Regenerative Energien mit Ästhetik

Beitrag von Prof. Dr. Sören Schöbel-Rutschmann, Professur für Landschaftsarchitektur Technische Universität München.

Derzeit tragen Windkraft und Photovoltaik mit je 55 GW Leistung zur deutschen Stromerzeugung bei. Sollen bis 2045 auch der Wärmesektor, Verkehr sowie Chemie- und Stahlindustrie auf regenerative Quellen umgestellt werden, erfordert dies eine Vervierfachung der Windenergie auf 215 GW und Versechsfachung der Solarenergie auf 385 GW [1]. Selbst mit Wasserstoffimporten, Offshore-Windenergie und Netzausbau, erfordert das eine Vervielfachung der bisherigen Landfläche für Windräder und PV-Freiflächenanlagen mit entsprechenden Folgen für das Landschaftsbild.

Landfläche ist zugleich Landschaft, Siedlungs- und Erlebnisraum. Auch wenn Erneuerbare Energien die Erdoberfläche nicht angreifen, verändern sie doch Landschaftsbilder. Obwohl – oder gerade weil – das heutige Erscheinungsbild im dicht besiedelten, autogerecht erschlossenen und flurbereinigten Deutschland erst wenige Jahrzehnte alt ist, verbinden einige Menschen, den vom eigenen Lebensstil ausgelösten Veränderungen zum Trotz, mit Landschaft einen eher statischen Zustand – und einen Anspruch auf Statuserhalt ihrer Wohn- und Freizeitumgebungen. Ein solches, widersprüchliches Statusdenken wird ausgerechnet durch das Planungssystem bestätigt, das die Energiewende räumlich ordnen soll. Anlagen Erneuerbarer Energien werden in Planungsverfahren nicht als zu gestaltendes und einzufügendes Element, sondern stets als Eingriff, als Störung und Belastung behandelt – und dort konzentriert, wo die bestehende Landschaft angeblich geringwertig bzw. vorbelastet sei.

Zwar können Erneuerbare Energien aus Gründen des Erhalts des Landschaftsbilds nach dem Naturschutzgesetz nicht direkt verboten werden – über die Eingriffsregelung nur mehr oder weniger verteuert –, indirekt wirkt dieses Paradigma aber mächtig in der Regional- und Bauleitplanung. Hier werden, auch wenn die Verfahren so heißen, gar keine „geeigneten“ Standorte konzipiert, sondern „abschichtend“ mit einer Kaskade von Ausschlusskriterien solange Gebiete ausgeschlossen, bis den Vorgaben gerade noch entsprechende Restflächen verbleiben, die in dieser Logik als „vorbelastet“ oder „geringwertig“ bewertet werden. Gestaltung, Ingenieurskunst und Baukultur spielen überhaupt keine Rolle. Das führt, angesichts der notwendigen Vervielfachung des Bestandes, nicht nur zu einer viel zu geringen Flächenausweisung, sondern auch direkt in einen gesellschaftlichen Konflikt, weil das Planungssystem genau das Gegenteil von dem vertritt, was von der Bevölkerung verlangt wird: dass Erneuerbare Energien als neue Landschaftselemente akzeptiert werden.

Eine ästhetisch gelingende Energiewende müsste dagegen zwei Herausforderungen meistern: die technischen Anlagen selbst als Aufgabe von gutem Industriedesign zu verstehen und ihre passende Anordnung in der Landschaft als Aufgabe von Landschaftsarchitektur – um so die neuen Elemente und die bestehende Eigenart der Landschaft in einen positiven Zusammenhang zu bringen. Vorbilder hierfür gibt es in vielen Nachbarländern, vor allem in Holland, Dänemark, Belgien, Frankreich und Schottland, die der Europäischen Landschaftskonvention folgend die Energiewende als Gestaltungsaufgabe in jeder Landschaft auffassen. Auch in Deutschland gibt es Ansätze einer positiven Ästhetik der Energiewende.

Industriedesign und Akzeptanz von Windenergieanlagen

Zunächst werden aber Windenergieanlagen immer größer, schwerer und leistungsfähiger, zugleich müssen Kosten in Herstellung, Transport und Montage gesenkt werden, auch durch neue Turmbauweisen. Erschienen bisher Hybridtürme aus Betonsegmenten und Stahlrohr sowohl in der Oberfläche der Verbindungen „monolithisch“, werden beim kostenoptimierten Modulturm mehreckige und höhengestufte Geometrien sowie Verbindungen zwischen Bauteilen und selbst die Antriebstechnik stärker sichtbar. Während beim Netzausbau über besser gestaltete Freileitungsmasten diskutiert und von Netzbetreibern auch innovative Industriedesigns für ihre Masten angekündigt werden [2], scheint die Entwicklung bei den Windrädern also genau in die umgekehrte Richtung zu laufen: die Frage, welches Design von Windenergieanlagen in der Landschaft auf mehr oder weniger Akzeptanz führt, findet in diesem technisch-ökonomischen „Konsolidierungsprozess“ kaum Beachtung.

Eine Ausnahme bildet ein vom BMWi gefördertes Projekt von Statikern der TU Berlin, das von einer Akzeptanzstudie mit Umweltpsychologie, Industriedesign und Landschaftsarchitektur begleitet wurde [4]. Um eine völlig neue Sockelkonstruktion zu prüfen, wurden Anwohnerinnen und Anwohner anhand von Visualisierungen zu verschiedenen Turmdesigns befragt, wobei eine erste Auswertung darauf hinweist, dass zwar dem gewohnten Bild der Vorzug gegeben wird, alternative Konstruktionen ebenfalls auf Akzeptanz stoßen, reine Stahlgittermasten und skulpturale Formen aber eher schlechter abschneiden.

Landschaftsarchitektur von Windenergieanlagen

Noch wichtiger als das Anlagendesign ist die Standortwahl. Windenergieanlagen können Strukturen der Landschaft folgend angeordnet werden, so dass sie leicht ersichtlich energetisch optimal ausgerichtet, in die bestehende Landschaft integriert werden und zugleich als Projekt des Gemeinwesens Sinn vermitteln. Beispiele hierfür sind der Tauern-Windpark in Österreich [3], der Windpark JettingenScheppach / Zusmarshausen entlang der A8 – auch wenn dieser wegen der 10HRegelung nur als einseitige Allee ausgeführt werden konnte – und die den Hochpunkten folgenden Anlagen in Berg über dem Starnberger See.

Solaranlagen als Textur und Landschaftselement

Einen anderen Weg geht Forschung zur Ästhetik der Photovoltaik. Hier sind bisher vor allem die Anordnungen standardisierter Module auf Hausdächern auf gute und schlechte Lösungen untersucht worden; in der Schweiz [5] und in Italien hat man, speziell im Denkmalschutz auch alternative Farben und Formen von Modulen entwickelt, so dass auf herkömmlichen Dächern ähnliche Oberflächentexturen entstehen, was erheblich zur Integration der Anlagen beitragen kann, aber wegen der geringen Marktnachfrage bisher mit deutlich höheren Kosten verbunden ist. Im Vergleich zu den Dachlandschaften fehlt bislang bei Solar-Freiflächenanlagen eine Auseinandersetzung mit Formationen und Texturen bisher.

Dabei werden Gemeinden zunehmend mit Bauanträgen für großflächige Freiflächenanlagen konfrontiert. Dies erfordert, solange eine Kombination von PV und Landwirtschaft (Agri-PV) im Außenbereich nicht erlaubt ist, die Festsetzung von Sondergebieten, und auch hier führt das EEG zu immer größeren Anlagen. Dies erlaubt es kaum, die vorhandene Landschaft in ihrer Gestalt, Flur- und Wegestruktur – und in ihrer Zugänglichkeit – den Solarpark hindurch zu erhalten. Da das Ziel, einen Gebietscharakter auch mit neuen Anlagen zu erhalten, im allgemeinen Planungssystem nicht vorkommt, lassen sich ästhetische Konzepte derzeit nur in großflächigen Landschaftsschutzgebieten durchsetzen, wo dem Erhalt der Eigenart und der Ordnung der Nutzung Erneuerbarer Energien gleichermaßen Vorrang eingeräumt werden können. Beides ist im zu etwa 80 % vom Landschaftsschutzgebiet Oberer Bayerischer Wald belegten Gebiet der Stadt Roding im Kreis Cham der Fall. Hier hat der Zukunftsausschuss des Stadtrates mit einem gleichstarken Bürgerinnen- und Bürgerbeirat, begleitet von der Landschaftsarchitektur der TU München, ein verbindliches Windund Solarkonzept entwickelt [6].

 

Danach müssen PV-Freiflächenanlagen nicht nur 100 m Abstand von Wohnnutzun gen aufweisen, die Anlagen müssen sich auch in die Landschaftsstruktur einfügen. Hierzu muss das Wegenetz offen bleiben und die Modulaufständerung muss dem Relief folgen, Modullinien dürfen in der Breite maximal 3,5 m betragen, so dass eine abwechslungsreiche Textur entsteht. Für sieben verschiedene Landschaftstypen wurden Maximalgrößen und Anordnungen festgelegt. So gelten in der Aue des Regen max. 2 ha große Anlagen auf Feuchtwiesen im Zusammenhang mit einer Wiedervernässung als städtebaulich verträglich. In den Höhenzügen dagegen im Zusammenhang zu landwirtschaftlich geprägten Weilern und Hofstellen im Außenbereich max. 3 ha große Freiflächenanlagen, soweit sie eine natürliche Hangneigung von mindestens 6 % aufweisen und auf mindestens zwei Seiten an mindestens 50m tiefe Gehölzbestände angrenzen. Bei Agri-PV-Anlagen, die nicht eingezäunt sind, können die maximalen Flächengrößen bis zum 2-fachen überschritten werden. Auch hier zielt das planerische Konzept also auf eine ästhetische Integration der Erneuerbaren Energien in die bestehende Landschaft und bezieht dabei soziale und ökologische Ziele mit ein.

Quellen:

[1] s. Agora 2020: Klimaneutrales Deutschland; vgl. ESYS 2021: energiesysteme-zukunft.de/publikationen/stellungnahme/wiedie-energiewende-gelingt

[2] Zu alternativen Strommasten siehe z. B. www.50hertz.com/de/Netz/Netzausbau/ compactLine

[3] de.wikipedia.org/wiki/Tauernwindpark

[4] Forschungsverbundprojekt „Windsocket“ (TU Berlin, FG Statik und Dynamik; Notus Energy Construction; Ostseestahl) / Akzeptanzstudie „Sockelgründung für Onshore-Windenergieanlagen 140 m+“ (Medical School Hamburg, Sozialpsychologie; Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle; Schöbel Landschaftsarchitektur). Der Bericht zur Akzeptanzstudie ist noch nicht erschienen. Der Bericht Windsocket ist unter www.tib.eu/de/suchen/id/TIBKAT:1684911486/ abrufbar.

[5] Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK Bundesamt für Energie BFE Sektion Cleantech: Farbige PV-Module für denkmalgeschützte Zonen und Gebäude. Das Pilotprojekt in Ecuvillens (FR)

[6] www.roding.de/lust-auf-roding/bauenund-wohnen/erneuerbare-energien/windenergie-und-solarfreiflaechenkonzept

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 Januar/Februar