Intelligente Implantate

Geringere Abmessungen bei höherer Komplexität und Funktionalität

Beitrag von  Prof. Dr. Wilfried Mokwa, Institut für Werkstoffe der Elektrotechnik I, RWTH Aachen und Dipl.-Ing. Michael Görtz, FhG Institut Mikroelektronische Schaltungen und Systeme, Duisburg

Durch den enormen Fortschritt in der Miniaturisierung werden „Intelligente“ Implantate der Zukunft weitaus geringere Abmessungen bei höherer Komplexität und Funktionalität als bisher aufweisen. Dieser Beitrag zeigt am Beispiel eines implantierbaren Drucksensors zur Überwachung eines Hirn-Shuntsystems sowie einer epiretinalen Sehprothese exemplarisch den erreichten Stand der Mikrosystemtechnik.

Verbesserte Mikroelektronische Implantate

Mikroelektronische Implantate wie Herzschrittmacher zur Unterstützung der Herzfunktion, Cochlea-Implantate zur Wiedererlangung des Hörvermögens tauber Menschen oder Tiefenhirnstimulatoren zur Kontrolle des Tremors bei Parkinson-Patienten werden schon seit einigen Jahren erfolgreich eingesetzt und wären ohne die Fortschritte in der Mikrosystemtechnik nicht denkbar.

„Intelligente“ Implantate der Zukunft werden weitaus geringere Baugrößen bei weiter gesteigerter Funktionalität aufweisen und damit völlig neue Anwendungen erschließen.

Implantierbarer Drucksensor zur Überwachung eines Hirn-Shuntsystems

Der Hirndruck liegt bei gesunden Erwachsenen bei ca. 10 mmHg. Verantwortlich dafür ist der Liquor, der in den Ventrikeln produziert wird. Normalerweise halten sich Produktion und Resorption die Waage. Durch Entzündungen, durch Schädel-Hirn-Traumata oder durch eine angeborene Fehlbildung kann dieses Gleichgewicht gestört werden, so dass der Hirndruck stark ansteigt. Bleibende Hirnschädigungen können die Folge sein.

Um diesen Druck zu reduzieren wird üblicherweise ein Shuntsystem implantiert, das den überschüssigen Liquor in den Bauchraum ableitet. Steigt der Druck über einen Schwellenwert, öffnet das Ventil, sinkt er wieder darunter, schließt es. In seltenen Fällen kann es zu einer Überdrainage kommen. Dabei sinkt der Hirndruck zu stark, die Hirnkammern werden quasi ausgesaugt. Bislang können Ärzte eine Überdrainage nur über aufwändige und teure CTs oder MRTs nachweisen. Eine Druckmessung im Shuntsystem erleichtert die Diagnose ganz wesentlich.

Implantierbarer Drucksensor zur Überwachung eines Hirn-Shuntsystems

In Kooperation mit den Firmen Aesculap AG und Christoph Miethke GmbH & CO KG hat das Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme ein System zur drahtlosen Messung des Liquor-Drucks in einem ventrikulären Drainagesystem entwickelt.

Das System besteht aus einem implantierbaren Transponder mit einem ASIC zur Druck- und Temperaturmessung und einer externen mobilen Leseeinheit. Der Transponder benötigt zum Betrieb keine Batterie, vielmehr empfängt er die benötigte Energie aus dem elektromagnetischen Feld, das die Leseeinheit mit einer Frequenz von 133 kHz abstrahlt. Die gemessenen Sensorwerte werden durch Lastmodulation des Trägerfeldes auf das Lesegerät übertragen.

Analoge und digitale Schaltungen, die Elemente zur HF-Übertragung und zur Bereitstellung der benötigten Spannungen sowie ein EEPROM befinden sich ebenfalls auf dem ASIC. Im EEPROM werden Kalibrierdaten, Prüfbits sowie Daten zur Identifizierung gespeichert. Nach der Kalibrierung wird ein typischer Fehler von < 0,8 mmHg erreicht. Das Druckmesssystem ist seit 2014 als Langzeit-Implantat im Menschen zugelassen [1].

Epiretinale Sehprothesen: Implantierte Mikrochips auf der Netzhaut

In Deutschland sind rund 10.000 Menschen an Retinitis Pigmentosa erkrankt. Bei dieser erblichen Netzhauterkrankung erblinden die Patienten schleichend. Die Sehzellen, die in der Netzhaut des Auges Licht in elektrische Impulse umwandeln, degenerieren allmählich. Eine Behandlung war bislang nicht möglich. Trotz der zerstörten lichtempfindlichen Zellen sind die Nervenzellen, die die Sehinformation zum Gehirn weiterleiten, noch zu ca. 30 % intakt. Eine elektrische Stimulation dieser Nervenzellen löst Aktionspotentiale aus, die über die Sehnervenfasern an den visuellen Cortex weitergeleitet werden und dort eine Sehwahrnehmung bewirken [2].

Im Rahmen eines BMBF-geförderten Projekts haben Wissenschaftler der RWTH Aachen und des Duisburger Fraunhofer-Instituts, der Universitätsaugenkliniken in Aachen und Essen und der Universität Marburg zusammen mit drei KMUs eine epiretinale Sehprothese (Epiret III) entwickelt, die vollständig ins Auge implantiert wird. Eine externe Einheit empfängt die Bilder mit einer Mikrokamera. Die Bildinformationen werden in geeignete Stimulations-Reizmuster umgewandelt. Wie beim Hirn-Shuntsystem werden diese Daten und die benötigte Energie drahtlos auf das Implantat übertragen. Die Stimulationseinheit des Implantats erzeugt gemäß der übertragenen Information Stimulationspulse, die an ein Mikroelektrodenarray weitergeleitet werden, das auf der Retina die Nervenzellen stimuliert.

Einsatz der Netzhaut-Chips

Das System (vgl. Abb. 1) wurde bei sechs blinden Patienten für vier Wochen eingesetzt. Die Patienten berichteten, dass sie Helles und Dunkles unterscheiden sowie Punkte und Linien erkennen konnten [3].

So übernehmen implantierte Mikrochips die Funktion von abgestorbenen Nervenzellen der Retina. Ziel der Weiterentwicklung solcher Systeme ist es, die Anzahl der Elektroden deutlich zu vergrößern, ein wesentlich größeres Gesichtsfeld zu realisieren sowie die Funktionalität weiter zu steigern. So entwickeln Wissenschaftler der RWTH Aachen und der Universität Duisburg/Essen einen epiretinalen Stimulator mit integriertem CMOS-Kamera-Chip. Das Bild, das durch die Augenlinse auf die Retina fällt, soll von diesem Chip aufgenommen und in entsprechende Stimulationspulse auf der Retina umgesetzt werden [4]. Damit wird eine externe Kamera zur Bildaufnahme überflüssig.

Literatur

[1] Crawack, H. J., Mikrosystemtechnik in Deutschland 2016, Herausgeber trias Consult Berlin, 2016, 34-35
[2] Humayun M S et al., Arch. Ophthalmol. 1996; 114: 40-46
[3] Roessler, G. et al., Investigative Ophthalmology & Visual Science 50,6 (2009) 3003 – 3008.
[4] DFG-Projekt OPTOEPIRET

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 September/Oktober