Elektrischer Schnellverkehr

Das Bahn-Hochspannungsnetz entstand vor über 100 Jahren

Beitrag von Frank Dittmann

Im nachfolgenden Beitrag wird die Entwicklung des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes und des Bahnnetzes näher beleuchtet. Themen sind die damalige Diskussion um das geeignete Stromsystem für den Vollbahnbetrieb, die Erprobung der elektrischen Schnellbahnen - bei der 1903 ein Versuchstriebwagen überdies einen Weltrekord aufstellte - und der Weg zur Elektrifizierung im Bahnbetrieb.

Entwicklung des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes

Im Jahre 1891 entwickelte der ungarische Elektrotechniker Károly Zipernowsky die Idee eines europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes. Schnellzüge mit Geschwindigkeiten bis 250 km/h sollten Personen und Waren über Kontinente hinweg transportieren, versuchsweise zunächst zwischen Budapest und Wien. Dass der Antrieb elektrisch sein müsse, lag für den Mitarbeiter des Budapester Elektrounternehmens Ganz & Co. und Mitentwickler des Transformators auf der Hand.

Nach dem Probebetrieb der ersten Straßenbahn in Berlin-Lichterfelde 1881 durch Siemens & Halske hatte sich die elektrische Traktion im Stadtverkehr rasch durchgesetzt, da Verkehrsaufkommen und Entfernungen so gestiegen waren, dass dies mit Pferden nicht mehr zu bewältigen war.

Die Systemfrage

Diskussion über das Stromsystem

Um 1900 entspann sich eine Diskussion um das geeignete Stromsystem für Vollbahnbetrieb. Sollte es Gleichstrom – wie bei Straßen-, S- und U-Bahnen – Drehstrom oder Einphasenwechselstrom sein, die jeweils auf verschiedene Weise eingespeist werden konnten, etwa per Stromschiene im bzw. neben dem Gleis oder per Oberleitung? 

Die Varianten wurden nach technischen und wirtschaftlichen Kriterien gesichtet. Im Ergebnis erschien das Einphasensystem am geeignetsten. Beim Gleichstrom begrenzte die Spannung von ca. 1500 V die Übertragungsentfernung. Für Drehstrom standen leistungsfähige Fahrmotoren ohne den verschleißbehafteten Kommutator zur Verfügung, die hohe Drehzahlen zuließen und auch bei Spannungen von einigen 1000 V unmittelbar aus der Fahrleitung gespeist werden konnten.

Erprobung der elektrischen Schnellbahnen

Weltrekord eines AEG-Versuchstriebwagen

Ab 1901 testete die Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen – ihr gehörten Siemens & Halske, die AEG sowie mehrere Maschinenbaugesellschaften und Banken an – verschiedene Fahrzeuge. Die Strecke zwischen Marienfelde und Zossen war auf 23 km seitlich vom Gleis mit einer dreipoligen Oberleitung (10 kV, 50 Hz) versehen worden. 1901 erreichte man erstmals 160 km/h. Am 27. Oktober 1903 schließlich stellte ein AEG-Versuchstriebwagen den Weltrekord von 210,2 km/h auf.

Zugleich wurden die Nachteile des Drehstrom-Bahnbetriebs deutlich: da dafür mindestens eine zweipolige Fahrleitung nötig ist, war man wegen der erforderlichen Isolation in der Spannungshöhe eingeschränkt. Außerdem war die Verlegung der Fahrleitungen an Weichen und Gleiskreuzungen aufwändig. Diese Probleme entfielen beim Einphasenwechselstrom, der auch den verlustarmen Energietransport über größere Entfernungen zuließ. Da aber die damaligen Einphasenmotoren im 50-Hz Betrieb zu hoch belastet wurden, fiel die Wahl auf ⅓ der Netzfrequenz (16 ⅔ Hz), mit der Konsequenz, dass ein eigenes Hochspannungsnetz nötig wurde.

Der lange Weg zur Elektrifizierung

Insgesamt ging die Bahn-Elektrifizierung eher langsam voran. Bis 1914 gab es in Deutschland 254 km elektrifizierte Strecke, bis 1916 kamen weitere 41 km hinzu. Die Gründe waren neben technischer vor allem finanzieller und administrativer Natur sowie militärische Erwägungen. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es wegen Kohlemangels einen gewissen Aufschwung, besonders in wasserkraftreichen Ländern. Auftrieb erhielt die Elektrifizierung Mitte der 1920er Jahre u.a. mit der Inbetriebnahme des Walchenseekraftwerks, von dessen 8 Generatoren 4 ausschließlich Bahnstrom erzeugten. Nachdem Mitte der 1930er Jahre das süddeutsche Netz über eine Fernleitung mit dem Braunkohlekraftwerk Muldenstein bei Bitterfeld verbunden wurde, entwickelte sich das Bahnnetz langsam, aber stetig weiter.

Entwicklung des Bahnnetzes

In den 1950er Jahren entbrannte die Diskussion um die Frequenz erneut. Die Energieversorger, insbesondere die RWE, argumentierten, dass die 5 % der in Deutschland mit 16 ⅔ Hz elektrifizierten Bahnstrecken kein Grund sei, auf den Vorteil zu verzichten, künftig neue Strecken direkt aus den 50-Hz-Netzen zu speisen. Das gelte umso mehr als auch Frankreich zum 50-Hz-System wechselte. Die Bundesbahn dagegen wollte ihre Anlagen für 16 ⅔ Hz nicht aufgeben und von den Energieversorgern unabhängig bleiben. Heute betreibt die DB Energie ein 110-kV Bahnnetz von knapp 9000 km Länge.

Literatur

Zipernowsky, Carl: Über elektrische Bahnen für interurbahnen Schnellverkehr. In: ETZ 12 (1891), S. 516-517, 540-544 Der Hertz-Krampf. In: Der Spiegel 1953, Nr. 41, S. 13

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2018 Januar/Februar