architekt und Tragwerksplanern gut funktioniert. Problematisch sei immer die Einbindung der Haustechnik. Ich glaube, das liegt daran, dass Haustechnik-Ingenieure relativ lange auf der Strichdarstellung planen, und das ganze Fleisch rundum relativ spät kommt, während ein Tragwerksplaner schon ziemlich früh weiß, was er an Bewehrung braucht und wie viel Platz er braucht. Vielleicht führt das in Zukunft in der Haustechnik auch dazu, dass man die Arbeitsabläufe in der Planung der Haustechnik umstellen muss.

TiB: Stichwort Aus- und Weiterbildung: Verraten Sie uns etwas über die BIM-Kochkurse und wie man BIM-Manager wird?

Steinmann: Im Rahmen des Weiterbildungsbildungsprogramms der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau haben wir das Angebot von sog. „BIM-Kochkursen“ auf Basis der VDI 2552 Blatt 9.1. eingerichtet. buildingSMART bietet in Abstimmung mit dieser VDI-Richtlinie ein Ausbildungszertifikat an. Mit diesem Angebot wird man noch kein BIM-Manager, aber es ist ein Anfang. Weiterführende Angebote sind in Vorbereitung.

TiB: Ist das Nachwuchsproblem groß?

Steinmann: Oh ja, zuerst haben in der Baukrise sehr wenige junge Leute Bauingenieurwesen studiert, seit einigen Jahren zieht die Konjunktur wieder an und jetzt laufen wir in die Ruhestandslücke der geburtenstarken Jahrgänge. Das bereitet große Sorge.

TiB: Bedenken gibt es auch in Bezug auf die Bezahlung, denn mit BIM verlagern sich die Leistungen in die ersten Phasen. Müsste die HOAI** angepasst werden?

** HOAI: Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure.

Steinmann: Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen und ich denke, dass die HOAI nicht geändert werden muss, weil ja nicht explizit ausgeführt ist, wie geplant werden muss, sondern was. Werden Leistungen vorgelagert, gibt es die Möglichkeit der Abrechnung von besonderen Leistungen. Sollte das Preisrecht der HOAI vom Europäischen Gerichtshof gekippt werden, ist zu hoffen, dass uns das Verständnis der Leistungsbilder erhalten bleibt, denn das ist auch für die Umsetzung der BIM-Methodik sehr hilfreich.

TiB: Wo stehen wir in fünf Jahren mit BIM?

Steinmann: Das ist sehr schwer vorauszusagen, nachdem sich jetzt schon Firmen wie Google und Facebook dem Häuserbau widmen. Die gehen aber ganz anders an die Sache ran, denn sie wollen nicht primär den Planungsprozess optimieren, sondern sie fragen sich, wie ein Haus aussehen muss, damit sich der Mensch darin nach ihren Vorstellungen wohl fühlt und wie man diese digitale Kapsel, die sie um die Leute bilden, komplettieren kann. Das bedeutet natürlich, dass sie Planung und Bau auch selbst in die Hand nehmen. Was BIM betrifft, hoffe ich, dass wir in fünf Jahren schon einen großen Schritt weiter sind, dass wir ganz selbstverständlich mit diesen Datenmodellen arbeiten. Vielleicht arbeiten wir dann schon überwiegend mit Cloud-Servern und schicken keine Dateien mehr als Mail-Anhänge.

Das Interview führten Bernhard Fritzsche und Silvia Stettmayer.

Informationen zum VDI-Koordinierungskreis BIM

Schwerpunkt des VDI-Koordinierungskreis „Building Information Modeling“ unter Vorsitz von Prof. Rasso Steinmann (Institutsleiter iabi – Institut für angewandte Bauinformatik an der Hochschule München), ist die Identifikation von Richtlinienthemen sowie die Ausarbeitung von Stellungnahmen und Empfehlungen an die Politik und die relevanten Entscheider. Auch die Positionierung in der internationalen Regelsetzung wird vom VDI Koordinierungskreis BIM begleitet.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2018 Juli/August