Interferenzen im Rampenlicht

Beitrag von Eckhard Wallis, Deutsches Museum München

In diesem Artikel geht es um unerwartete Dinge: Glasscherben, Kleber, und einen tschechischen Szenografen. Es ist die Geschichte des Bühnenlasers BL70 von Siemens, Objekt Nummer 2007-1202 der Sammlung des Deutschen Museums.

Ein ästhetischer Reiz

Die Geschichte beginnt in den späten 1960er Jahren. In den Münchner Laboren der Firma Siemens beschäftigten sich Gerhard Winzer, Wolfgang Bergfeld, Achim Reichelt und Reinhard Schober – das WiBerg-Team – mit der kaum zehn Jahre alten Technologie des Lasers. Praktische Anwendungen kannten die vier Herren zu genüge: Datenübertragung, Vermessungswesen, Metallbearbeitung, die Kernfusion (auch damals schon!), Chirurgie und Augenheilkunde, holographische Datenverarbeitung, und vieles mehr. Aber ihr Interesse weckte etwas Anderes: Lichtverteilungen, „die außer dem wissenschaftlichen Aussagewert auch einen ästhetischen Reiz ausüben, der zum gestaltenden Spielen geradezu herausfordert.“

Zur gleichen Zeit suchte Josef Svoboda, der erwähnte tschechische Szenograf, nach immer neuen Wegen, um mit Licht sphärisch-abstrakte Bühnenlandschaften zu schaffen. Ein Besuch bei Siemens machte ihn auf die Möglichkeiten des Lasers aufmerksam. Ermutigt durch Svoboda und in engem Austausch mit ihm entwickelte das WiBerg-Team ein schlüsselfertiges System, den Bühnenlaser BL70. Seinen ersten Einsatz hatte er am 14. Juli 1970 bei der Eröffnung der Münchner Opernfestspiele: Svoboda nutzte das Lasersystem für das Bühnenbild für Mozarts Zauberflöte.

Wellenphänomene

Mit 600 kg auf fast fünf Kubikmetern war der Bühnenlaser ein wuchtiges System. Das Licht lieferten zwei Ionenlaser mit 0,7 Watt und 1,6 Watt Leistung. Zum Vergleich: Für frei verkäufliche Laserpointer liegt die maximale Leistung nach deutschen Normen bei einem Milliwatt.

Aus heutiger Sicht funktionierte der Bühnenlaser nach einem recht unerwarteten Prinzip. In den uns heute vertrauten Lasershows liefert der Laser einen perfekt geraden Lichtstrahl. Der Rest ist geometrische Optik, die komplexe Figuren auf Leinwände oder in den Nebel zeichnet. Das WiBerg-Team und Svoboda nutzten hingegen die Wellennatur des Lichts. Anders als herkömmliche Lichtquellen liefert der Laser kohärentes Licht, also Wellen im perfekten Gleichtakt. Wenn solche Wellen aufeinandertreffen, kommt es zur Interferenz: An manchen Stellen löschen sich die Wellen gegenseitig aus – Licht und Licht ergibt plötzlich Schatten!

Scherben fürs Museum

Besonders spannende Interferenzerscheinungen entstehen, wenn Licht an komplexen oder chaotischen Strukturen gestreut wird. Dann entstehen Muster, die kaum vorhersehbar sind, und weiche, fast schon organische Übergänge von Licht und Schatten auf der Bühnenleinwand. Im Siemens-Bühnenlaser wurden sogenannte Strukturkörper in den Strahlengang eingebracht und dort verschoben und gedreht. In den Sammlungen des Deutschen Museums sind 110 fein säuberlich nummerierte Glasscheiben in vier langen Holzkassetten erhalten geblieben. Neben Butzenscheiben oder Riffelglas finden sich auch mit Kleber verschmierte Scheiben oder solche, die mit Glasscherben beklebt sind. Die zusätzlichen transparenten Schichten und die eingeschlossenen Luftbläschen dienten als Streuzentren zur Erzeugung noch komplexerer Bilder.

Die Interferenzbilder passten zum Zeitgeist. Ebenfalls um 1970, aber in Kalifornien, entwickelte die Physikerin Elsa Garmire (heute emeritierte Professorin in Dartmouth) ein ganz ähnliches System für Lasershows. Mit dem psychedelischen Film „Death of the Red Planet“ schafften es ihre Laserbilder 1973 auf die Titelseite der Zeitschrift American Cinematographer. Doch Garmire kehrte der Kunst kurz darauf wieder den Rücken. Auch die Spuren des Bühnenlasers verlieren sich Mitte der 1970er Jahre. Im Jahr 2007 fand er schließlich seinen Weg ins Deutsche Museum. Ein Glücksfall!

Ab Mitte 2024 können Sie die Spuren der Arbeit des WiBerg-Teams in der neuen Ausstellung „Licht und Materie“ bewundern und in einem interaktiven Versuchsaufbau auch Ihre eigenen kohärenten Lichtkunstwerke erzeugen.

Zum Weiterlesen

G. Winzer, W. Bergfeld, A. Reichelt, R. Schober: Lasergrafie. Verlag G.D.W. Callwey, München 1975

P. McCray: Making Art Work. The MIT Press, Cambridge, MA, 2020

Beide Bücher finden Sie in der Präsenzbibliothek des Deutschen Museums.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 05/2023 SEP/OKT

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