Nasenbär und Pussy Wagon

Selbstkonstruierte Rennwagen bei der Formula Student

Beitrag von Daniela Hansjakob

Jedes Jahr im August treffen sich Studierende aus aller Welt am Hockenheimring, um sich und ihre selbstkonstruierten Rennwagen in Formel-1-Atmosphäre zu messen, so auch wieder 2017. Unter anderem mit dabei: Die bayerischen Teams municHMotorsport der Hochschule München und TUfast der TU München.

Über die Formula Student

„Bei uns beginnt die neue Saison eigentlich schon, bevor die alte endet“, erzählt Max Burggraf, Teammanager von TUfast, und bringt damit die Formula Student perfekt auf den Punkt: Es gibt immer etwas zu tun! Wer sich dafür entscheidet – egal ob bei TUfast, bei municHMotorsport oder bei einem der anderen bayerischen Hochschulteams –, wird definitiv mehr Zeit in der Konstruktionswerkstatt als im Hörsaal verbringen.

„Dafür lernen wir viel über das Arbeiten unter Zeit- und Kostendruck, darüber, die volle Verantwortung für eine Aufgabe zu übernehmen und über Dinge wie Teamarbeit und Kommunikation“, so Helena Endl, Kommunikationsexpertin von TUfast. Doch worum geht es eigentlich bei der Formula Student? Ein Studententeam konstruiert und fertigt einen einsitzigen Formelrennwagen – und tritt damit gegen Teams aus der ganzen Welt an. Saisonhöhepunkt der bayerischen Teams ist die Formula Student Germany: fünf Tage voller Adrenalin, Wettkampfgeist und Teamspirit am Hockenheimring!

Wagen mit Spaßfaktor

Beide Teams schicken diese Saison gleich drei Wagen ins Rennen: einen mit Verbrennungsmotor, einen mit elektrischem Antrieb und eine Driverless-Variante. Die Fahrzeuge mit den etwas kryptischen Bezeichnungen PW10.17, PWe8.17 und PWd1.17 (Team municHMotorsport) und nb017, eb017 und db017 (Team TUfast) tragen Namen wie ‚Pussy Wagon’ und ‚Nasenbär´. Woher kommt’s?

„Dahinter verbirgt sich eine lustige Geschichte aus unseren Anfängen“, erzählt Maximilian Bauer, Teamlead Marketing bei municHMotorsport: „Als Prof. Jörg Grabner das Projekt Formula Student 2005 an unserer Hochschule ins Leben rief, waren überraschend viele Frauen an Bord – auch als Rennfahrerinnen. Da war der Name ‚Pussy Wagon’ schnell gefunden. Inzwischen haben wir die Bezeichnung umgemünzt auf ,Passion Works’, ganz einfach, weil wir alle mit viel Leidenschaft dabei sind.“ Auch die Namen der TUfast-Boliden zeugen vom Spaßfaktor bei der Arbeit. „Unser erstes Rennauto sah aus wie ein Nasenbär“, so Max Burggraf. Die weiteren Modelle hießen dann konsequenterweise Elektrobär und Driverlessbär.

Simulation von Anfang an

Doch zurück zur Rennsaison. Womit fängt alles an, ehe die Teams ihre Wagen erfolgreich ins Rennen schicken können? Die ersten Planungen beginnen bereits im Sommer – parallel zu den Rennen der aktuellen Saison. „Das Kernteam bespricht, welche Autos wir konstruieren wollen“, erzählt Max Burggraf. „Parallel führen wir erste Gespräche mit neuen Teaminteressenten, überlegen, welche Positionen neu zu besetzen sind und wie wir uns insgesamt aufstellen wollen.“
 

Sowohl TUfast als auch municHMotorsport sind als Verein organisiert, agieren völlig autark von ihren Hochschulen. Finanziert werden sie teils über Hochschulgelder, größtenteils jedoch über Sponsoren. Im Prinzip sind sie kleine, eigenständige Unternehmen. „Wenn das letzte Rennen gelaufen ist, beginnt nahtlos die Konstruktionsphase der nächsten Saison“, erklärt Patrick Gassmann, Technikvorstand des municHMotorsport e. V.

Mit CAD-Programmen wird konstruiert, modelliert, berechnet – und ebenso simuliert. Etwa die Aerodynamik des Boliden: Wie verändern sich die Luftströmungen, wenn man Bauteile minimal verändert? Welche Wechselwirkungen ergeben sich hinsichtlich Geschwindigkeit, Energieeffizienz und Teilestabilität? „Ohne Simulation geht im Fahrzeugbau nichts mehr“, so Patrick Gassmann. Warum? Dank Simulation kann man in kurzen Zeitfenstern – und vergleichsweise kostensparend zur realen Konstruktion – klare Aussagen treffen. Voraussetzung ist natürlich: Das Rechenmodell stimmt. Eine Simulation ist immer nur so gut, wie der Entwickler, der den Prozess begleitet.

Rundenzeitsimulation und Finite-Elemente-Methode

„Großen Stellenwert hat bei uns auch die Rundenzeitsimulation“, berichtet Arno Hetzenecker, Fahrwerkprofi und bereits seit drei Jahren im Team von TUfast. „Hierfür nutzen wir ein selbstgeschriebenes Programm – das Ergebnis einiger Bachelor- und Masterarbeiten. Das Programm ist auf die Hockenheimring-Rennstrecke zugeschnitten und zeigt uns ganz genau, was passiert, wenn wir einzelne Parameter am Auto verändern.“ Mehr Leistung, anderer Antrieb, leichteres Chassis ... kleine Änderungen haben hier oft große Auswirkungen. Die Simulation zeigt welche.

Ebenso simuliert wird nach der Finite-Elemente-Methode. Dabei werden physikalische Vorgänge, etwa Kraftwirkungen auf einzelne Bauteile, analysiert. Zudem spielt die Topologieoptimierung eine wichtige Rolle. Hierbei besagt das Berechnungsergebnis, welche Partien eines Bauraums mit Werkstoff belegt werden sollen, also welches Material am besten wo am Monocoque verbaut wird.

Schichtarbeit und kurze Nächte

Irgendwann muss dann Schluss sein mit Simulieren und fiktivem Ausprobieren. Für beide Teams ist in der Regel im Dezember Design Freeze. Was jetzt steht, gilt. Es geht an die Fertigung. Am Anfang noch halbwegs entspannt, doch je näher der Rollout – die große Präsentation der Boliden – rückt, desto zeitintensiver wird an den Wagen gebaut und geschraubt. „Wir teilen unsere Teams dann in Schichten ein“, so TUfast-Teammanager Max Burggraf. „Geschlafen wird in dieser heißen Phase recht wenig. 80 Wochenstunden Arbeit kommen hier bei jedem locker zusammen.“

Auch Vorlesungen sind dann für die meisten Nebensache bis nicht existent. Wer bei der Formula Student mitmacht, muss Prioritäten setzen. „Und unsere Priorität ist klar!“ Da sind sich alle Teammitglieder von municHMotorsport und TUfast einig. Ein kurzes Verschnaufen gibt es beim Rollout, wenn die fertigen Rennwagen im Frühjahr der Presse, den Sponsoren und der Öffentlichkeit präsentiert werden. Doch die Atempause währt nicht lange: Es folgt die Testphase. Was über Monate geplant, designt und konstruiert wurde, unterzieht sich nun dem Praxistest.

Auf verschiedenen Teststrecken – etwa auf der Audi-Teststrecke in Neuburg an der Donau oder am Flugplatz Jesenwang – werden die Boliden auf Herz und Nieren bzw. Motor und Monocoque geprüft. Erneut kommt die Simulation zum Einsatz. Unter anderem werden Fahrstrategien simuliert. Lieber schneller mit besserer Rundenzeit oder lieber langsamer für mehr Effizienz? Denn bei der Formula Student gewinnt nicht das schnellste Auto, sondern das Team mit dem besten Gesamtpaket aus Konstruktion und Rennperformance, Finanzplanung und Verkaufsargumenten.

Nicht der schnellste Wagen gewinnt

Bei den Rennen bewertet werden fünf dynamische und drei statische Disziplinen. Zu ersteren zählen die Acceleration (ein Beschleunigungstest auf 75 Metern Länge), das Skid Pad (Acht-Fahren), das Autocross (auf einer 800-Meterstrecke mit Geraden, Haarnadelkurven und Schikanen), die Endurance (ein Langstreckentest über 22 Kilometer) und die Energy Efficiency, die den Energieverbrauch betrachtet. Bei den drei statischen Disziplinen werden Engineering Design (Konstruktion), Cost Analysis (Produktions- und Montagekosten) und Business Plan (Geschäftsmodell für den Prototyp) bepunktet. Ziel ist es natürlich, in allen Disziplinen gleichermaßen zu punkten und den Gesamtsieg einzufahren!

Und welche Rennen standen 2017 auf dem Saisonkalender von municHMotorsport und TUfast? „Wir sind dieses Jahr in Ungarn gestartet“, so Arno Hetzenecker von TUfast. Dann folgte für beide Teams die Formula Student Austria in Spielberg. „Das Saisonhighlight für uns alle war selbstverständlich die Formula Student Germany am Hockenheimring“, beteuert Maximilian Bauer von municHMotorsport, das dieses Jahr den 3. Platz unter den E-Fahrzeugen belegen konnte.

Und den Saisonabschluss bildete Ende August die Formula Student Spain in Barcelona. Und noch ehe die letzten Rennergebnisse feststanden, laufen bereits die Planungen für die neue Saison. Schließlich gibt es immer etwas zu tun!

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 September/Oktober