Beton 4.0

Moderne Hochleistungsbetone und additive Fertigung effizienter Betonbauteile

Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Oliver Fischer, Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt Lehrstuhl für Massivbau – MPA BAU / LK Technische Universität München

Der nachfolgende Beitrag gibt einen kurzen Überblick zu ultrahoch(druck)festem Beton und seine erste Pilotanwendung für eine Eisenbahnbrücke sowie aktuelle Forschungsansätze zur Erhöhung der Zugfestigkeit von Beton in Verbindung mit additiver Fertigung und der Möglichkeit der Herstellung hochleistungsfähiger effizienter Bauteile, bei denen sogar die Festigkeitseigenschaften durch 3D-Druck an den Spannungstrajektorien ausgerichtet werden können.

Entwicklungen in der Betontechnologie

Die letzten Jahre sind geprägt durch eine umfangreiche Forschung und eine rasante Entwicklung im Bereich der Betontechnologie. So ist es mittlerweile einerseits möglich, die Eigenschaften moderner Betone (z. B. selbstverdichtend oder sehr dauerhaft) gezielt zu steuern und andererseits gelingt es Druckfestigkeiten von über 200 N/mm2 (sog. ultrahochfeste Betone) zu erreichen, die nahezu im Festigkeitsbereich von Stahl liegen. Zudem wird in der aktuellen Forschung auch versucht, die „Schwäche des Betons“ – seine vergleichsweise geringe Zugfestigkeit (Ursache für die Erfordernis einer Bewehrung, üblicherweise aus Betonstahl) – zu reduzieren und einen „zugfesten“ Beton zu konzipieren.

Beide Entwicklungen (UHFB = ultrahoch(druck)fester Beton, sowie Betone mit erhöhter Zugfestigkeit) ermöglichen neue Konstruktionsformen und sind prädestiniert sowohl für die qualitätsgesicherte industrielle Bauteilherstellung im Werk (modulare Konstruktionen) als auch für die additive Fertigung und den 3D-Druck.

Ultrahochfester Beton

Ultrahochfester Beton ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Betonbaustoffe, der völlig neue Möglichkeiten und Einsatzbereiche im Bauwesen eröffnet. Er zeichnet sich durch eine sehr hohe Druckfestigkeit aus, die in etwa viermal höher ist als diejenige von konventionellen Betonen, die üblicherweise im Brückenbau verwendet werden. Durch eine optimierte Kornzusammensetzung werden ein extrem dichtes Gefüge und dadurch neben der beeindruckend hohen Druckfestigkeit eine sehr hohe Widerstandsfähigkeit gegen chemische sowie mechanische Beanspruchung und exzellente Dauerhaftigkeitseigenschaften erreicht. Der Werkstoff besitzt also kaum Hohlräume, in die z. B. Nässe oder Salze eindringen können, die das Material schädigen.

Ultrahochfestem Beton werden zumeist Mikrofasern (Länge zwischen etwa 8 und 30 mm) aus Stahl zugegeben (UHPFRC: Ultra-High Performance Fibre-Reinforced Concrete), die üblicherweise als Abfallprodukt aus der Autoreifenherstellung gewonnen werden. Durch die Fasern kann in vielen Bauteilbereichen auf eine konventionelle „Bewehrung“ in Form von Stabstahl verzichtet werden und zusammen mit der sehr hohen Druckfestigkeit können die Materialstärken sowie das Eigengewicht deutlich reduziert werden. Derzeit ist man bestrebt, den vielversprechenden Werkstoff mehr in den Fokus baupraktischer Anwendungen zu bringen, sei es zur nachträglichen Verstärkung von alten Brücken mit Aufbetonschichten oder zur Herstellung neuer Bauwerke, z. B. für den schnellen Ersatz bestehender Bauwerke mit Fertigteillösungen.

Erste Pilotanwendung im Eisenbahnbrückenbau

Im Zuge der Überbauerneuerung einer bestehenden Bahnbrücke auf dem Streckennetz der Tegernsee-Bahn (nicht bundeseigene Bahn) konnte der Werkstoff nun in Deutschland erstmalig für eine Eisenbahnbrücke besonders zweckmäßig und vorteilhaft eingesetzt werden. Die in die Jahre gekommene Brücke über den Dürnbach musste aufgrund des baulichen Zustandes ersetzt werden. Dabei wurde mit Blick auf einen möglichst einfachen Bauablauf und einen größeren Durchflussquerschnitt für den regelmäßig Hochwasser führenden überführten Bach angestrebt, ein möglichst schlankes Bauwerk mit im Vergleich zu einer konventionellen Lösung deutlich geringerer Konstruktionshöhe zu realisieren.

Mit dem Material UHPFRC ließ sich ein neuer Brückenüberbau mit sehr geringem Eigengewicht konzipieren, wodurch die von der vorherigen Brücke vorhandenen Widerlager weiter genutzt werden konnten und der Transport sowie die Verlegung des Brückenfertigteils erheblich erleichtert wurden. Durch die Verwendung des Hochleistungsmaterials konnte die Stärke der als vorgespannte Platte realisierten 6,50 m langen Brücke mit nur 20 cm Konstruktionshöhe unter den Schienen extrem gering gehalten werden. Zudem konnte aufgrund der hohen Widerstandsfähigkeit auf die übliche Abdichtung und den erforderlichen Schutzbeton verzichtet werden. Im Zuge der Realisierung der Brücke erfolgte durch die TUM auch eine messtechnische und wissenschaftliche Begleitung des Bahnbetriebs, um zusätzlich zu Laborerfahrungen entsprechende Erkenntnisse im realen Betrieb zu erhalten. Für weitere Informationen siehe [1], [2].

Zugfester Hochleistungsbeton durch Zugabe von Carbonkurzfasern

Bei allen bisherigen Betonen – auch bei sehr hochdruckfesten – erreichen die Zugfestigkeitswerte nur maximal etwa 10 % der Druckfestigkeit. Da mit einem „zugfesten Beton“ eine Reihe von Vorteilen und damit auch völlig neue Konstruktionsprinzipien möglich würden, wird derzeit an verschiedenen Stellen an der Steigerung der Betonzugfestigkeit geforscht.

Eine vielversprechende und effiziente Möglichkeit hierzu bietet die Zugabe von kurzen (etwa 3 mm) ausgerichteten Carbonfasern [3]. Um dabei einen guten Verbund zwischen der Betonmatrix und den Fasern zu erzielen, werden diese vorab thermisch behandelt. Dadurch wird einerseits die für carbonfaserverstärkten Kunststoff (CFK) optimierte, aber für die Anwendung im Beton nachteilige Schlichte entfernt und zudem die Oberfläche aufgeraut. Die so behandelten Carbonfasern werden am Ende des Mischprozesses dem Beton zugegeben, bis sich alle Fasern vereinzelt haben und vollständig von der Betonmatrix umschlossen sind. Der sehr feinkörnige Beton (Größtkorn 0,5 mm) wird durch eine oder mehrere Düsen ausgepresst, die geometrisch so auf die Fasergeometrie abgestimmt sind, dass es durch die gleichmäßige Fließbewegung zu einer Faserausrichtung kommt. Mit dieser Methode gelingt es (je nach Fasermenge, die im Regelfall zwischen 1 und 3 Vol.-% liegt), Biegezugfestigkeiten zu erzielen, die im Bereich von bis zu 100 % der Druckfestigkeit liegen.

Aufgrund der Betonage über Düsen eignet sich der Carbonkurzfaserbeton vor allem auch zur Herstellung von Bauteilen mittels 3D-Druck. Dabei werden die einzelnen Druckstränge kontinuierlich nebeneinander und in Schichten präzise übereinander gelegt. Durch den zeitlich kurzen Abstand der Druckpfade und -schichten ergibt sich ein homogenes Gefüge ohne Delaminationseffekte unter Beanspruchung.

Neben den besseren Verbund- und Festigkeitseigenschaften weisen Fasern aus Carbon im Vergleich zu Stahl eine sehr viel kleinere Dichte auf und zeigen sich äußerst widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse, da sie nicht korrodieren können. Dadurch sowie durch die sehr fein verteilte Mikrorissbildung bei hoher Beanspruchung ergeben sich gegenüber konventionellem Stahlbeton auch wesentliche Vorteile in Bezug auf die Dauerhaftigkeit der Bauteile. Im Extrusionsverfahren lassen sich Betonbauteile mit bis zu 2 Vol.-% Carbonfasern verarbeitungstechnisch problemlos herstellen (kleinformatig konnten im Labor auch höhere Dosierungen bis etwa 3 Vol.-% verarbeitet und damit eine weitere Steigerung der Zugfestigkeit erreicht werden [3]).

Herstellung von Freiformflächen durch additive Fertigung

Durch die Anwendbarkeit des Materials im 3D-Druckverfahren eröffnen sich auch neue Möglichkeiten zur Herstellung von Freiformen aus Hochleistungsbeton. Üblicherweise erfordert die Formgebung von Betonbauteilen eine entsprechend geformte (Holz-)Schalung, in die der Beton eingebracht wird.

Durch die additive Fertigung entfallen die Arbeitsschritte sowohl des Ein- und Ausschalens als auch des Verlegens der Bewehrung, wodurch deutliche Kosteneinsparungen möglich sind. Dies zeigt sich insbesondere bei aus gestalterischen Gründen häufig gewünschten geschwungenen Formen vorteilhaft, da der Herstellungsaufwand solcher Schalungen extrem hoch ist.

Darüber hinaus lassen sich die Druckstränge (und damit die Carbonfasern) durch gekrümmte Fahrwege, z. B. entsprechend den Hauptzugspannungstrajektorien der Bauteile, gezielt ausrichten [4]. Schließlich zeigen aktuelle Untersuchungen am Lehrstuhl Massivbau der TUM, dass das Material auch ganz hervorragende Ermüdungseigenschaften besitzt und daher vorteilhaft auch bei nicht ruhender Belastung eingesetzt werden kann [5].

Ein gedruckter Freiformkörper aus Carbonkurzfaserbeton ist in der Abbildung links oben abgebildet, darunter ist die Hauptspannungstrajektorien und ein daran orientierter Druckpfad eines balkenförmigen Bauteils zu sehen.

Beton als moderner Hochleistungsbaustoff

Derzeit zeigen sich im Bauwesen in nahezu allen Bereichen deutliche Impulse hin zu einer industriellen Fertigung von modularen Bauteilkomponenten im Werk, die vor Ort durch geeignete Verfahren zum Bauwerk gefügt werden. Neben der dadurch möglichen Verkürzung von Bauzeiten und einer qualitätsgesicherten gleichbleibenden Qualität resultiert dies auch aus dem zunehmenden Fachkräftemangel auf unseren Baustellen. Nicht zuletzt spiegelt sich diese allgemeine Tendenz auch in dem aktuell anlaufenden DFG Schwerpunktprogramm „Adaptive Modulbauweisen mit Fließfertigungsmethoden – Präzisionsschnellbau der Zukunft“ wider. Für diese Art der Fertigung sind die modernen Hochleistungsbetone wie der 3D-gedruckte Carbonkurzfaserbeton prädestiniert. Die als Einzelfertigteile hergestellten Komponenten lassen sich auf der Baustelle modular zusammenfügen bzw. mit nachträglicher Ortbetonergänzung zur monolithischen Gesamtstruktur ergänzen. Durch die äußerst effektive Nutzung der Carbonfasern ist der hier beschriebene Beton sehr ökonomisch einsetzbar.

Gerade im Hinblick auf ressourcenschonende Anwendungen von Baumaterialien und mit Blick auf eine hohe Dauerhaftigkeit ergeben sich wesentliche Vorteile. Aktuelle Forschung und Entwicklung im Bereich der Materialtechnologie, der werkstoffgerechten Konstruktion und der industriellen Herstellung bieten ein großes Potential mit vielversprechenden Anwendungsmöglichkeiten im gesamten Bauwesen. Der jahrhundertealte Werkstoff Beton (bereits die Römer kannten ihn als OPUS CEMENTITIUM) „erfindet sich neu“ als moderner Hochleistungsbaustoff mit wesentlichen Vorteilen bezüglich Leistungsfähigkeit, Ressourcenverbrauch und Lebensdauer.

Literatur

[1] FISCHER, O.; SCHRAMM, N.; LECHNER, T.: Deutschlandweit erstmalige Anwendung von UHPFRC im Eisenbahnbrückenbau, Teil 1: Konzeption, Realisierung und baupraktische Erfahrungen mit einem vielversprechenden Werkstoff. Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019), Heft 2, S. 74-84.
[2] SCHRAMM, N.; FISCHER, O.: Deutschlandweit erstmalige Anwendung von UHPFRC im Eisenbahnbrückenbau, Teil 2: Flankierende wissenschaftliche Untersuchungen sowie messtechnische Begleitung der Herstellung und des Betriebs. Beton- und Stahlbetonbau 114 (2019), Heft 5, S. 1-8.
[3] HAMBACH, M.; MÖLLER, H.; NEUMANN, T.; VOLKMER, D.: Portland cement paste with aligned carbon fibers exhibiting exceptionally high flexural strength (> 100 MPa), Cement Concrete Res 89 (2016), S. 80-86.
[4] LAUFF, P.; FISCHER O.: Effizienter Ultrahochleistungsbeton mit innovativer trajektorienorientierter „Bewehrung“. In: Festschrift zum Jubiläum – 25 Jahre Professur und 60. Geburtstag von o.Univ.-Prof. Konrad Bergmeister, ce/papers 2019, Vol. 3, S. 82-88.
[5] LAUFF, P., FISCHER, O.: Zum Trag- und Ermüdungsverhalten von im 3D-Druck hergestellten Carbon-Kurzfaserbeton mit hoher Zugfestigkeit. In: Proc. 59. DAfStb Forschungskolloquium, München, Deutscher Ausschuss für Stahlbeton DAfStb (Hrsg.), 2018, S. 103-113.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 September/Oktober