Sportgeräte und -materialien

Methoden des Sport Engineering

Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Dipl. Sportl. Veit Senner, Lehrstuhl für Sportgeräte und -materialien, TUM

Die Bandbreite der Disziplinen im Sports Engineering ist umfassend - der Fokus bei der Forschung und Entwicklung liegt gleichwohl aber immer auf dem Menschen. Dabei greifen die Ingenieure auf spezielle Methoden zurück, wie etwa die Mehrkörpermodellierung des Muskel-Skelett-Systems oder auf den Einsatz mechanischer Modelle. Mehr über die verschiedenen Methoden des Sports Engineering und die daraus resultierenden Vorteile für Sportler.

Themen des Sports Engineering

Wenn Studierende aus dem Ingenieurbereich zu mir in die Sprechstunde kommen und fragen, ob es an der Professur Sportgeräte und -materialien ein Thema für die anstehende Studienarbeit gäbe, so lautet meine Antwort stets: Ja, sehr viele. Dann stelle ich zwei Gegenfragen: Welche Sportart interessiert Sie persönlich am meisten? Und: Welche der drei im Studium gelernten übergeordneten Herangehensweisen – Klassisches Konstruieren, Modellierung & Simulation oder experimentelles Arbeiten (Testen, Messen, Prüfen) – hat Ihnen besonders gefallen?

Egal welche Sportart und welches bevorzugte Methodenspektrum gewählt worden ist, wir finden dann immer ein zu den Neigungen des Studierenden passendes und vor allem spannendes Thema.

Thematische und disziplinäre Vielfalt

Dies liegt an der außerordentlichen thematischen und disziplinären Breite des Sports Engineering – eine Aussage, die sich allein aus der Vielfalt der adressierten Produkte ergibt.

  • Da sind zum einen die diversen Sportgeräte: vom Fahrradrahmen über die Skibindung bis hin zu den Turn- und Wettkampfgeräten und vom Golfschläger über das Segel des Windsurfers, den Reitsattel bis hin zum Eispickel und Schutzausrüstungen.
  • Daneben existiert der große Bereich der Sportschuhe – beispielsweise der Fußball-, Lauf- oder Bergschuh, die allesamt nur unter Berücksichtigung der Interaktion mit dem Boden entwickelt und optimiert werden können.
  • In etwa gleiche Marktanteile hat die Sportbekleidung – vom Schwimmanzug bis hin zur 600 Euro-Drei-Lagen-Outdoor-Jacke. Hier findet der Textilingenieur laufend neue Materialien und daraus ergeben sich dann wiederum neue Fragestellungen, zum Beispiel in Bezug auf Wärme- und Feuchtigkeitstransportphänomene.
  • Nicht zuletzt steht der Bereich der Sportinformationssysteme, die zunehmend auch in die Bekleidung integriert werden („Wearables“). Hier sind nicht nur technische Fragen nach geeigneten Sensoren und Netzwerken zu beantworten, sondern auch wie zuverlässig die Informationen sind, die wir über den Fitness-Tracker im Armbändchen erhalten oder welche Informationen auf welche Art und Weise dem Sportler mitgeteilt werden sollten.

Brückenfunktion zwischen Menschen, Sport- und Ingenieurwissenschaft

Das Spannende an den allermeisten Fragestellungen ist, dass der Sport treibende Mensch im Zentrum steht. Dies bedeutet, dass alles, was produktseitig gestaltet wird unmittelbare Rückwirkung auf den Menschen hat.

Beispielsweise können die Sohlengestaltung eines Laufschuhes und ein Kompressionsstrumpf in idealer Wechselwirkung Schwingungen des Muskels verringern, dadurch die notwendige metabolische Energie reduzieren und so zur Leistungssteigerung des Läufers beitragen.

Eine Laufjacke, die alle notwendigen Bewegungen mitmacht und selbst bei wechselnden äußeren Bedingungen – z.B. einsetzendem Regen, die perfekt funktionierende Thermoregulation des Menschen unterstützt bedingt für den Läufer sowohl einen hohen Komfort, als auch eine gute „Performance“.

Und ein Tennisschläger mit aktiven Piezoelementen kann bei richtiger Gestaltung das Ausschwingverhalten des Schlägers nach dem Ball-Impact verändern und damit der Gefahr des chronischen Tennisellenbogens entgegenwirken.

So wirken sporttechnologische Innovationen gleichzeitig als Prävention vor möglichen Langzeitschäden durch den Sport. Die Beispiele zeigen, dass das Sports Engineering eine Brückenfunktion zwischen dem Sportler selbst, der Sportwissenschaft und dem Ingenieurwesen hat.

Sports Engineering: Interdisziplinarität und Forschungsmethoden

Daraus leitet sich zwangsläufig der interdisziplinäre Charakter des Sports Engineerings ab. Wenn wir den Carbonrahmen eines Zeitfahrrads oder den Skeleton optimieren, dann sind die Aerodynamik und der Leichtbau mit von der Partie. Geht es um die Verbesserung des Stollendesigns von Fußballschuhen zur Vermeidung von Knieverletzungen (und dies unter Berücksichtigung unterschiedlicher Bodenbedingungen, z.B. für die neuen Hybridrasensysteme – eine Mischung aus Natur- und Kunstrasen), dann werden auf der einen Seite Sportmediziner und Biomechaniker und auf der anderen Ingenieure mit Kenntnissen zur Bodenmechanik aus dem Bauingenieurwesen eingebunden.

Zur Erforschung der Wärmetransportvorgänge zwischen der Körperoberfläche und einzelnen Bekleidungsschichten werden sowohl Kollegen aus der Thermodynamik als auch aus dem Bereich Physiologie und Energiestoffwechsel benötigt. Für die Frage zur Nachhaltigkeit der oben bereits erwähnten Fitness-Armbändchen – sehr viele Nutzer verwenden sie nur für vergleichsweise kurze Zeiträume – kooperieren wir mit Psychologen. Denn hier kommt neben der Usability und der Plausibilität der angezeigten Informationen vor allem motivationalen Aspekten eine zentrale Rolle zu.

Die Nähe zum Menschen, vom Athleten bis zum ganz normalen Freizeitsportler, ist auch dadurch gegeben, dass häufig Experimente mit Probanden durchgeführt werden. Daher erfordert Sports Engineering solide Kenntnisse im Bereich Versuchsplanung und Inferenzstatistik. Sozial-empirische Forschungsmethoden, also z.B. Delphi-Befragungen oder der sog. Dominanzpaarvergleich [1] sind erforderlich, um das Messgerät „Mensch“ sinnvoll für die Entwicklung von Sporttechnologie einsetzen zu können.

Ohne Probandenstudien werden dagegen die meisten Fragestellungen aus dem Bereich der persönlichen Schutzausrüstung erarbeitet, wie z.B. für die Entwicklung und Optimierung von Sporthelmen, Protektoren, Sicherungsgeräten, Seilen und Klettergurten. Hier setzen wir auf Mehrkörpermodellierung des Muskel-Skelett-Systems (MKS), fallweise in Kombination mit Finite-Elemente-Modellen (FEM). Abbildung 1 zeigt eine solche Kombination verschiedener Modelle, welche eingesetzt worden sind, um die Schutzwirkung verschiedener Ausführungen von Handgelenk-Protektoren beim Rückwärtssturz im Snowboarden zu quantifizieren [2, 3]. In diesem Fall wurde das MKS erweitert durch ein FE-Modell der Unterarmknochen zur Ermittlung der im Knochen wirkenden Spannungen für unterschiedliche Zielgruppen, insbesondere für Kinder und Jugendliche.

Physikalische Modelle

Viele Probleme im Bereich des Sports Engineering werden schließlich über die Verwendung physikalischer (gegenständlicher) Modelle angegangen. Eine Vorrichtung, welche den Abrollvorgang und das Traktionsverhalten eines Sportschuhes nachstellt, würde man beispielsweise zu mechanischen Modellen zählen. Das von uns entwickelte Modell des Kopfes mit speziellem Heizsystem im Inneren (siehe Abbildung 2) – eingesetzt zur Entwicklung von Kühlsystemen für Helme [4] – könnte in die Kategorie thermophysikalischer Nachbildungen menschlicher Körperteile eingeordnet werden.

Frauen im Bereich Sports Engineering

Abschließend möchte ich mit Ihnen eine nur auf den ersten Blick überraschende Beobachtung teilen: In meinen Lehrveranstaltungen zum Sports Engineering und auch bei den einschlägigen Studienarbeiten findet sich ein in etwa gleicher Anteil von weiblichen und männlichen Studierenden. Daraus und natürlich auch aus meinen Rückfragen ziehe ich die Schlussfolgerung, dass es offensichtlich nicht die Technik ist, welche die jungen Frauen abschreckt. Es ist wohl eher die Tatsache, dass ihnen zum einen häufig der Bezug zum Menschen und zum anderen eine positive emotionale Komponente fehlen. Sports Engineering hebt dieses Defizit wie selbstverständlich auf. Denn: Sport ist Emotion und die Ausrüstung bleibt lediglich Mittel zum (guten) Zweck. Im Zentrum steht jedoch der Mensch.

Literatur

[1] Böhm, H., Krämer, C., & Senner, V. (2008). Subjective evaluation of sport equipment - deriving preference values from pairwise comparison matrices. In P. Brisson & M. Estivalet (Eds.), Volume 2. The Engineering of Sport 7 (pp. 127–133). Springer Verlag.
[2] Lehner, S., Frank, I. M., & Senner, V. (2014). Analyse typischer Verletzungsmuster beim Snowboarden unter Verwendung von MKS-, CAD- und FEM-Modellen. dvs Band 244. In A. Baca & M. Stöckl (Eds.), Sportinformatik X (dvs). Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (Band 244, pp. 56–61). Hamburg: Feldhaus Verlag GmbH & Co. KG.
[3] Lehner, S., Huber, N., Baumeister, D., & Michel, F. (2015). Effektivität unterschiedlicher Stabilisierungssysteme des distalen Unterarms in Dorsalextension: Eine Untersuchung unter Verwendung von Computermodellen. Orthopädie Technik. Rehabilitation. Medizinprodukte, 66. Jahrgang(08), 18–23.
[4] Passler, S., Mitternacht, J., Janta, M., & Senner, V. (2016). Conceptual Development and Evaluation of Heat Relief Principles for the Application in Bicycle Helmets. Procedia Engineering, 147, 501–506. doi: 10.1016/j.proeng.2016.06.228.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2018 März/April