Gebäudebetrieb der Zukunft

Interview mit Thomas Braun, Leiter Siemens Campus Erlangen, Siemens Real Estate (SRE) und Markus Bayerl, General Manager Siemens Headquarters

Die TiB sprach mit Thomas Braun und Markus Bayerl über den neuen Siemens Campus Erlangen. Im Interview ging es um die Gründe für den Bau des Campus und die geplante Nutzung. Zudem werden die Unterschiede zum bestehenden Standort aufgezeigt und der Einfluss auf die Bauwirtschaft durch die Planung mit BIM thematisiert.

Technik in Bayern: Die Planungen der SRE für den Siemens Campus Erlangen begannen im Jahre 2013. Welche Gründe waren ausschlaggebend für den Umbau des 1965 eröffneten Forschungsgeländes?

Thomas Braun: Der Standort des Campus Erlangen ist mit 54 ha der größte Siemens Büro-Standort weltweit. In Erlangen arbeiten insgesamt 25.000 Mitarbeiter, in der Metropolregion Nürnberg-Erlangen-Fürth sind es insgesamt sogar 45.000 – das entspricht 40 % der Siemens-Belegschaft in Deutschland. Mit der Entwicklung des Siemens Campus Erlangen stärken wir diesen Standort und bekräftigen die hohe Identität, die seit vielen Jahren zwischen Erlangen und Siemens besteht.

Auf dem neuen Campus Erlangen können wir aufgrund der Größe des Grundstückes zudem Siemens-Standorte konsolidieren, die heute noch dezentral verteilt sind. Diese freiwerdenden Gebäude in der Innenstadt bedeuten einen Riesengewinn für die Stadt Erlangen, da sich hier andere Unternehmen ansiedeln oder expandieren können. Außerdem werden wir im Schulterschluss mit der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) auf dem Campus ein Areal bereitstellen, so dass die FAU dann in den Campus „hineinwachsen“ kann.

TiB: Was ist der Status quo im Gebäudebestand?

Braun: Der bestehende Standort hat eine heterogene Bürostruktur aus allen Epochen, vornehmlich aus den 1950er und 1960er Jahren. Für ein langfristig stabiles Arbeitsumfeld brauchen wir jedoch Immobilien mit offenen Gebäudestrukturen. In Zeiten von Umstrukturierung und Ausgliederungen ist es zudem wichtig, dass einzelne Unternehmensteile durch eine postalische Adresse eine eigene Identität bilden können. Darüber hinaus haben die jungen Mitarbeiter, die wir nach Erlangen locken möchten – neben dem Gehalt und der Arbeit – eine andere Erwartungshaltung auch an das Büroumfeld.

Ein geschlossener, eingezäunter Standort mit sehr langen Wegen, der auch in Hinblick auf die Nahversorgung mit Kinderbetreuung, Cafés, Einkaufsmöglichkeiten etc. keine Möglichkeit bietet, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Deshalb haben wir den Campus Erlangen ganzheitlich mit einem Masterplan neu aufgesetzt. Im Gegensatz zu Neubauprojekten auf der grünen Wiese, ist der Campus heute voll belegt, deshalb entwickeln wir ihn über einen Zeitraum von 15 Jahren schrittweise in Modulen.

TiB: Sollen neben der Nutzung eines Teiles des Campus durch die FAU und die Vermietung an Dritte, in Zukunft auch Wohnungen entstehen?

Braun: Die ersten Bauabschnitte nutzt Siemens selbst. Hier werden in den nächsten Jahren in den ersten drei Modulen rund 15.000 Siemens-Mitarbeiter auch von anderen Standorten zusammengeführt. Die damit verbundene Konsolidierung schafft auf diesem großen Gelände ein Atmungspotential. Das werden wir zum einen nutzen, um ab 2023 Areale für die FAU bereitzustellen und auch für Dritte attraktiv zu sein. Zum anderen werden damit langfristig ab 2025 Flächen zur Verfügung stehen, die für die Entwicklung von Wohnungsbau genutzt werden können; angedacht sind heute rund 2500 Wohnungen.

TiB: In Erlangen entstehen durch die Neukonzeption in aller Regel neue Baustrukturen. Inwieweit kann man Bestandsimmobilien für zukünftige Anforderungen ertüchtigen?

Braun: Das ist eine Einzelfallentscheidung, denn ältere Bürogebäude sind nicht pauschal ungeeignet für neue Bürokonzepte. Im Betrieb sind sie aber oft wirtschaftlich begrenzt und werden auch einem Anspruch auf Nachhaltigkeit kaum gerecht. Auch die Potentiale der Digitalisierung können in einem neuen Gebäude meist besser ausgeschöpft werden.

TiB: Welche Unterschiede zeigen sich im Vergleich zum bestehenden Standort?

Braun: Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass aus einem bisher geschlossenen Areal ein offener Teil der Stadt wird. Dadurch wird die Lockerheit am Standort zunehmen und durch die fließenden Grenzen zwischen den einzelnen Häusern wird mehr Offenheit entstehen. Die Sicherheit begann vorher am Zaun. Sie wird sich nun stufenweise auf die Gebäude zurückziehen.

Diese Öffnung bietet die Möglichkeit, dass Start-ups und Institute in diesen Campus kommen und so ein Forschungshub entsteht. Ich sehe hier Riesenpotentiale, denn der Campus wurde schon von Anbeginn als Forschungsgelände entwickelt. Im Unterschied zu damals ist die heutige Forschung jedoch durch Kooperationen mit anderen Unternehmen immer dezentraler geworden und dazu braucht man fließende Grenzen.

TiB: Gibt es für einen zeitgemäßen Betrieb spezielle Anforderungen und Konzepte?

Markus Bayerl: Ja! Die Öffnung des Campus und auch die heterogenen Mieterstrukturen mit zunehmend externen Partnern, wie beispielsweise Universitäten und Dritt-Unternehmen stellen neue Anforderungen an die Sicherheit und das Angebot von Services. Grundsätzlich unterscheiden wir beim Betreiben eines offenen Standortes zwei Bereiche. Auf der einen Seite das technische Facility Management (TFM). Hierzu gehört beispielsweise die Aufzugswartung oder rechtliche Prüfungen, einschließlich aller Verpflichtungen für einen reibungslosen Betrieb. Diese sieht der Mieter oder Nutzer nicht direkt. Auf der anderen Seite haben wir Facility Services, wie beispielsweise die Reinigung, Sicherheit oder ein umfangreiches kulinarisches Angebot.

An einem Forschungsstandort wie Erlangen spielen außerdem Einflüsse wie „War for Talents“ oder „Work-Life-Balance“ eine größere Rolle als an einem „klassischen“ Bürostandort. Unsere Services müssen jungen Studierenden gerecht werden, aber eben auch die Notwendigkeiten eines klassischen Arbeitsumfeldes abdecken. So sehen unsere Konzepte neben klassischen Services wie Conferencing oder Postdiensten auch das Angebot eines Fahrradreparaturshops und weitere Services rund um den alltäglichen Bedarf vor. Dies sind ganz neue Bereiche, die über den normalen Gebäudebetrieb der letzten 20 bis 30 Jahre hinausgehen. Hier müssen sich auch die Betreiber weiterentwickeln.

TiB: Gibt es einen digitalen Zwilling mit virtuellen Welten für zukünftige Nutzer und werden diese damit auch in den Planungsprozess einbezogen?

Bayerl: Building Information Modeling (BIM) steckt hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern noch in den Kinderschuhen. Aber BIM birgt ein Riesenpotential und wir waren aufgrund der generierten BIM-Daten aus der Planung in der Lage, eine App zu programmieren, mit der sich die Nutzer zuhause vom Sofa durch den Standort navigieren können. Dies ist eine große Hilfe, denn Menschen sind heute an Animiertes gewöhnt.

Unsere Siemens-Campus-App ist eine schöne Spielwiese und durch eine Erweiterung der App konnten wir durch diese virtuelle Konzeption – angefangen bei den Belegungsplänen, über die Nutzung bis hin zu einzelnen Farbkonzepten – die Räume für die Nutzer in der App begehbar und gestaltbar machen.

TiB: Hat die Planung mit BIM auch Einfluss auf die Bauwirtschaft?

Braun: Unser Modul 2 haben wir an den Generalübernehmer Firma Zechbau vergeben, der die Gebäude auf Grundlage der BIM-Datenbasis herstellt. Eine Weltneuheit ist dabei der Holzhybridbau mit sehr stark vorgefertigten Holzmodulen. Durch BIM gibt es große Synergieeffekte. Die Mängel reduzieren sich, die Qualität wird besser, das Bauen wird sehr viel schneller und die Planungssicherheit wird gesteigert.

TiB: Findet bereits jetzt ein Datentransfer aus der Planung in die Bewirtschaftung, z. B. in die Computer Aided Facility Management (CAFM)-Software Planon, statt, um die Bewirtschaftung mit Hilfe des digitalen Zwillings effizienter zu gestalten?

Bayerl: Aktuell bespielen wir das CAFM System mit den Daten aus dem BIM-Modell. Allerdings stellen wir fest, dass für FM-Betreiberfirmen BIM eine Herausforderung bleibt, denn die Übernahme der guten Datenbasis, die nach Erstellung des Gebäudes existiert, in die bestehenden CRM-Systeme der Betreiber funktioniert nicht reibungslos. Es fehlen hierfür standardisierte Prozesse und Schnittstellen.

Der Campus Erlangen ist für uns Neuland und beim Betreiben fangen wir mit BIM gerade erst an. Allerdings sehen wir schon einen großen Nutzen durch das BIM-Modell, da der FM-Betreiber sehr frühzeitig eingebunden werden kann und durch die Informations- und Dokumentationsbasis fast reibungslos den Erstbetrieb starten kann. Hier sind wir schon sehr weit. Wir haben aber noch keine Erfahrung damit, ob bzw. welche Effizienzgewinne sich im operativen Betrieb realisieren lassen. Dies muss sich erst noch zeigen.

TiB: Für welche Bewirtschaftungs-Prozesse kann sich BIM als sinnvoll erweisen, und können Sie die TOP 3 benennen?

Bayerl: Den größten Nutzen von BIM erhoffen wir uns bei Ausschreibungen in der Bewirtschaftung, z. B. der Reinigung von Fenstern und Fassaden, durch ein Leistungsverzeichnis per Knopfdruck aus dem System heraus. Als weiteres könnte das Identifizieren eines technischen Defekts am BIM-Modell die eigentliche Serviceleistung bedeutend beschleunigen und damit z. B. Wartungskosten reduzieren. Ein dritter Bereich könnte sein, dass alle relevanten Informationen z. B. in einer Anlagenliste vorhanden sind und dadurch die Wiederbeschaffung defekter Teile sehr viel schneller erfolgt oder aber auch Umbaumaßnahmen aufgrund der vorliegenden Informationen im Digitalen Zwilling beschleunigt werden können.

TiB: Kommen wir vom klassischen Facility-Management-Geschäft zu den neuen nutzerbezogenen Soft services: Wird es ein BIM-Modell aufs Handy geben z. B. für Indoor-Navigation?

Bayerl: Bei einfachen Maßnahmen wie einem Umbau oder einer Ummöblierung haben wir selbst schon mit Google Glasses gearbeitet. Wenn wir das Kosten-Nutzen-Modell betrachten und uns fragen, ob ein Bauherr ein BIM-Modell oder ein Nutzer einen 3D-Durchflug durch das Objekt bezahlt, bin ich eher skeptisch. Es wird aber sicher in einigen Jahren State of the Art sein, und da müssen wir dann mithalten. Schon heute arbeiten wir aber an unserer Comfy-App, mit der die zukünftigen Nutzer auf Basis der BIM-Daten eine Standort- und später auch Inhouse-Navigation erhalten können, Besprechungsräume buchen können und vieles mehr. Denn unser Siemens Campus soll ein durch und durch digitaler Standort werden.

Das Interview führten Robert Oettl und Silvia Stettmayer.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2020 Januar/Februar