Zerowaste – mehr als eine Utopie

Beitrag von Frank Braun Vorstand Transition Netzwerk e.V

Wie würde unsere Welt aussehen ohne Menschen wie Martin Luther King oder, um ein aktuelleres Beispiel zu nennen, Greta Thunberg? Die damals 15-jährige Klimaschutzaktivistin verweigerte am 20. August 2018 erstmals den Unterrichtsbesuch um auf das Versagen von Politik und Wirtschaft in Sachen Klimaschutz hinzuweisen. Nein sagen ohne Antworten schuldig zu bleiben, ich denke genau das ist es, was diesen Menschen und Bewegungen Kraft gibt. Auch die globale Zerowaste-Bewegung ist eine solche Bewegung, die global Neues denkt und sich gegen die Vermüllung unserer Welt wendet. Konzepte wie Cradle-to-Cradle werden weltweit in neuen, nachhaltigen Produktdesigns umgesetzt. Mittlerweile gibt es ein globales Netzwerk von Zerowaste-Initiativen und -Städten, die diese Idee vervielfältigen wollen, aber was genau steckt hinter dieser Idee?

Die Abfallberge wachsen global Jahr für Jahr. In Deutschland hat sich das Abfallaufkommen zwar bei rund 415 Millionen Tonnen eingependelt, was aber angesichts der Innovationsflut in allen Lebensbereichen als Rückschritt zu betrachten ist. Auch eine andere Kennzahl entwickelt sich in die falsche Richtung. Bereits 2017 veröffentlichte das United Nations Environment Programme, dass sich der weltweite Primärmaterialeinsatz seit 1970 auf über 92 Milliarden Tonnen im Jahr 2017 mehr als verdreifacht“ hat. Gleichzeitig wird der Lebenszyklus vieler Produkte immer kürzer und beschleunigt die Vermüllung von Wertstoffen. Fastfood, Fastfashion, Wegwerfgesellschaft sind nur drei Begriffe, die sinnbildlich für eine Fehlentwicklung stehen, für die es längst Alternativen gibt.

Zugegeben, das Thema ist komplex und es braucht (idealerweise koordiniertes) Handeln seitens Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die gute Nachricht ist, egal ob Kommune, Firma oder Individuum, was das Thema Ressourcenverschwendung angeht, haben wir enormes gesellschaftliches Optimierungspotential. In Nürnberg haben wir (die Transition Town Initiative Bluepingu e.V.) 2010 angefangen an der Vision einer weitestgehend abfallfreien Stadt mitzuarbeiten. Vorbild war uns die Vision von Cradle-to-Cradle (C2C), die der Hamburger Professor und ZerowastePioneer Michael Braungart mitentwickelt hat. Bereits 2002 hatte er in einem Buch die Vision einer abfallfreien Kreislaufwirtschaft erstmals vorgestellt. Die Vision von C2C (wörtlich: von der Wiege zur Wiege als neue Idee eine Produktlebenszyklus) in der alle Wertstoffe in Kreisläufen nach der Nutzung entweder zu Kompost (natürlicher Kreislauf) oder wieder zu Wertstoff (technischer Kreislauf) werden sollen (s. Abb. rechts) ist immer noch bestechend und mittlerweile auch in vielen Produktentwicklungsprozessen in die Praxis umgesetzt worden. Die Idee basiert auf drei Grundsätzen:

  • Nährstoff bleibt Nährstoff: Alle in der Produktion verwendeten Rohstoffe können ohne Qualitätsverlust wiederverwendet oder biologisch abgebaut werden und so weiteren Produktionsprozessen dienen.
  • Erneuerbare Energien: Die Herstellung von Produkten erfolgt ausschließlich mithilfe erneuerbarer Energiequellen.
  • Diversität: Produktionsprozesse sollen nicht vereinheitlicht werden, sondern biologische und kulturelle Vielfalt einbeziehen.

Eine Reihe von Firmen wie C&A, Frosch oder Stabilo haben Produkte nach dem C2C-Prinzip entwickelt. So besteht beispielsweise der Greenpoint-Filzstift von Stabilo, der in verschiedenen Farben erhältlich ist, zu 87 Prozent aus recycelten Rohstoffen. Ob ein Produkt C2C-zertifiziert sein kann, entscheidet sich bei der Produktentwicklung. Aber auch im weiteren Lebenszyklus können wir erheblichen Einfluss auf Materialverlust nehmen.

Reduce, Reuse, Refuse, Recycle

So kann man die vier Grundbausteine einer Zerowaste-Strategie beschreiben. Egal ob Eisdiele, Büro, Produktionshalle oder Wäscherei, überall liegen die Optimierungspotentiale bereit. Letztendlich erzeugt Abfall aus betriebswirtschaftlicher Sicht Kosten für Ressourcen, die keinem Nutzen gegenüberstehen. Als erste Stadt in Deutschland hatte sich Kiel 2020 das Ziel gesetzt Zerowaste-Stadt zu werden und sich in diesem Zuge dem Netzwerk „Zero Waste Europe“ angeschlossen. Mittlerweile sind eine Reihe deutscher Städte diesem Beispiel gefolgt. So will man in Kiel bis 2035 sein Abfallvolumen halbieren, in München soll das Abfallvolumen beim Restmüll im gleichen Zeitraum um 35 % reduziert werden.

Unterstützt wird die Verwaltung durch Zerowaste-Initiativen, Zerowaste-Läden, Beachcleaner und Lebensmittelretter, die an unterschiedlichen Stellen im System mitwirken, unseren Ressourcenverbrauch bewusster zu gestalten. Reduzieren, wiederverwenden, Sinnloses verweigern und wiederverwerten sind dabei die wesentlichen Hebel, um der Vision einer Zerowaste-Stadt näher zu kommen. So hat die Zerowaste-Gruppe von Bluepingu e.V. gemeinsam mit anderen Initiativen in Nürnberg die Idee der „Zerowaste-Helden“ ins Leben gerufen. „Zerowaste-Helden“ werden Unternehmen, die sich in besonderer Weise um das Thema der Abfallvermeidung verdient machen, wie z. B. die Eisdiele „Eis im Glück“ in Nürnberg. Dort werden Eis und Milchshake im Mehrwegsystem Recup (https://recup.de) angeboten oder auch in mitgebrachte Gefäße gefüllt. Servietten (aus Recyclingpapier) sind ebenso selbstverständlich wie die Verwendung von Zuckerstreuern, Papierstrohhalmen und Löffeln aus Holz. Auf Deko-Papierservietten unter Kaffeetassen wird verzichtet. Das Beispiel zeigt wunderbar wie bewusster Materialeinsatz einhergeht mit einem veränderten Verhalten von Kunden (z. B. ich bringe mein eigenes Gefäß mit), um hier nachhaltig zu verändern.

Auch am Arbeitsplatz gibt es jede Menge Möglichkeiten zum effektiven Umgang mit Ressourcen, die einfach umzusetzen sind. Egal ob Papier (z. B. doppelseitiges schwarz-weiß drucken als Standardeinstellung an allen Druckern festlegen) oder Post (klimaneutraler Versand von Post z. B. mit MailworXs) oder Büromaterial (zentrale Sammelstelle für ausrangierte Ordner, Mappen etc. aus der zuerst geschöpft wird, ehe neu bestellt wird). Wenn wir beginnen unser gesamtes Konsumverhalten auf diese Weise zu hinterfragen, dann werden wir dem Traum einer „abfallfreien“ Stadt schnell näher kommen. Ein weiterer Schlüssel zur Vermeidung von Abfall ist der Blick auf den Lebenszyklus meiner Produkte vor dem Kauf. Beispiel Drucker: Wie hoch ist der Energieverbrauch? Was ist der Verbrauch an Tinte oder Toner? Ist doppelseitiges Drucken möglich? Ist SchwarzWeiß-Druck möglich? Alles Fragen, die übrigens nicht nur über den Ressourceneinsatz entscheiden, sondern auch die wahren Kosten bei der Anschaffung vergleichbar machen, Stichwort True-Cost, aber das wäre noch einmal ein anderes Thema.

Es gibt mittlerweile in allen Branchen Leuchtturmprojekte, von denen wir lernen können. Miteinander kooperieren anstatt zu konkurrieren ist für dieses Thema ohnehin ein weiterer großer Hebel. Wenn wir alle gemeinsam daran mitdenken und -arbeiten, dann kann die Vision einer Zerowaste-Stadt Schritt für Schritt Wirklichkeit werden.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 04/2023 JUL/AUG