Wir wollen das beste Müllsystem für München finden

Interview mit Kristina Frank, Kommunalreferentin und Erste Werkleiterin des Abfallwirtschaftsbetriebs München.

München ist als erste deutsche Millionenstadt dem Zero-WasteEurope-Netzwerk beigetreten. Über zukünftige Abfallkonzepte sprach die TIB mit Kristina Frank.

Technik in Bayern: Wie geht die Stadt München momentan das steigende Müllproblem an?

Kristina Frank: Aktuell werden in München durch das vom Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM) gestellte Erfassungssystem (3-Tonnen-System und Wertstoffhöfe) rund 56 % der Abfälle dem Recyclingprozess zugeführt. Das gilt es als Zero Waste City noch zu steigern, um maximal viele Abfälle richtig recyceln zu können. Der AWM hat dazu mit Unterstützung von externen Berater_ innen und in enger Zusammenarbeit mit städtischen Referaten, unterschiedlichen Organisationen, vielen Unternehmen und Akteur_innen der Stadtgesellschaft ein Zero-Waste-Konzept ausgearbeitet, das im Juli 2022 im Stadtrat beschlossen wurde.

Darin enthalten sind mittel- und langfristige Abfallreduktionsziele: Bis 2035 soll eine Reduzierung der Restmüllquote um 35 % erreicht werden. Außerdem wurden Ziele ausgearbeitet, die zu einer Reduzierung der Abfallmengen in der Stadtverwaltung, den Eigenbetrieben und Bildungseinrichtungen der Stadt München führen. Genauer beleuchtet wurden darüber hinaus z. B. die Bereiche Handel und Gewerbe sowie der Bausektor.

TiB: Im November letzten Jahres hat München bei Zero Waste Europe (ZWE) den Antrag gestellt, eine Zero Waste Certified City zu werden. Was bedeutet das genau?

Frank: München ist als erste deutsche Millionenstadt dem Zero-Waste-Europe-Netzwerk beigetreten. Es verbindet eine Vielzahl an Städten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihre Abfallmenge signifikant zu reduzieren und Ressourcen bestmöglich zu schonen. München befindet sich aktuell in der zweijährigen Kandidatenphase. Während dieses Zeitraums müssen erste Maßnahmen aus dem Zero-Waste-Konzept umgesetzt und nachgewiesen werden. Werden die Vorgaben von ZWE erfüllt, wird München „Zero Waste Certified City“. Der Zertifizierungsprozess wird von einer extra dazu ins Leben gerufenen Zero-Waste-Fachstelle begleitet.

TiB: Im Vorlauf des Antrages wurde ein umfangreiches Zero-Waste-Konzept mit einer Liste von 40 Top-Maßnahmen erstellt. Für den Start des Konzepts hat der Münchner Stadtrat für 2023 1,8 Mio Euro bereitgestellt. Welche Maßnahmen sind dies und welche werden Sie dieses Jahr starten?

Frank: Erste Maßnahmen aus dem Zero-Waste-Konzept sind bereits in der Umsetzung. Zum Beispiel bietet unser Gebrauchtwarenkaufhaus, die Halle 2, seit diesem Jahr vierteljährig ein Repair-Café an. So haben Münchner Bürger_innen die Möglichkeit, mit erfahrenen Reparateur_innen defekte Geräte wieder auf Vordermann zu bringen. Das spart nicht nur Geld, sondern auch wichtige Ressourcen. Oft sind es nur Kleinigkeiten, die repariert werden müssen, damit die Geräte wieder funktionieren.

Zudem soll die Halle 2 ab diesem Jahr verstärkt in die Quartiere gebracht werden. Hierfür werden aktuell geeignete Flächen für Pop-up-Stores gesucht.

Die Stadt München wird zusätzlich Kreislaufschränke fördern und die Bildungsarbeit zum Thema Ressourcenschutz verstärken. Daher werden beispielsweise die Kapazitäten des Müllmobils, das an Schulen zum Einsatz kommt und Kinder rund um das Thema Abfall informiert, schnellstmöglich ausgebaut.

Für die Münchner Bürger_innen bietet sich seit dem 10. Mai die Möglichkeit, immer mittwochs auf dem 1. Münchner Unverpackt-Wochenmarkt einzukaufen.

Zukünftig sollen auch städtische Events nach dem Zero-Waste-Konzept ausgerichtet werden. Zusätzlich zum schon bestehenden Mehrweggebot wird es weitere Maßnahmen, wie zum Beispiel den Verzicht auf Werbung in Papierform, geben.

Für 2023 ist zudem die Einführung einer Beratungsstelle für Gewerbe und Handel zur Circular Economy geplant.

Zeitnah soll auch eine Zero-Waste-Straße in München etabliert werden. Auf einer Zero-Waste-Straße arbeiten alle Anwohner_innen, Einzelhandelsgeschäfte, öffentliche Einrichtungen und Unternehmen zusammen, um die Abfallmengen zu reduzieren. Ideen hierfür sind beispielweise Rabatte in Cafés und Restaurants beim Mitbringen eigener Becher und Dosen oder die Unterstützung der Geschäfte beim Umgang mit unverkauften Waren.

Alle Maßnahmen werden wissenschaftlich begleitet.

TiB: Zur Umsetzung soll auch eine referatsübergreifende Zero-Waste-Fachstelle (ZWFS) entstehen. Welche Aufgaben hat die ZWFS und wie weit sind Sie hier?

Frank: In der ZWFS soll die langfristige Steuerung aller stadtweiten Zero-WasteAktivitäten erfolgen: Gesamtverantwortung für das Projekt, Maßnahmen-Check, Projektorganisation und Budgetverwaltung. Aktuell befinden sich die benötigten Stellen in der Ausschreibung, da das Geld dafür durch den Münchner Stadtrat erst Ende 2022 zur Verfügung gestellt wurde. Die ZWFS kann so vermutlich im Sommer 2023 ihre Arbeit aufnehmen.

TiB: Geplant ist als Pilotprojekt eine Wertstofftonne. Können Sie uns erklären, was da hineingehört, wer sie restverwertet und wo sie stehen soll?

Frank: Im Pilotprojekt werden neben der Wertstofftonne die Gelbe Tonne und der Gelbe Sack in 5 Münchner Vierteln getestet. So wollen wir – mit wissenschaftlicher Begleitung – das beste Müllsystem für München finden.

In die Wertstofftonne dürfen zusätzlich zu Verkaufsverpackungen aus Kunststoffen, Verbunden und Metallen sogenannte „stoffgleiche Nichtverpackungen (STNVP)“, eingeworfen werden. Das sind Gebrauchsgegenstände, die aus den gleichen Materialien wie Verkaufsverpackungen bestehen und mit diesen verwertet werden können, z. B. Pfannen, Kochtöpfe, Plastikeimer, Spielzeug aus Kunststoffen, Zahnbürsten, Klarsichthüllen, Scheren, Besteck, Gießkannen, Werkzeuge wie Schrauben, Hammer etc.

Der Restverwerter für die Wertstofftonnen wird über eine Ausschreibung im Sommer 2023 gesucht. Die Auswahl der Sortieranlagen beziehungsweise der Verwertungsanlagen ergibt sich dann daraus. Wichtig ist dem AWM, lange Transportwege irgend möglich zu vermeiden.

TiB: Eine der Maßnahmen ist das „ZeroWaste-Forschungs- und Innovationszentrum“ im Munich Urban Colab. Können Sie uns das Aufgabenfeld beschreiben?

Frank: Das Zero-Waste-Forschungs- und Innovationszentrum soll als Ideenschmiede dienen, in der sich interdisziplinäre Akteur_innen (u. a. Startups, Unternehmen, Politik und Universitäten) vernetzen und gemeinsam Technologien entwickeln und erproben können. Im Munich Urban Colab sind dazu etwa schon Angebote der UnternehmerTUM, wie u. a. Xpreneurs Incubator, Business Creators oder der Digital Hub Mobility, bereitgestellt. Dort könnten etwa Projekte im Rahmen des bundesweiten FONA-Programms realisiert werden.

Angedacht ist, lokale Lösungen für München zu entwickeln, um Abfälle besser zu vermeiden, zu sammeln, zu sortieren und möglichst effizient zu recyceln sowie zu verwerten. Ein bereits existierendes Projekt im Colab ist bspw. der intelligente Müllsammelroboter des Münchner Start-ups Angsa Robotics.

Die Landeshauptstadt München kann so durch Vermittlung von kommunalen Kontakten an Start-ups dabei unterstützen, Kooperationen aufzubauen und das Business Modell zu testen. Über das Munich City Lab im Colab wird den Akteur_innen im Colab ein schneller Austausch mit städtischen Entscheidungsträger_innen ermöglicht.

Außerdem können die Förderungmöglichkeiten der Stadt näher gebracht werden. Ich könnte mir vorstellen, so als Beispiel die geplanten Maßnahmen „Zero-WasteCard“ und „Plattform für zirkuläre Textilien“ hier umzusetzen.

TiB: Haben Sie konkrete Abfallmanagementsysteme zur Dekarbonisierung? Welche Strategien gibt es hier?

Frank: Unsere AWM-Strategie – und die des Betreibers Stadtwerke München GmbH (SWM) – umfasst geeignete technische Maßnahmen und eine optimierte betriebliche Praxis am Heizkraftwerk München-Nord für die Müllverbrennungs-Blöcke, um die klimarelevanten CO2 - und CH4 -Emissionen zu vermeiden bzw. zu minimieren. In einer zweiten Stufe werden nachgelagerte Dekarbonisierungsmaßnahmen beleuchtet (z. B. CO2 -Abscheidung und deren Speicherung bzw. Verwertung). Sie fließen in zukünftige Planungen ein.

Der AWM hat sich das Ziel (mittels Stoffstrommanagement) gesetzt, alle relevanten Stoffströme kreislauforientiert zu denken. Dazu gehören z. B. Lebenszyklusanalysen und die Stufennutzung des bei der Stadt München anfallenden Bioabfalls – oder auch eine Baustoffbibliothek.

Ebenso spielt unser Zero-Waste-Konzept eine große Rolle, indem bis 2035 eine Reduzierung der Restmüllquote um 35 % und eine Recyclingquote von rund 60 % erreicht werden sollen. Das Erreichen dieser Ziele führt zu einer merklichen Reduzierung der CO2 -und CH4 -Emissionen, sowohl bei den Transportprozessen als auch in der thermischen Abfallbehandlung.

TiB: München ist auch Pilotstadt der Circular Cities and Regions Initiative (CCRI) der EU-Kommission. Zur Ergänzung/Unterstützung der ZWFS soll im Referat für Klima- und Umweltschutz eine Circular-Economy-Koordinierungsstelle (CEKS) eingerichtet werden. Welche Aufgabenbereiche soll die CEKS abdecken und wann startet sie?

Frank: Die Circular-Economy-Koordinierungsstelle (CEKS) wurde in Absprache mit dem AWM bereits 2022 im Referat für Klima- und Umweltschutz eingerichtet. Sie entwickelt aktuell eine gesamtstädtische Circular-Economy-Strategie, über die konkrete Maßnahmen definiert und in die Praxis umgesetzt werden. Als erster Schritt wurde der erste kommunale Circularity Gap Report zusammen mit Circular Republic der UnternehmerTUM erarbeitet, eine Stoffstromanalyse für ganz München. Das Aufgabenspektrum der CEKS umfasst die Vernetzung der Vielzahl schon heute laufender städtischer Projekte mit Bezug zu Circular Economy. Darüber hinaus wird CEKS eine Beteiligungsund Wissensplattform für die Münchner Circular Economy Akteur_innen bilden. CEKS engagiert sich dazu in lokalen als auch bundesweiten und europäischen Netzwerken und wird Öffentlichkeits-, Bildungs- und Beratungsarbeit zur Verbreitung der Circular Economy unterstützen.

Das Interview führten Dina Barbian und Silvia Stettmayer

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2023 JUL/AUG