Old Economy oder New Player

Der Wettbewerb um das Autonome Fahren ist entbrannt

Beitrag von Silvia Stettmayer

Als der US-Bundesstaat Arizona 2018 dem Tech-Unternehmen Waymo die Betriebserlaubnis für seinen autonomen Taxidienst erteilte, war das ein Paukenschlag, der die Autohersteller aufschrecken ließ. Plötzlich bekam die Vision des selbstfahrenden Autos eine ganz reale Seite. Mit seiner Testflotte aus rund 600 Chrysler Pacifica sammelt das Unternehmen seitdem wichtige Praxiserfahrung und gilt heute als Technologieführer auf dem Gebiet des Autonomen Fahrens.

Vorstoß der Mobilitätsdienstleister

Waymo, die Autotochter des amerikanischen Alphabet-Konzerns, zu dem auch Google gehört, bündelt die Entwicklung der einstigen Google-Roboterwagen. Sehr früh erkannte man hier die wachsende Bedeutung des Autonomen Fahrens, denn schon 2009 fuhren die ersten zweisitzigen Google-Autos auf Kaliforniens Straßen. Im Juli 2019 wurde die Genehmigung für den Testbetrieb mit ausgewählten Passagieren des Mitfahrdiensts Lyft in Phoenix, Arizona, erteilt. Das Pilotprojekt hat Einschränkungen. Denn in den umgebauten Fiat-Chrysler-Vans muss immer ein Sicherheitsfahrer mit an Bord sein. Dennoch ist es ein weiterer wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu selbstfahrenden Autos.

Neben Waymo tummeln sich noch weitere neue Akteure im Dunstkreis des Autonomen Fahrens, natürlich Elektropionier Tesla und z. B. der Zulieferer Aptiv. Aptiv, der seinen operativen Sitz in Dublin hat und fast 19.000 Ingenieure und Wissenschaftler beschäftigt, betreibt schon heute eine Flotte von mehr als 100 teilautonomen Fahrzeugen rund um den Globus. Noch in diesem Jahr will Aptiv gemeinsam mit Südkoreas Branchenführer Hyundai Motor ein 50:50 Joint Venture im Wert von vier Mrd. Dollar gründen, mit dem Ziel, vollautonome Fahrzeuge zu entwickeln und zu kommerzialisieren.

Auch die chinesische Industrie arbeitet mit Hochdruck an der Einführung des Fahrens ohne Fahrer. Mitte letzten Jahres kündigten Chinas Internetkonzern Baidu und der größte private Autohersteller Geely eine breite Partnerschaft auf den Feldern KI und Autonomes Fahren an.

Überraschende Allianzen der deutschen Autohersteller

Nachdem insbesondere die deutschen Autobauer bei den Entwicklungen rund um das Autonome Fahren lange Zeit eher zurückhaltend waren, ist mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass dies trotz des großen Entwicklungsaufwands ein aussichtsreiches Geschäftsmodell werden könnte. Mit überraschenden Allianzen stemmen sich die traditionellen Autohersteller gegen die (finanzielle) Allmacht der Internetkonzerne und arbeiten an eigenen Systemen.

Den Anfang machten im Februar letzten Jahres BMW und Daimler (siehe Abb. 1). Auch VW ist eine Kooperation mit dem US-Wettbewerber Ford eingegangen und investiert bis 2023 rund 14 Mrd. Euro. Zusätzlich hat der Wolfsburger Konzern mit der Volkswagen Autonomy GmbH (VWAT) eine eigene Tochtergesellschaft für das Autonome Fahren gegründet.

Neue Geschäftsmodelle

Ziel dieser Anstrengungen dürften kommerzielle Nutzungen sein und wer letztendlich das Rennen um das Autonome Fahren machen wird, hängt auch vom Geschäftsmodell ab. Allerdings wird es nicht einfach, marktreife und profitable Produkte zu entwickeln. Vorsichtige Schätzungen gehen von einem Investment im zweistelligen Milliardenbereich aus. Summen, die sich nicht mehr jeder Autokonzern leisten kann, wenn zusätzlich eine ganze Flotte von Elektrofahrzeugen neu entwickelt werden muss. Wenn Transportunternehmen, Taxi-Firmen oder Ride-Sharing-Dienste keine Fahrer mehr brauchen und nicht mehr durch Lohnkosten belastet werden, dann lohnen sich die hohen Investitionen für die Roboter-Fahrzeuge.

Lesetipp

Daum, Timo: Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen.
oekom verlag, München 2019 (ISBN 978-3-96238-141-7).

Timo Daum, Physiker und Experte in Fragen der digitalen Ökonomie und der Verkehrswende, beschreibt in seinem sehr informativen und lesenswerten Buch den durch Elektrifizierung und Digitalisierung verursachten mobilen Wandel. In seinem Plädoyer „Für eine neue Verkehrsordnung“ entwickelt er abschließend eine mutige und ambitionierte Mobilitätsperspektive.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2020 März/April