Bemessung von Textilbeton

Beitrag von Dr.-Ing. Harald Michler, Institut für Massivbau, TU Dresden

Textile Bewehrungen von Beton sind eine leistungsfähige und korrosionsfeste Alternative zur Stahlbewehrung. Die Bemessung folgt prinzipiell den gleichen Modellen wie sie im Stahlbetonbau angewendet werden. Sie müssen aber das Verhalten des neuen Materials erfassen. Mehr dazu.

Struktur von Carbonbeton

Allgemein enthält Carbonbeton eine auf Carbonfasern (CF) basierende textile Bewehrung und/oder CF-Stäbe und Vorspannelemente. Bei Textilbeton verwendet man die textilen Halbzeuge als flächige Bewehrung, und es werden neben den Carbonfasern auch andere Hochleistungsfasern wie bspw. alkaliresistente Glas- und Basaltfasern verwendet, [1, 2]. Dabei ist es möglich, auch mehrere dieser Fasern in dem Bewehrungsnetz zu kombinieren, um spezielle Anforderungen zu erfüllen oder um kosteneffektiv zu sein.

Unterschiede durch Carbon-Garn

Die textile Bewehrung besteht aus Garnen (Einzelfaserbündel), die sich wiederum aus Zigtausenden von endlosen Einzelfasern (Filamenten) zusammensetzen. Die Einzelfasern werden dann durch einen geeigneten Kunststoff „verklebt“, um gleiche Traganteile im Garn übernehmen zu können. Damit ergeben sich signifikante Unterschiede zur herkömmlichen Betonstahlbewehrung.

Carbon-Garn ist ein orthotropes Material mit einer hervorragenden Längszugfestigkeit, womit es die Hauptaufgabe einer Bewehrung – das Abtragen von Zugkräften – exzellent erfüllen kann, aber gleichzeitig auch einer Garn-Querdruckempfindlichkeit, die sich bei direkten Lasteinleitungen über Formschluss oder Klemmen bemerkbar macht. Als Längsdruckbewehrung ist das Material weniger geeignet und muss so eventuell bei hohen Bewehrungsgraden als Schwächung des Betons in der Längsdruckabtragung interpretiert werden, was aber noch Gegenstand aktueller Forschung ist.

Einteilung in Garn-Gruppen

Da heute noch keine allgemeingültige Norm für textilen Carbonbeton vorliegt, müssen Kennwerte für eine Bemessung i. d. R. jeweils für die aktuelle Materialkombination ermittelt werden. Die Betonmatrix beeinflusst die Festigkeit des Komposits, dessen Steifigkeit und Verbundverhalten. Als textile Bewehrung werden zwei Garn-Gruppen angeboten: „weich“- und „hart“-gekoppelte Filamente.

Im „weichen“ Fall werden die einzelnen Filamente bspw. auf Styrolbutadienbasis verbunden, und im „harten“ Fall mit Epoxidharz. Letztere weisen etwas höhere Festigkeiten auf und haben deutlich bessere Verbundeigenschaften, benötigen aber auch entsprechend feste Betone. Sie ergeben steifere Bewehrungsmatten und benötigen dadurch weniger Abstandshalter, um die Lage beim Betonieren zu fixieren.

Bei den weichen Textilien sind die übertragbaren Verbundspannungen und somit auch die Beanspruchung für den umgebenden Beton deutlich geringer, wodurch noch dünnere Schichten als bei der Verwendung von harten Textilien möglich werden, z.B. für Verstärkungen. Darüber hinaus können diese leicht um Ecken gebogen und dem Bauteil angepasst werden.

Dünnste Betonschichten durch Carbon-Gitter

Carbon-Gitter, oder allgemeiner textile Strukturen, sind flächige Bewehrungselemente mit relativ kleiner Gitterweite im Vergleich zu herkömmlichen Betonstahlbewehrungen oder allgemein Stabbewehrungen. Damit ist die Bewehrung besser im Bauteil verteilt und die Einleitungskräfte zwischen Beton und Garn müssen nicht so konzentriert werden wie bei Stabbewehrungen.

Beanspruchungsspitzen werden somit weitgehend vermieden und es ist möglich, mit extrem dünnen Betonschichten zu bauen. Im Stahlbetonbau ist nämlich die relativ große Betondeckung nicht nur erforderlich, um die Betonstahlbewehrung vor Korrosion zu schützen, sondern auch, um die zuvor erwähnte Einleitung von Kräften in die konzentriertere Betonstahlbewehrung sicherzustellen.

Anwendungsfelder

Flächiges Verstärken ist das naturgegebene Anwendungsfeld des Textilbetons, in dem er seine positiven Eigenschaften bestmöglich ausspielen kann, da dünne, hochtragfähige Schichten realisierbar sind. Selbstverständlich werden auch neue Carbonbetonbauteile hergestellt, jedoch müssen diese dünn sein, um Ressourcen sparen zu können.

Dünne Bauteile ermöglichen immer dort leistungsfähige Konstruktionen, wo Schalen- oder Membrantragwerke konstruiert werden können. Eine einfache biegebeanspruchte Carbonbetondeckenplatte mit üblicher parallelgurtiger Geometrie kann wenig Beton einsparen, da die erforderliche Bauhöhe nicht nur statisch bedingt ist, sondern auch die Gebrauchstauglichkeit (Durchbiegung) über die erforderliche Steifigkeit sicherstellen muss. Beispielsweise könnte hier eine Sandwichkonstruktion den Zementverbrauch bei gleicher Konstruktionshöhe reduzieren.

Modellierung von Textilbeton

Die Bemessung von Textilbeton folgt prinzipiell den gleichen Modellen, wie sie im Stahlbetonbau angewendet werden, [3, 4, 5]. Somit kann auch die Stahlbetonbemessung prinzipiell auf Textilbeton übertragen werden, es müssen aber die verwendeten Rechenmodelle das Verhalten des neuen Materials erfassen. So unterscheidet sich das Spannungs-Dehnungs (σ-ε)-Verhalten des Carbonmaterials grundlegend von dem des Betonstahls. Eine textile Carbonbewehrung weist eine nahezu lineare Spannungs-Dehnungs-Beziehung auf, siehe Abbildung 1 unten.
 

Hier werden die charakteristischen Kennwerte und die sich daraus herleitenden Bemessungswerte (design) gegenübergestellt. Die hohe Bruchfestigkeit (charakteristische Spannung) von ca. 2000 bis 2400 N/mm² bei aktuellen weichen Carbontextilien im Garn wird bei einer Bruchdehnung von ca. 10 bis 12 ‰ erreicht. Dies ist deutlich weniger als im Stahlbetonbau (25 ‰) üblich und für die TUDALIT Zulassung wird die Bruchdehnung sogar auf 7,5 ‰ begrenzt. Berücksichtigt man dies, so kann grundsätzlich die bekannte Bemessung aus dem Stahlbetonbau auf Carbonbeton übertragen werden. Aufgrund der geänderten Materialkennwerte müssen aber Bemessungshilfsmittel, z. B. Bemessungstafeln oder EDV-Programme, angepasst werden, um dem geänderten σ-ε Verhalten gerecht zu werden.

Der Ingenieur muss also vor allem das veränderte Dehnungsverhalten bedenken. Gemeinsam mit dem Stahlbeton ist, dass es sich um einen Kompositwerkstoff handelt, dessen Bewehrung erst nennenswert aktiviert wird, wenn der Beton bereits angerissen ist. Wie beim Stahlbeton auch erfolgt die Kraftübertragung zwischen Bewehrung und Beton über Verbundspannungen, die sowohl die Rissbreite als auch den Rissabstand beeinflussen.

Textilbeton zur Bauteilverstärkung

Etwas aufwendiger wird die Bemessung, wenn ein vorhandenes Stahlbetonbauteil mit Textilbeton verstärkt werden muss, eine häufige Anwendung im Instandsetzungsbereich. Hier können zwar auch die gleichen Bemessungsannahmen verwendet werden wie der Ansatz einer linearen Dehnungsverteilung, die Ermittlung der resultierenden Schnittkräfte im Bauteil-Querschnitt sowie die Überprüfung des Kräftegleichgewichts.

Es ist jedoch beim Verstärken zu beachten, dass das Stahlbetonbauteil bereits eine gewisse Beanspruchung und Verformung erfährt, zumeist aus Eigengewicht, womit dann eine Vordehnung im Dehnungsansatz zu berücksichtigen ist. In der ersten allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z31.10-182 [6] ist für eine aus “weichen“ Garnen erzeugte Textilbewehrung eingebunden in den Feinbeton Pagel FT-10 eine gültige Bemessungsvorschrift vorhanden, um auf Biegung dimensionieren zu können (hierzu siehe auch [5, 7]).

Bemessungsregeln

Eine Lage textiler Bewehrung nach [6] kann eine Bemessungskraft von 112 kN/m Plattenbreite aufnehmen, was einer Betonstahlbewehrung Ø 8 im Abstand von 20 cm entspricht. Mit bewährten vier Lagen Textilbewehrung (max. sechs sind erlaubt und sinnvollerweise möglich) entspricht dies schon einer Stahlbewehrung Ø 10 im Abstand von 7,5 cm bei einer Schichtdicke kleiner als 15 mm. Setzt man die Entwicklung leistungsfähiger Textilien mit anderthalbfacher Bemessungsfestigkeit voraus, könnte bereits mit vier Lagen eine Bewehrung entsprechend Ø 20 im Abstand von 10 cm beim Neubau ersetzt bzw. beim Verstärken im Bestand zur Ertüchtigung als relativ dünne Schicht am Bauwerk aufgebracht werden. Somit stellen die textilen Bewehrungen eine leistungsfähige Alternative dar, die in ihrer Bemessung kein prinzipielles Umdenken erfordert.

Literatur

[1] Jesse, F.; Curbach, M.: Verstärken mit Textilbeton. In: Bergmeister, K.; Fingerloos, F.; Wörner, J.-D. (Hrsg.): Beton-Kalender 2010. Berlin: Ernst & Sohn, 2009, S. 457–565 – URL: http://www.ernst-und-sohn.de/beton-kalender-2010
[2] Curbach, M.; Ortlepp, R. (Hrsg.): Sonderforschungsbereich 528 – Textile Bewehrungen zur bautechnischen Verstärkung und Instandsetzung – Abschlussbericht (gekürzte Fassung). Dresden: TU Dresden, 2012, 222 S. – URL: http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-86425
[3] Frenzel, M.: Bemessung textilbetonverstärkter Stahlbetonbauteile unter Biegebeanspruchung. Beton- und Stahlbetonbau Spezial 2015 – Verstärken mit Textilbeton, Jan., S. 54–68 – DOI: 10.1002/best.201400115
[4] Müller, E.; Scheerer, S.; Curbach, M.: Strengthening of existing concrete structures: Design models. In: Triantafillou, T. C. (Ed.): Textile Fibre Composites in Civil Engineering, Amsterdam et al.: Woodhead Publishing / Elsevier, 2016, S. 323–359 – doi:10.1016/B978-1- 78242-446-8.00015-X
[5] Hegger, J.; Will, N.: Textile-reinforced concrete: Design Models. In: Triantafillou, T. C. (Ed.): Textile Fibre Composites in Civil Engineering, Amsterdam et al.: Woodhead Publishing / Elsevier, 2016, pp. 189–207
[6] Z-31.10-182: Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit TUDALIT® (Textilbewehrter Beton). DIBt, 01.06.2014 [7] Planermappe zum Umgang mit [6]: http:// tudalit.de/planermappe/ (21.11.2016)

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 März/April