Die Kernfrage bei 5G ist das Geschäftsmodell

Interview mit Jochen Mezger, Leiter des Geschäftsfeldes Netztechnologien beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) in München

5G wird die Mediennutzung verändern. Welche Auswirkungen sieht das IRT und mit welchen 5G relevanten Themen beschäftigt sich das Institut? Die TiB sprach darüber mit Jochen Mezger, um näheres zu erfahren. Weiterhin ging es im Gespräch auch darum, inwiefern der neue Mobilfunkstandard notwendig ist und was mit den älteren Mobilfunkstandards geschehen wird.

Technik in Bayern: Herr Mezger, warum besteht die Notwendigkeit eine neue Mobilfunkgeneration einzuführen?

Jochen Mezger: 5G hat auf der einen Seite den Anspruch, dass es eine Ende-zu-Ende-Kommunikation gibt, die ganz neue Industriezweige mit einbindet.

Das wäre beispielsweise der Automotive-Bereich mit dem Autonomen Fahren, die Industrie 4.0 mit der drahtlosen Kommunikation in Fabriken, das Smart Grid, also die Energienetze, das Internet der Dinge und unser Bereich Medien und Entertainment. Auf der anderen Seite gibt es den Bedarf an schnelleren Datenübertragungsmöglichkeiten gepaart mit kürzerer Latenzzeit und größerem Datenvolumen. Alles zusammen hat die Notwendigkeit für 5G geschaffen.

TiB: Aber z.B. für Industrie 4.0. mit freistehenden Maschinen mit Netzanschluss brauchen wir doch kein 5G, oder doch?

Mezger: Diese Kritik kommt oft und viele Dinge kann man heute schon mit 4G machen. Ein wichtiger Grund für 5G ist die Verkürzung der Latenzzeiten, sprich Echtzeit-Reaktionszeiten, die Sie mit WLAN nicht haben. Natürlich gibt es auch Anwendungen, bei denen auch wir 5G nicht für notwendig erachten, z.B. gibt es im E-Health-Bereich modern ausgestattete Operationssäle mit allerbester Stromversorgung und bester Internetanbindung ohne zeitkritische Anwendungen. Beim Autonomen Fahren brauchen Sie natürlich 5G, wobei wir immer sagen, dass ein autonom fahrendes Auto auch ohne Netz zurechtkommen muss. Die Vorstellung, dass ich z.B. im Bayerischen Wald ein lückenloses 5G-Netz bekomme, ist aber für viele, viele Jahre illusorisch.

TiB: Mit welchen 5G relevanten Themen beschäftigt sich das IRT?

Mezger: Wir beschäftigen uns in erster Linie mit der Frage, was der Mensch macht, wenn er in einem autonomen Fahrzeug sitzt. Und diese Frage ist spannend, denn man gewinnt relativ viel Zeit, z.B.im Pendlerverkehr. Hier sind die Themen Kommunikation, Arbeiten, Gaming und Mediennutzung. Wir überlegen uns, wie wir linearen (programmgesteuerten) und nicht linearen (z.B. aus Mediatheken) Medienzugang bereitstellen, vielleicht auch schon kombiniert mit Geoinformationen. Hier gibt es viele Möglichkeiten, die Mediennutzung interessant zu gestalten. Natürlich bewegen wir uns im Rahmen der Gesetzgebung, hier dem 5-Stufen-Plan für Autonomes Fahren.

TiB: Wozu braucht der Rundfunk bei 5G eigene Netze?

Mezger: Im Mobilfunkbereich gibt es sog. Unicast-Verbindungen, also Verbindungen von einer Basisstation zu einem Teilnehmer. Nun gibt es heute schon eine starke Asymmetrie zwischen Up- und Downlink. Wenn jetzt z.B. bei Weltmeisterschaften alle ein Fußballspiel anschauen, dann müssen Sie Millionen identische Streams aussenden. Das ist extrem ineffizient bezüglich der Spektrumnutzung und des Aufwandes, den man betreiben muss.

Und der Rundfunk muss auch jede einzelne Datenübertragung an die Netzbetreiber bezahlen. Je mehr Erfolg man hat, desto ärmer wird man. Das ist kein schönes Geschäftsmodell. Wir arbeiten an Broadcast-Modi für Mobilfunk, die attraktiv sind, damit wir in Hochlastfällen sprich: viele Menschen wollen gleiche Inhalte gleichzeitig anschauen, effizient, frei zugänglich und kostengünstig übertragen können. Und deshalb wollen wir uns die Option offenhalten, dass der Rundfunk eigene Netze betreiben kann.

TiB. Warum wird gerade jetzt sehr stark in Lösungen für 5G geforscht?

Mezger: Natürlich wird 5G erst in einigen Jahren relevant, aber 5G wird jetzt standardisiert und wir müssen unsere Anforderungen jetzt einbringen. Ein Thema ist für uns „Free-to-Air“, also die freie Nutzung von Rundfunkinhalten, ein anderes beschäftigt sich damit, dass ein mobiles Gerät immer in der Lage ist, zu empfangen, unabhängig vom Netzbetreiber. Wir wollen in der Lage sein eigene, wir sagen Standalone-Netze, zu betreiben, die dann in der Lage sind, Rundfunkinhalte im Download-Bereich bereitzustellen. Auch im linearen Bereich, bei Wahlen, Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften sehen wir eine steigende Nutzung und Nachfrage und wir glauben, dass das in Zukunft noch zunimmt, ergänzt durch die On-Demand-Inhalte. Ganz wichtig ist, dass wir hier nicht von der Netzabdeckung einzelner Netzbetreiber abhängig sind.

TiB: Gibt es hier Konkurrenzen mit den anderen Anbietern?

Mezger: Ich würde sagen ja. Video oder Rundfunk sind die härtesten Anwendungen für Datenvolumen, UHD für die Videoübertragung in Fahrzeugen ist schon sehr anspruchsvoll. Wenn wir über drahtlose Übertragung reden, dann reden wir auch über das Spektrum (Frequenzbereich) und die Frage, wer das Spektrum bekommt. Wir wollen unser Rundfunk-Spektrum nicht hergeben und sind Verfechter eines eigenen Spektrums für verschiedene Industriebereiche. Diese Unabhängigkeit ist ein großer Wert.

Bei der anstehenden Versteigerung der Spektren für 5G gibt es den Vorschlag der Bundesregierung ein eigenes Spektrum für Nicht-Mobilfunker bereitzustellen. Im Gespräch ist das C-Band, in dem man 100 Megahertz für Dienste und Applikationen aus dem 5G-Bereich, die nicht Mobilfunk sind, reservieren will. Nicht jeder Industriebereich ist in der Lage, ein bundesweites, dichtes Netz aufzubauen und auch die Firmen in der Industrie 4.0 wollen unabhängige Netze haben.

TiB: Die Frequenzversteigerung ist also – nicht nur durch eine mögliche Ausbauverpflichtung – eine wichtige politische Frage?

Mezger: Natürlich, denn bei 5G ist eine Flächenversorgung im Gigahertz-Bereich richtig schwer und richtig teuer. Wir können mit dem Sender Wendelstein mit seiner 100kW-Sendeleitung eine Versorgung bereitstellen, die mit kleinstzellulären Netzen nie erreicht wird. Wir hoffen hier auf clevere Auktionsbedingungen.

TiB: Das beißt sich doch mit dem Anspruch der Mobilfunkbetreiber, die möglichst viel Kapazität in die Fläche bringen wollen?

Mezger: 5G ist am Ende eine Frage der Ökonomie. Die Kernfrage bei 5G ist das Geschäftsmodell. Heute ist es einfach: Der Mobilfunk baut aus und verkauft dann eine SIM-Karte und einen Vertrag, mit dem der Kunde dann Zugang zu bestimmten Datenraten bekommt. Wenn wir bei 5G über neue Industriezweige reden, dann muss sich das Geschäftsmodell zwingend ändern. Beim Internet der Dinge und beim Autonomen Fahren kann es nicht sein, dass ich jedes Auto oder jede Maschine zuerst mit einer SIM-Karte ausstatte. Hier muss es Modelle geben, die den Endkunden von regelmäßigen Zahlungen freistellt. Das heißt nicht, dass kein Geld fließt, aber es braucht Guthaben oder Gebühren, die beim Kauf schon eingeflossen sind.

TiB: Sie sprechen von Geld: Wer bezahlt eigentlich 5G?

Mezger: Also es gibt ja viele Profiteure: Die Politik z.B. findet 5G ganz toll, denn sie will in einem modernen Licht erscheinen. Dann gibt es die Forschung mit einem neuen Thema und vielen Fördergeldern. Die Industrievertreter wollen es auch, denn es vereinfacht die Prozesse und die Ausrüster sagen auch „wunderbar, jetzt kann ich mein Netzequipment austauschen“.

Und dann gibt es die, die am Ende einen guten Teil der Rechnung bezahlen müssen. Das sind die, die die Netze aufbauen und die Dienste anbieten. Und die wollen 5G auch haben, weil sie im Wettbewerb stehen. Am Ende wird man die Frage stellen, wo wird 5G gebaut, wie tragfähig sind die Geschäftsmodelle und gibt es jemanden, der neues Geld in das System bringt. Wenn es neue Industrien gibt, die Teil des Systems sind und tatsächlich investieren, dann hat es Chancen. Schwierigkeiten sehe ich aber im ländlichen Raum.

TiB: Ältere, aber nach wie vor erfolgreiche, Mobilfunkstandards, wie z.B. GSM gibt es nach wie vor (und das seit 25 Jahren). Werden diese mit 5G irgendwann abgeschaltet werden?

Mezger: GSM wird es meiner Meinung nach noch sehr lange geben, weil viele Geräte, z.B. alle Notruf- und viele Maschineneinrichtungen damit übertragen. Man muss wissen, dass diese Infrastruktur sehr langlebig ist, sie haben mindestens einen zehnjährigen Investitionszyklus.

TiB: Wird es auch 6G geben und wann wird es kommen?

Mezger: Wir sprechen bei der Nachfolgegeneration von „Beyond 5G“. Hier wollen sich alle die Unternehmen engagieren, die für 5G nicht rechtzeitig fertig waren. Stichworte sind hier die Totalvernetzung im „Internet of Everything“, noch dichtere, optische Netze und eine globale Abdeckung durch Satelliten. Sehr wichtig werden in Zukunft sicher Softwarelösungen, also Konzepte, die bei einer Systemumstellung einen kompletten Hardwareaustausch durch Downloads ersetzen, das sog. Software Defined Radio SDR.

Das Interview führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer

Informationen über das IRT

Das Institut für Rundfunktechnik GmbH (IRT), gegründet 1956, ist das Forschungsinstitut aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz mit Sitz in München-Freimann und ein weltweit renommiertes Kompetenzzentrum für Rundfunk- und Medientechnik. Weitere Informationen finden Sie auf der Website unter www.irt.de/home.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2018 September/Oktober