Mit scharfem Strahl gelingt der tiefe Blick

Interview mit Prof. Dr. Reinhard Kienberger, Ordinarius am Lehrstuhl für Laser- und Röntgenphysik an der TU München.

 

Technik in Bayern: Welches sind die wichtigsten Forschungsgebiete an Ihrem Institut?

Prof. Reinhard Kienberger: Wir untersuchen ultraschnelle Prozesse. Ultraschnell ist alles, was schneller ist als eine Picosekunde, das sind zum Teil molekulare Prozesse, Schwingungsprozesse, aber vor allem elektronische Prozesse. Diese finden auf einer Zeitskala von Attosekunden statt, das sind 10-18 s. Um sich das vorstellen zu können: eine Attosekunde verhält sich zu einer Sekunde so wie die Sekunde zum Alter des Universums. Im Bereich 10 bis 100 Attosekunden finden solche Prozesse statt, und um die auch entsprechend aufnehmen zu können, braucht man entsprechend kurze Pulse, an deren Erzeugung wir arbeiten. Dazu benützt man ein kommerzielles Lasersystem, z. B. einen Titan Saphir Laser, aber mittlerweile gibt es auch geeignete optische parametrische Verstärker. Damit kann man Lichtpulse mit einer Dauer von wenigen Femtosekunden realisieren. Das ist aber noch nicht kurz genug. Wir müssen in den Attosekunden Bereich gehen, und da kommt man an eine natürliche Grenze, nämlich ein Oszillationszyklus des elektrischen Feldes vom Lichtpuls. Wenn ein Lichtpuls kürzer wäre als ein Zyklus des elektrischen Feldes, wäre er im Prinzip nicht ausbreitungsfähig.

TiB: Um die Auflösung der Messung zu verbessern, muss man also zu kürzeren Pulsen kommen. Wie kann das funktionieren?

Kienberger: Da die minimale Dauer des Lichtpulses vom Oszillationszyklus des optischen Feldes abhängt, kann man natürlich versuchen, zu kürzeren Wellenlängen zu gehen bis in den Röntgenbereich. Wir nützen dazu nichtlineare Frequenzkonversion, das heißt, wir schießen mit unseren Laserpulsen auf Atome und setzen dort Elektronen frei. Diese werden vom Lichtfeld des Lasers vom Atom wegbeschleunigt, und dann im Rhythmus des oszillierenden Lichtfeldes wieder zurück beschleunigt. Wenn sie wieder an das Atom kommen, wird ein Lichtblitz im extrem ultravioletten Bereich, entsprechend etwa 100 bis 150 eV freigesetzt. Dieser Vorgang findet nur bei sehr starken Feldern statt. Deswegen hat man ihn auch erst mit Lasern beobachten können. Unsere Werkzeuge sind einerseits dieser Lichtblitz, der einen elektronischen Prozess in Gang setzt, und andererseits das Laserfeld, das diesen Prozess abtastet. Wir versuchen damit die Physik der Elektronen zu erforschen.

TiB: Sie haben einen Laser mit extrem kurzer Impulsdauer entwickelt. In welchem Bereich liegt diese und wie wird dieser Laser technisch realisiert?

Kienberger: Die Pulsdauer alleine ist nicht aussagekräftig, sondern nur zusammen mit der spektralen Verteilung und der verfügbaren Pulsenergie. Man muss einen Kompromiss schließen zwischen der Pulsdauer und der Energieauflösung des Experiments. Es gibt Methoden, da kommen Kollegen auf Pulse mit deutlich unter 50 Attosekunden, aber diese sind für unsere Anwendungen zu breitbandig. Wir arbeiten im Bereich von 300 bis 600 Attosekunden. Festgelegt wird die Pulsdauer durch die verwendeten Spiegel, an denen der Röntgenpuls reflektiert wird. Wir erzeugen in dem vorhin beschriebenen Prozess ein sehr breitbandiges Signal, das moduliert ist und viele Pulse hat. Wenn man aber im Bereich der höchsten Photonenenergien dieses Spektrum filtert, bekommt man einen Einzelpuls. Diese Spiegel sind nicht gerade einfach. Es gibt für den Röntgenbereich Vielschichtspiegel, die durch ihre Schichtung an gewissen Photonenenergien eine brauchbare Reflektivität aufweisen und dadurch wie ein Filter wirken.

TiB: Vor etwa 10 Jahren wurde ja bereits im Bereich 600 bis 800 Attosekunden gearbeitet. Welche Fortschritte hat man seit dieser Zeit erreicht?

Kienberger: Ganz wesentliche Fortschritte sind in der Messtechnik erreicht worden. Um eine einzige Messung durchzuführen, hat man früher ein Experiment eine ganze Nacht lang laufen lassen müssen. Das ist aus heutiger Sicht steinzeitlich. Heute sind die Experimente weitgehend automatisiert und wesentlich effizienter gestaltet. Wozu man früher 9 Stunden gebraucht hat benötigt man nur noch 10 bis 12 Minuten. Die Experimente werden von Arbeitsplätzen in Büros von Ferne gesteuert und überwacht. Es befindet sich niemand mehr in unmittelbarer Nähe des Lasers, was äußere Störmomente stark verringert. Zur Auswertung der Messwerte verwenden wir zunehmend Künstliche Intelligenz, was eine Online-Datenauswertung ermöglicht.

TiB: Wo stehen Sie bei Ihren Forschungsergebnissen im internationalen Vergleich?

Kienberger: Mit unseren AttosekundenMessungen an Festkörperoberflächen sind wir tatsächlich Weltspitze. Es gibt vielleicht fünf Arbeitsgruppen in der Welt, die daran herankommen. Diese hervorragende Qualität konnten wir auch deshalb erreichen, weil wir unsere Anlage gemeinsam mit Festkörperphysikern kontinuierlich weiterentwickelt haben.

TiB: Wie detektiert man die Elektronen, die aus dem Festkörper herausgelöst werden?

 Kienberger: Das funktioniert im Prinzip ähnlich wie ein Photonenvervielfacher. Wir benützen ein sog. Multi Channel Plate, eine Art Bienenwabenstruktur. Wenn ein Elektron hinein kommt, wird es durch ein elektrisches Feld beschleunigt, trifft auf die nächste Wand und schlägt ein weiteres Elektron heraus, usw. Dieser Lawineneffekt wird elektronisch detektiert.

TiB: Welche neuen Erkenntnisse und welche Anwendungen verspricht man sich von der Lasertechnik?

Kienberger: Der Grundlagenforscher fragt primär nicht nach der Anwendung, sondern er versucht, die Natur ein Stück weiter zu verstehen. Und wenn er Glück hat, findet er etwas, was dann in irgendeiner Art auch in ein Produkt umgesetzt werden kann.

TiB: Haben Sie in diesem Punkt Glück?

Kienberger: Das kann man eben noch nicht sagen. Man darf als Grundlagenforscher aber nichts ausschließen und nicht von der reinen Anwendungsfrage getrieben sein. Deutschland ist in der Grundlagenforschung sehr stark, im Gegensatz z. B. zu Japan, wo die angewandte Forschung im Vordergrund steht. Natürlich hat man Ideen für Anwendungen im Hinterkopf. Beispiele sind die Optimierung von Fotovoltaik, oder die Umwandlung von Sonnenenergie in speicherbare Medien, woran hier in Garching das Cluster e-conversion forscht. Chemische Energiespeicherung kann um einen Faktor von ca. 40 effizienter sein als elektronische Speicherung wie in (Lithium-Ionen) Akkus, da gibt es ein riesiges Potenzial. Wir versuchen, bei fotokatalytischen Prozessen die Effizienz zu verbessern, indem wir uns diesen Prozess in hoher zeitlicher Auflösung anschauen um zu lernen, wie er tatsächlich funktioniert. Ein weiteres Thema ist die Supraleitung.

TiB: Untersuchen Sie auch Moleküle in lebenden Substanzen, um medizinische Fragestellungen abzuklären?

Kienberger: Wir machen das nicht. Was Sie ansprechen, sind Arbeitsgruppen, die hauptsächlich spektroskopisch arbeiten, nicht zeitaufgelöst. Man könnte natürlich solche Experimente mit unseren Methoden durchführen, wenn man in das sog. Wasserfenster kommt. Das ist der Spektralbereich, wo Kohlenstoff absorbiert und Wasser transparent ist. Aber man ist noch nicht soweit. Mit der geschilderten Methode wurden schon sehr hochenergetische Photonen erzeugt, aber leider mit so geringem Fluss, dass man praktisch keine Experimente machen kann. Die Signale gehen noch im Rauschen unter.

TiB: Lasertechnik hat heute ein großes Feld von Einsatzgebieten. Wo sehen Sie die wichtigsten Zukunftsthemen dafür?

Kienberger: Man muss zwei Bereiche unterscheiden. Der eine ist die industrielle Anwendung und der andere die Forschungsanwendung, die ja lediglich eine Nische ist. Der große Markt ist die industrielle Anwendung mit schneiden, schweißen, bohren, markieren etc. Wichtige Anwendungen gibt es ganz aktuell bei der Fertigung von Batterien und Elektromotoren. Und ein tolles Gebiet ist die Mikrobearbeitung, also das Herstellen kleiner Strukturen in der Lithografie und bei der Oberflächenbehandlung, wo der Laser konventionellen Werkzeugen überlegen ist. Ausschlaggebend ist die Wellenlänge, je kürzer, desto kleinere Strukturen können bearbeitet werden. Und daher gibt es auch hier die Entwicklung in Richtung ultraviolette und extrem ultraviolette Laser. Ein aufkommendes Thema ist die Kombination von Lasern mit konventionellen Methoden, z. B der Röntgendiagnostik. Zu diesem Thema ist sogar kürzlich eine Professur an der TU München geschaffen worden.

TiB: Wie sehen Sie die Laserforschung sowie deren Umsetzung in marktreife Produkte in Deutschland?

Kienberger: Deutschland ist da sehr gut aufgestellt, es gibt mehrere bedeutende Forschungszentren. Wir bilden eben auch den entsprechenden akademischen Nachwuchs für die Firmen aus, der dort dann die Entwicklung mit unterschiedlichsten Anwendungen triggert. Insgesamt ist Deutschland sehr gut in der Umsetzung von produktorientierter Forschung. Man sieht das auch daran, dass auf vielen internationalen Lasermessen deutsche Firmen sehr prominent vertreten sind.

TiB: Kann die Kernfusion mit Lasern vorangebracht werden?

Kienberger: Die Welt ist derzeit aufgeregt über dieses aktuelle Experiment am Lawrence Livermore National Laboratory, wo man es geschafft hat, aus einem Fusionsprozess mehr Energie herauszuholen, als man mit dem Laser hineingesteckt hat. Das ist großartig, weil man sieht, dass die Fusion damit im Prinzip möglich ist. Auch in Bayern gibt es solche Projekte. Aber was fast nirgends berichtet wurde ist, wie viel Leistung man aus der Steckdose gezogen hat, um diesen Puls zu erzeugen. Wenn ich hier den Faktor 10 000 habe, bin ich natürlich noch ganz weit weg von einer Nutzung. Interessant und neu ist aber, dass in diesem Bereich auch private Firmen Forschung betreiben und Investoren aktiv sind, das Thema ist also offenbar genügend „sexy”.

 

Die Fragen stellten Silvia Stettmayer, Walter Tengler und Fritz Münzel

Informationen

Lehrstuhl für Laser- und Röntgenphysik Technische Universität München Physik-Department E11 James-Franck-Str. 1 85748 Garching www.ph.nat.tum.de/e11/startseite/

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 05/2023 SEP/OKT

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