Die Anfänge der Müllverbrennung in Deutschland

Müll gibt es seit jeher

Beitrag von Dr. Sebastian Kasper Deutsches Museum München

Provokant heißt es in einem Artikel der Agramer Zeitung vom 19. 02. 1897: „Man fragt sich dem gegenüber unwillkürlich, stehen wir nicht auf diesem Gebiet, aus purer Bequemlichkeit und bloßem Mangel an Initiative, weit gegen die englischen Gemeinden zurück?“ [1]. Dass ein Autor im 19. Jahrhundert den eigenen Rückstand gegenüber der Weltmacht England beklagte, scheint wenig verwunderlich. Interessant ist jedoch, für welches „Gebiet“ er die eigene Rückständigkeit diagnostizierte: Die Müllbeseitigung. Ein Thema, das vermutlich die wenigsten mit der Pionierleistung Großbritanniens in Verbindung gebracht hätten.

Die Problematik der Müllentsorgung verfolgt die Menschheit seit ihrer Sesshaftwerdung, wurde jedoch durch das Bevölkerungswachstum und die Urbanisierung in Folge der Industrialisierung massiv verschärft. Im oben zitierten Artikel heißt es hierzu: „Eine communale Verwaltungsfrage, deren Wichtigkeit mit der Bevölkerungszunahme steigt, und die in vielen Großstädten heute zu den dringendsten und schwierigsten Forderungen der Hygiene gehört, ist die Beseitigung der massenhaften Abfälle und Abgänge, die in den Wohnungen vieler Tausende von Menschen täglich erzeugt werden.“ Das bis dahin übliche Vorgehen, den Abfall einfach „vors Stadtthor“ zu fahren, stieß an seine logistischen Grenzen, verpestete „auf Kilometer die Luft mit empörendem Gestank“ und war auch eine ernsthafte Gesundheitsgefahr.

Die britische Lösung kommt nach Deutschland

In Großbritannien versuchte man dieses Problem zu lösen, indem man seit den 1870er-Jahren begann, großtechnische „Müllverbrennungsanstalten“ zu bauen. Um 1900 gab es schon weit über 100 Anlagen, davon allein in London 14 Stück. In Deutschland verlief die Entwicklung etwas schleppender, auch wenn diese Technik zunächst begeisterte Nachahmer fand. Die erste Anlage wurde in Hamburg nach einer verheerenden Choleraepidemie in den 1890er-Jahren errichtet; weitere folgten in Kiel, Wiesbaden, Frankfurt a. M. und anderen Städten.

In Süddeutschland wurde die erste Müllverbrennungsanlage 1911 in Fürth gebaut. Zur Eröffnung verkündete das technische Betriebsamt der Stadt selbstbewusst: „Somit hat die Stadt Fürth, dank der fortschrittlich gesinnten Stadtverwaltung […] wieder einen Schritt vorwärts getan, um gesünder zu werden nach innen und außen. Es ist vom Standpunkt der Volksgesundheit nur zu wünschen, daß sich auch anderer Städte bei Zeiten ein solches Vorbeugungs- und Linderungsmittel gegen ihre gemeinsame unvermeidliche Krankheit – den Unrat – verschreiben.“ [4, S. 24].

Wirtschaftlichkeit bestimmt die Methode

Müllverbrennung wurde also mit Fortschritt und Hygiene assoziiert. Dennoch ebbte die anfängliche Euphorie bald ab. Seit den 1910er-Jahren wurden mehr Anlagen stillgelegt als neu gebaut. Das lag auch daran, dass die Technik nicht so effizient wie erwartet funktionierte und hohe Kosten im Betrieb zur Folge hatte. Ob es wirklich an der besonders schlechten Qualität des deutschen Mülls lag, wie damals oft zu lesen war, sei dahingestellt. Obwohl auch schon die frühen Anlagen die Wärme entweder direkt zur Raumheizung verwerteten oder damit Elektrizität erzeugten, war die Deponierung von Müll schlussendlich einfach wirtschaftlicher als dessen thermische Nutzung. Anfang der 1950er-Jahre waren nur noch zwei Müllverbrennungsanlagen in Deutschland in Betrieb. Als sich die Anlagentechnik jedoch weiterentwickelt hatte und ab den 1960er-Jahren die Abfallmenge durch den Massenwohlstand stark wuchs und die Deponiekosten – nicht zuletzt durch Umweltauflagen – stiegen kam es zu einem Comeback der Müllverbrennung.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 04/2023 JUL/AUG