Leichte und korrosionsfeste Betonbauwerke

Beitrag von Sergej Rempel und Dr.-Ing. Christian Kulas, RWTH Aachen und solidian GmbH

Betonbauwerke gibt es bereits seit über 2 Jahrtausenden. Seitdem hat sich der Werkstoff allerdings entscheidend weiterentwickelt. Im Beitrag wird die weltweit erste Betonbrücke vorgestellt, die durch den Einsatz von Carbon ohne Stahlbewehrung auskommt. Welche Baustoffe eingesetzt wurden, wie das Tragverhalten der Brücke beurteilt wird und welche Vorteile Carbonbeton im Brückenbau aufweist.

Entwicklung von Betonbauwerken

Vor etwa 2000 Jahren entstanden die ersten römischen Betonbauwerke. Die Baumeister erstellten druckfeste Bauteile, indem sie Mörtel und Steinbrocken in einer Schalung aushärten ließen. Sie wurden zum Maßstab der römisch-kaiserlichen Architektur.

Erst um 1850 wurde der Werkstoff weiterentwickelt, indem Eisenstäbe eingelegt wurden, um die Zugkräfte aufzunehmen. So entstanden die ersten Eisenbetonbauwerke mit großer Spannweite. Die Evolution des Betonbaus ist in der Gegenwart bei Carbonbeton angekommen. Die weltweit erste carbonbewehrte Betonbrücke in Albstadt verzichtet vollständig auf eine Stahlbewehrung und setzt einen Meilenstein in der Geschichte des Massivbaus.

Die Carbonbetonbrücke in Albstadt-Ebingen

Eine zukunftsweisende Anwendung von Textilbeton ist der Einsatz bei Bauwerken mit Chloridangriff, hervorgerufen durch eine Frost-Tausalz-Beanspruchung. Vorhandene betonstahlbewehrte Brücken weisen oft Schäden auf, die infolge von Stahlkorrosion entstehen. Die Konsequenz sind Risse und Betonabplatzungen. Diese Schäden sind nicht nur optische Mängel, sondern verschlechtern auch das Tragverhalten. Deshalb werden innovative und nachhaltige Brückenkonstruktionen gesucht.

Ein erfolgreich umgesetztes Konzept ist ein Querschnittsentwurf aus Carbonbeton, dessen Machbarkeit in einem Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Massivbau der RWTH Aachen, Knippers Helbig, Max Bögl und solidian im Jahr 2015 erfolgreich bewiesen wurde.

In Albstadt-Ebingen entstand die weltweit erste Carbonbetonbrücke, die vollständig ohne Stahlbewehrung und Vorspannung auskommt.

Konstruktion der Brücke

Die Fußgängerbrücke hat eine Gesamtlänge von 15,55 m und eine Breite von 2,94 m. Der Querschnitt ist ein Fertigteil-Trogträger mit Bauteildicken von 70 mm für die Trogwände und 90 mm für die Gehwegplatte. Das Fertigteil wurde in einem Guss hergestellt, das heißt, dass die Trogwände und die Gehwegplatte monolithisch miteinander verbunden sind. Sie tragen als Gesamtbauteil zum Tragverhalten bei. Aufgrund der dünnen Gehwegplatte muss die Steifigkeit der Konstruktion durch die 1,07 m hohen Trogwände erzielt werden.
 

Der Verlauf ist „gevoutet“ und folgt der Beanspruchung, was zu einer wirtschaftlicheren Ausnutzung führt. Die Höhe der Wände am Auflager beträgt lediglich 0,35 m. Der obere Zentimeter der Gehwegplatte wird als Verschleißschicht für die mechanische Beanspruchung durch Fußgänger, Fahrräder und Schneeräumfahrzeuge in den Wintermonaten angesetzt. Dadurch verschwindet die Notwendigkeit einer zusätzlichen Deckschicht, die regelmäßig saniert werden muss.

Insgesamt wird ein geringes Gesamtgewicht der Konstruktion von lediglich 14 Tonnen erreicht. Ermöglicht wird die Schlankheit durch die korrosionsbeständige Carbonbewehrung. Sie ist das Herzstück für den Verzicht der üblichen hohen Betondeckung für den Korrosionsschutz. Lediglich wenige Millimeter werden benötigt, um einen Verbund zu gewährleisten.

Eingesetzte Baustoffe

Für die Herstellung der filigranen Brücke wurde eine innovative Materialkombination eingesetzt. Als Bewehrung kam ein epoxidharzgetränktes Carbontextil, Typ GRID Q-95/95-CCE-38, der Firma solidian, mit einer Maschenweite von 38 mm und eine Querschnittsfläche von 95 mm²/m in beiden Richtungen zum Einsatz.

Der Vorteil des Carbontextils liegt in seiner hohen Zugfestigkeit und Dauerhaftigkeit. So wurden in Versuchen Zugspannungen von über 3300 N/mm² erreicht. Das entspricht einer aufnehmbaren Zugkraft für das eingesetzte Textil von 314 kN/m (ca. 32 Tonnen/m).

Im Vergleich dazu erreicht eine herkömmliche Stahlbewehrung eine Bruchspannung von lediglich 500 N/ mm². Die Carbonbewehrung ist daher in der Lage, mehr als sechsmal so viel Kraft bei gleichem Querschnittsgehalt aufzunehmen. Das Textil wurde als Flächen- und Formbewehrung sowohl 1- als auch 2-lagig eingebaut. Durch den Einsatz der innovativen Armierung entfallen Unterhaltungsmaßnahmen sowie Sanierungsarbeiten. Somit gehen die Folgekosten für die Brücke gegen „Null“.

Als Beton wurde ein selbstverdichtender Beton der Firma Max Bögl mit der Festigkeitsklasse C 70/85 verwendet. Bei der Betonage wurde darauf geachtet, dass keine Lunker auftauchen. Folglich entstand eine hochwertige Betonoberfläche, die mit dem besten Sichtbeton konkurrieren kann. Gleichzeitig wurde die hohe Betonqualität genutzt, um eine rutschhemmende Eigenschaft der Gehwegplatte durch eine Betonstruktur mithilfe einer speziellen Schalung zu realisieren.

Tragverhalten

Im Rahmen der Zustimmung im Einzelfall wurde ein umfangreiches Versuchsprogramm zur Beurteilung der Tragfähigkeit der Konstruktion durchgeführt. Anhand von großformatigen Versuchskörpern mit Querschnittsabmessungen im Originalmaßstab wurden das Biege- und Querkrafttragverhalten in Quer- wie auch in Längsrichtung des Trogträgers untersucht. Von besonderer Bedeutung war der Versuch in Brückenlängsrichtung. Hierfür wurde die Brücke ein zweites Mal hergestellt und im Drei-Punkt-Biegeversuch zu Bruch gefahren.

Es konnte eine Prüfkraft von Fmax = 643 kN (65 Tonnen) in der Mitte der Brücke aufgebracht werden, was einem Bruchmoment von Mu,max= 2335 kNm entspricht. Im Vergleich dazu beträgt das Bemessungsmoment aus der Einwirkung MEd = 1005 kNm. Somit wurde eine globale Sicherheit von 2,4 erreicht.

Im Grenzzustand der Gebrauchstauglichkeit (GZG) betrug die Rissbreite lediglich wk ≤ 0,1 mm bei einer zugehörigen mittigen Verformung von 5 mm.

Herstellung aus den kombinierten Baustoffen bietet Vorteile

Die Kombination der innovativen Carbonbewehrung mit dem hochfesten und selbstverdichtenden Beton ermöglichte eine effiziente Herstellung der Brücke. Aufgrund der sehr guten Vorarbeiten konnten die Bewehrungsarbeiten im Fertigteilwerk auf wenige Schritte reduziert werden. Hierfür wurden die einzelnen Bewehrungsmatten schon bei der Textilherstellung geformt und in die richtigen Formen zurechtgeschnitten.

Beim zusammengesetzten Korb zeigte sich ein weiterer Vorteil im Vergleich zum Stahlbeton: Da er sich außerhalb der Schalung befand, war die Bewehrungsabnahme leichter und ordentlicher möglich. Fehler können so besser entdeckt und mit weniger Aufwand korrigiert werden.

Betonage und Montage der Carbonbetonbrücke

Aufgrund der Vorplanung konnte der vollständige Bewehrungskorb nach wenigen Stunden aus der Schalung gehoben und mit der Betonage begonnen werden. Diese Prozedur dauerte aufgrund des besonders leistungsfähigen Betons der Firma Max Bögl weniger als eine Stunde. Zusätzlich konnte vollständig auf Verdichtungsarbeiten verzichtet werden. Nach zwei Tagen konnte die Brücke aus der Schalung gehoben und um 180° gedreht werden.

Im letzten Arbeitsschritt wurde die Brücke zur Baustelle transportiert und dort in nur wenigen Stunden auf die vorbereiteten Lager positioniert. Hierfür waren wegen des geringen Gesamtgewichts nur zwei Kräne notwendig. Somit hat die Carbonbetonbrücke weitere logistische Vorteile. Noch am selben Tag konnte die Fuß- und Radwegbrücke zum Überqueren des Flusses genutzt werden.

Fazit

Aufgrund der korrosionsbeständigen Bewehrung können Tragwerke aus Carbonbeton im Vergleich zu Stahlbetonbauteilen deutlich schlanker und nachhaltiger ausgeführt werden. Dies wird durch die 15,55 m lange Brücke eindrucksvoll verdeutlicht. Sie zeigt, dass der Carbonbeton auch für großformatige Bauwerke mit komplexem Tragverhalten geeignet ist, bei denen vollständig auf Stahlbewehrung und Spannstahl verzichtet werden kann. 

Carbonbetonkonstruktionen sind materialreduzierte Bauwerke, deren nicht-korrodierende Eigenschaften auch nachhaltig die Kosten für den Bauträger senken. Aufgrund dieser Eigenschaften kann zudem davon ausgegangen werden, dass die gewünschte Lebensdauer von 80 Jahren deutlich überschritten wird.

Die vorgestellte Fußgängerbrücke wurde von der Firma solidian gefördert und finanziert. Zusammen mit den beteiligten Partnern Max Bögl, Knippers Helbig und IMB RWTH Aachen wurde die weltweit erste Carbonbetonbrücke ohne Stahlbewehrung erfolgreich realisiert und somit ein Meilenstein im Betonbau gesetzt.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 März/April