Psychologie des Automatisierten Fahrens

Beitrag von Prof. Dr. Klaus Bengler, Lehrstuhl für Ergonomie, Technische Universität München

Die zunehmende Automatisierung bis hin zur autonomen Fahrzeugführung weckt viele Erwartungen, sie wirft aber auch viele Fragen auf. Diese richten sich neben den technischen Herausforderungen vor allem auch an die Verkehrspsychologie und die Psychologie des Ingenieurs. Warum diese psychologischen Aspekte und die Psychologie des Nutzers beim Automatisierten Fahren berücksichtigt werden müssen und wie dadurch die Gestaltung autonomer Fahrzeuge beeinflusst wird.

Automatisiertes Fahren

Grundsätzlich ist die Idee des automatisierten Fahrens nicht neu, sondern vielmehr eine Vision, die parallel zur Entwicklung des Automobils immer wieder in unterschiedlichen Formen dargestellt wurde. Daran wird ein grundsätzlicher Zwiespalt deutlich. Es ist einerseits wünschenswert, eine Maschine zu kontrollieren, die unsere Mobilität deutlich erweitert, anderseits besteht immer wieder der Wunsch, mit der Bedienung dieser Maschine nicht belastet zu sein.

Die Rolle des Menschen in automatisierten Systemen

Automatisierung wurde bereits beispielsweise in der Luftfahrt und der Prozesstechnik realisiert. Die Erfahrungen dort zeigen, dass es in vielen Fällen nicht gelungen ist, den Menschen völlig aus dem System zu entfernen, sondern ihm als Nutzer eines automatisierten Systems eine neue Rolle als Überwacher und „Rückfallebene“ zugewiesen wurde. Die Erkenntnisse aus diesen Anwendungsdomänen können nur bedingt auf das Auto und den Straßenverkehr übertragen werden. Sie zeigen aber deutlich, dass mit einer Automation nicht nur die Belastung reduziert wird, sondern neue Aufgaben für die Nutzer hinzukommen.

Die automatisierte Fahrzeugführung ist ein Paradigmenwechsel, auch wenn sie auf vielen Ansätzen und Technologien der bisherigen Fahrerassistenz aufbaut [2]. In diesem Zusammenhang ist von verschiedenen Levels der Automation die Rede. Diese schreiben, ausgehend von der technischen Leistungsfähigkeit, dem Menschen unterschiedliche Rollen zu, von der dauerhaften Überwachung, über das rechtzeitige Übernehmen bis hin zum Passagier ohne Eingriffsmöglichkeiten (auf weitere Aspekte gehen Gasser et al. 2015 [3] ein).

Ausgehend von der Technik bestimmt sich also die Rolle des Menschen und seine Aufgaben. Er wird weiterhin eine wichtige Rolle im Fahrzeug spielen, um an Systemgrenzen oder bei Systemfehlern einzugreifen. Diese neue Situation wirft zunächst die Frage auf, wie diese neuen technischen Ansätze kommuniziert und gelehrt werden können, sodass Nutzer eine korrekte Vorstellung entwickeln und die Fahrzeugautomation mit realistischen Erwartungen verantwortungsvoll nutzen.

Automation erfordert Umlernen

Es ist davon auszugehen, dass der Umgang mit Automation weitestgehend im Alltag ohne ein zusätzliches oder gar vorgeschriebenes Training stattfinden wird. Viele Nutzererwartungen sind von unterschiedlichen Eindrücken bis hin zur Science Fiction geprägt. Der Umgang mit Seriensystemen in Fahrzeugen erfordert daher häufig ein Umlernen. Dieser Lernprozess darf aber nicht zu unvorhersehbaren oder risikoreichen Situationen führen. Nachvollziehbare Informationen über die reale Leistungsfähigkeit und Einsatzfelder der Funktionen bis hin zu verständlichen Fahrzeuganzeigen spielen hier eine wichtige Rolle.

Fokus auf kognitive Prozesse

Eine weitere Fragestellung besteht in der Tatsache, dass Menschen nicht in der Lage sind, ein technisches System dauerhaft zuverlässig zu überwachen [1]. In aufwändigen Versuchen wurde und wird nach wie vor untersucht, wie sich die Aufmerksamkeit und Wachheit der Nutzer entwickelt, die nicht mehr länger Fahrer sind und sich bei höheren Automationsgraden sogar von der Fahrzeugüberwachung abwenden dürften.

Eine besondere Bedeutung kommt daher den kognitiven Prozessen zu, die dem Fahrer erlauben, seine Aufmerksamkeit zu managen sowie dem zugrundeliegenden Vertrauen in die Technik. Hier spielen sowohl Persönlichkeitsfaktoren als auch die Gestaltung der Bedienelemente, Anzeigen und Informationen im Innenraum eine ausschlaggebende Rolle, um das erwünschte Nutzerverhalten zu erzielen. Vor allen Dingen ist die Gestaltung von Hinweisen und Warnmeldungen bedeutsam, wenn der Nutzer die Fahraufgabe wieder übernehmen soll.

Psychologische Merkmale sichtbar machen

Das Ziel ist eine schnelle und richtige Reaktion, wenn die Fahraufgabe wieder vom Menschen übernommen wird. Viele Begriffe und psychologische Konstrukte wie die Wahrnehmungsbereitschaft des Fahrers oder ganz allgemein der Fahrerzustand müssen messbar gemacht werden, um sie in die Interaktion zwischen Fahrzeug und Nutzer einzubeziehen. Für den Nutzer muss jederzeit erkennbar sein, in welchem Zustand sich das Fahrzeug befindet und worin seine Aufgabe besteht, sodass einer mode confusion wirkungsvoll vorgebeugt wird.

Kommunikation und Interaktion mit Verkehrsteilnehmern

Automatisierte Fahrzeuge werden im Mischverkehr mit manuell geführten Fahrzeugen und schwächeren Verkehrsteilnehmern genutzt werden. Daher spielt auch wie bisher die soziale Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern eine grundlegende Rolle für die Sicherheit und Effizienz des Verkehrs. Immer wieder zeigt sich, dass für die Vermeidung oder Lösung von Verkehrskonflikten die Kommunikation zwischen Verkehrsteilnehmern wichtig ist.

Gesten, Lichtzeichen und andere Kommunikationsformen, die Menschen in unklaren Situationen nutzen, entfallen zunächst. Versuche zeigen, dass die Bewegung des Fahrzeugs neben expliziten Signalen auch kulturübergreifend eine wichtige Information darstellt. Menschen sind grundsätzlich sehr gut in der Lage, das Verhalten eines Fahrzeugs abzuschätzen und nutzen dazu vor allem das Bewegungsverhalten als Information.

Die Fahrweise automatisierter Fahrzeuge kann aber unnatürlich anmuten und schwer zu interpretieren sein. Das kann zum einen an der zum Teil mangelnden Vorausschau und sensorischen Einschränkungen liegen, zum anderen auch daran, dass gesetzliche Vorgaben exakt eingehalten werden. Es stellt sich die Frage, wie und in welchem Ausmaß automatisierte Fahrzeuge mit anderen Verkehrsteilnehmern kommunizieren müssen. In Realversuchen, Simulatoren und virtueller Realität wird abgesichert, wie Verkehrsteilnehmer das Bewegungsverhalten automatisierter Fahrzeuge und explizite Signalbilder interpretieren. Dabei werden sowohl kulturelle als auch Alterseinflüsse untersucht.

Die „Verstehbarkeit“ der Absichten eines automatisierten Fahrzeugs durch andere Verkehrsteilnehmer stellt einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz bei der Einführung dieser Technologie dar. Sie kann durch die gezielte Gestaltung der Trajektorien und einen sorgfältigen Einsatz von zusätzlichen Anzeigen sehr positiv beeinflusst werden.

Fahren ab Level 3

Vorteile hochautomatisierten Fahrens

Während der umgebende Verkehr unter Umständen mehr Aufmerksamkeit aufwenden muss, dürfen Nutzer hochautomatisierten Fahrens sich ab Level 3 mit sogenannten fahrfremden Tätigkeiten beschäftigen, die derzeit während der manuellen und assistierten Fahrzeugführung verboten sind. Auch hier stellt sich die Frage, welche Aufgabeneigenschaften sich positiv auf die Reaktionsfähigkeit und Aufmerksamkeit auswirken und unter welchen Bedingungen die Übernahme der Fahraufgabe beeinträchtigt wird.

Für viele Nutzer stellen neben der Möglichkeit, sich zu entspannen, gerade diese fahrfremden Tätigkeiten einen erheblichen Vorteil einer automatisierten Fahrt dar. Die Gestaltung des Fahrzeuginnenraums von der Bildschirmanordnung, der Gestaltung von Warnmeldungen bis hin zur Auslegung der Fahrweise des automatisierten Fahrzeugs muss daran ausgerichtet sein, Missverständnisse bezüglich der Überwachung zu vermeiden. Dem Missbrauch der Automation muss vorgebeugt werden.

Psychologie der Nutzer

Grundsätzlich besteht neben den beschriebenen Fragestellungen eine der wichtigsten Aufgaben der Psychologie darin, ein tieferes Nutzerverständnis zu erlangen. Denn wenn auch häufig argumentiert wird, dass die Automatisierung Sicherheit und Effizienz im Straßenverkehr steigern soll, dann ist dennoch ausschlaggebend, worin Nutzer langfristig ihren individuellen Vorteil in der Automatisierung sehen und welche Nutzergruppen zu unterscheiden sind. Für eine erfolgreiche Nutzung automatisierter Fahrfunktionen ist also neben der technischen Entwicklung die gezielte Gestaltung auf Grundlage psychologischer Erkenntnisse ausschlaggebend.

Literatur

[1] Bainbridge, L. (1983). Ironies of Automation. Automatica, 19(6), 775–779.
[2] Bengler, K., Dietmayer, K., B. Färber, B., Maurer, M, Stiller, C, Winner, H. (2014). Three decades of driver assistance systems – review and future perspectives, IEEE Intelligent Transportation Systems Magazine, vol. 6, no. 4, pp. 6–22.
[3] Gasser, T.M., Schmidt, E.A., Bengler, K., Chiellino, U., Diederichs, F., Eckstein, L., Flemisch, F., Fraedrich, E., Fuchs, E., Gustke, M., Hoyer, R., Hüttinger, M., Jipp, M., Köster, F., Kühn, M., Lenz, B., LotzKeens, C., Maurer, M., Meurer, M., Meuresch, S., Müller, N., Reitter, C., Reschka, A., Riegelhuth, G., Ritter, J., Siedersberger, K.-H., Stankowitz, W., Trimpop, R., & Zeeb, E. (2015). Report on the Need for Research: Round Table on Automated Driving - Research Working Group.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2020 März/April