Vom Fahrer zum Passagier

Die Entwicklungen der Telematik und Zukunft der Automobilindustrie

Interview mit Prof. Dr. Dr. e.h. Hans-Hermann Braess, VDI, vormals Leiter des Bereiches Wissenschaft und Forschung BMW AG, Dr.-Ing. Günter Reichart und Prof. Dr. Werner Huber, vormals Bereich Wissenschaft und Forschung BMW AG

1997 haben wir die erste Ausgabe der TiB mit einem Interview mit Prof. Dr. Dr. e.h. Hans-Hermann Braess, VDI, dem damaligen Leiter des Bereiches Wissenschaft und Forschung der BMW AG, begonnen. Unter dem Titel „Telematik im Gespräch“ sprach er damals u.a. über die Einbindung elektronischer Systeme zur Fahrerassistenz. 20 Jahre später konnten wir mit Prof. Braess und zweien seiner damaligen Mitstreiter, Dr.-Ing. Günter Reichart und Prof. Dr. Werner Huber, über die Entwicklungen der Telematik in den letzten Dekaden und die Zukunftsszenarien der Automobilindustrie unter dem Druck neuer Wettbewerber sprechen.

Technik in Bayern: Herr Prof. Braess, Sie beschäftigten sich schon seit Mitte der 1980er Jahre mit Verkehrstelematik, u.a. dem Forschungsprogramm PROMETHEUS.

Können Sie uns die Motivation zu solchen Projekten kurz skizzieren?

Prof. Hans-Hermann Braess: Die technologische Situation konnte man als Aufbruchsstimmung für Elektronik im Auto bezeichnen. Sensorik, Aktuatorik etc. fingen damals in den 1980er Jahren an und es gab erste Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Es gab erste Konzepte zur dynamischen Verkehrsbeeinflussung und erste Studien zu Unfallvermeidungspotenzialen und Fahrerunterstützung. Ich zitiere nur Dr. Enke von Daimler: „Wenn man den Fahrer nur 0,5 Sekunden früher informiert, dann kann er eine ganze Menge an Unfällen vermeiden.“

Mit PROMETHEUS sollte die vorwettbewerbliche Technologieforschung zu europaweiten Standards führen. Der Verkehr war damals schon stark grenzüberschreitend, man hat also gesagt: Wenn wir was machen, dann nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern europaweit. Das Gesamtziel von PROMETHEUS war, Konzepte und Lösungen zu schaffen, die den Weg hin zu hoher Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit sowie bisher noch nie erreichter Sicherheit im Straßenverkehr aufweisen.

TiB: Diese Ziele sollen auch mit dem automatischen Fahren von heute erreicht werden. War das mit angedacht und welche Ergebnisse hat PROMETHEUS gebracht?

Prof. Braess: Wir wollten damals ganz bewusst kein automatisches Fahren. Wir wollten den automatischen Nothalt: Wenn der Fahrer nicht mehr in der Lage ist, seiner Fahraufgabe nachzukommen, wollten wir das Fahrzeug kontrolliert, nicht schlagartig anhalten. Das haben wir damals diskutiert. Ein wichtiges Ergebnis von PROMETHEUS war der ACC – der intelligente Tempomat. Es war das erste System, das schon bald nach Projektende in die Fahrzeuge eingebaut wurde.

Günter Reichart: Als wir das ACC – Active Cruise Control eingeführt haben, haben wir vereinbart, dass eine Automatisierung auf einem niedrigen Level durchaus möglich ist.

TiB: Wie haben Sie das damals mit der Lenkung gemacht?

Prof. Huber: Damals hatten wir natürlich noch nicht die elektromechanischen Systeme, die wir heute haben. Es gab aber schon elektrische Aktuatoren, die die Lenkaufgabe übernehmen konnten.

TiB: Wurden nicht auch Navigationssysteme im Rahmen von PROMETHEUS erstmals präsentiert?

Dr. Reichart: Das ist richtig, es gab schon fahrzeugbasierte Navigationssysteme, eine Baken-basierte Lösung und als infrastrukturelle Ergänzung RDS-TMC (Übermittlung von Zusatzinformationen beim Hörfunk) mit der jeweils aktuellen Verkehrsinformation. Die Navigationssysteme waren sicher eine der ganz großen Erfolgsgeschichten von PROMETHEUS. Das zweite Thema war ACC – Active Cruise Control oder die intelligente Abstandsregelung. Auch wurden Spurhaltungsunterstützungssysteme wie Heading Control oder Lane Keeping System entwickelt. Und dann gab es die Tote-Winkel-Überwachung als wesentliches Ergebnis sowie die Nachtsichtgeräte Night Vision und das aktive Kurvenlicht.

Prof. Braess: Nicht zu vergessen der Automatische Notruf, der ja jetzt ab 2018 Vorschrift wird. Den haben wir damals auch schon entwickelt. Wir wollten einfach nach einem Unfall, bei dem es evtl. Schwerverletzte gibt, keine Zeit vergeuden und sofort Hilfsmaßnahmen einleiten. Automatischer Notruf ist wichtig.

Das sind mehrere Punkte, die maßgeblich von PROMETHEUS getriggert und nachträglich weiter verfolgt und entwickelt wurden. Und es ist interessant, was im Nachgang zu PROMETHEUS im Laufe der Jahre alles gekommen ist. PROMETHEUS war der Auslöser für viele technische Neuerungen und eine ganze Menge nationaler und internationaler Forschungsprogramme. Da ist schrittweise alles Mögliche eingeführt worden.

Über das EUREKA-PROMETHEUS-Projekt

Das EUREKA-PROMETHEUS-Projekt (PROgraMme for a European Traffic of Highest Efficiency and Unprecedented Safety, 1986–1994) kam auf Initiative von Ferdinand Panik (damals bei Daimler-Benz) und seinen Kollegen aus den Konzernforschungen der meisten anderen europäischen Fahrzeughersteller zustande. An diesem bislang größten europäischen Projekt zur Verbesserung der Effizienz, Umweltverträglichkeit und Sicherheit des Straßenverkehrs mit einem Förderumfang von über 700 Mio. ECU beteiligten sich neben den Fahrzeugherstellern fast alle bedeutenden europäischen Zulieferfirmen und weitere Elektronikfirmen, die bisher noch nicht im Automobilbereich tätig waren, sowie eine Vielzahl wissenschaftlicher Institute. (Quelle: Wikipedia)

TiB: Machen wir einen Zeitsprung. Heute ist das Autonome Fahren in aller Munde. Wie sieht es da mit gesamteuropäischen Projekten aus?

Dr. Reichart: Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit war damals in Europa wesentlich größer als heute. Mit PROMETHEUS wurden auch die Amerikaner und die Japaner angeregt, die dann ihre eigenen nationalen Forschungsprogramme gemacht haben. In diesem Rahmen wurde damals erstmalig das automatische Fahren realisiert. Sie haben das getan, indem sie Magnetnägel in die Straße geschlagen haben, denen die Fahrzeuge dann nachgefahren sind.

Heute müssen wir leider feststellen, dass die Bereitschaft zum gemeinsamen Forschen und Entwickeln beim Autonomen Fahren insgesamt nicht so ausgeprägt ist, wie man es sich wünschen würde. Ich denke, die Firmen werden sich keinen Gefallen tun, wenn sie sich in puncto Automation und Sicherheitstechnik weiter auseinander entwickeln.

TiB: …und es kommen neue Player ins Spiel, siehe Tesla, Google, Amazon, nicht unbedingt ausgestattet mit Kompetenz, die sie sich aber mit viel Geld einkaufen. Eine Marktmacht, die die Investitionskraft von Daimler, BMW und den anderen Automobilherstellern bei weitem übersteigt.

Prof. Braess: Und es kommt ein Grundsatzaspekt ins Spiel, dadurch, dass Sie in Deutschland erst dann eine Technologie zugelassen bekommen, wenn sie ausgereift und erprobt ist. Die Amerikaner sehen das ein wenig anders. Die probieren erst einmal und kippen es später, falls es nicht funktioniert. Sie sagen: Schauen wir mal und machen erst einmal. Wir Deutschen versuchen immer zuerst die Risiken abzuwägen und einzuschätzen und zu minimieren.

Prof. Huber: Das sieht man ja schon an den ganzen Testfeldern für das autonome Fahren in Amerika, die da aus dem Boden gestampft wurden, lange vor uns. Und wir ziehen hier jetzt erst langsam nach.

Prof. Braess: Ein weiterer Punkt sind die geänderten Entwicklungsmethoden. Als wir uns damals mit den Themen angefangen haben zu befassen, stellten wir fest, dass die klassischen Entwicklungsmethoden aus dem Maschinenbau überhaupt nicht mehr ausreichten. Und heute spielt die Software eine ganz entscheidende Rolle. Ohne Software kann das Ganze nicht mehr funktionieren. Schon der heutige assistenzgestützte Verkehr ist ein offenes System Das birgt große Gefahren durch Eingriffe durch Hacker. Das Problem gab es damals noch nicht.

Prof. Huber: Aber einen Punkt möchte ich noch erwähnen: Wir stehen ja heute mit dem Autonomen Fahren wieder vor der gleichen Aufgabenstellung, denn ein autonom fahrendes Auto zu bauen ist ja kein Fahrzeugprojekt mehr. Es ist ein reines IT-Projekt geworden. Die Fragen, um die es geht, sind: Wie schaffen wir die richtigen Architekturen, wie entwickeln wir die richtige Software? Wie sieht die Absicherung der Funktion aus? 

Wir reden hier nicht mehr über einen reinen Automobilentwicklungsprozess, den wir natürlich können, sondern wir reden plötzlich über ganz andere, agile Prozesse in der Entwicklung, die dann diejenigen Partner mitbringen, die aus der IT-Branche kommen, die Googles und Apples dieser Welt, die ganz anders entwickeln. Dazu müssen wir die Kompetenz des Autobauens mit der IT-Kompetenz ergänzen.

TiB: Da stellt sich doch die Frage: Warum können diese neuen Player so plötzlich am Markt auftauchen?

Dr. Reichart: Aus meiner Sicht gar nicht so verwunderlich, weil natürlich bei diesen Playern eine ganz andere Geschäftsabsicht dahinter steht: das Big Data Geschäft. Google ist eine der größten Datamining Companies der Welt und seit langem in diesem Geschäft tätig. Die sehen natürlich das Potenzial in diesen selbstfahrenden Autos: einerseits Werbeträger zu haben und auf der anderen Seite Informationsquellen der besonderen Art. Und diese Strukturen wollen sie auch für alles Mögliche nutzen. Sie können damit die Bewegungs- und andere Start-Ziel-Profile der Kunden erkennen und auch zielsicher nutzen. Mit den selbstfahrenden Autos haben sie natürlich die perfekte Datamining-Plattform, die unter dem Mobilitätsaspekt vertrieben wird.

Und das Fahrzeugknowhow kaufen sie sich dazu. Das sieht man gerade an der Verbindung, die sie mit FIAT eingegangen sind. Sie suchen sich also Firmen, die im Elektronikbereich nicht so stark sind, die aber trotzdem Automobil-Know-how haben. Das funktioniert, weil die Plattform, auf der das läuft, nicht besonders kompliziert ist. Die Komplexität liegt in der Sensorik und letztendlich in der Software, mit der man das realisieren muss. Aber das Ganze ist für diese Player nicht mehr der große Akt.

TiB: Die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation war schon zu PROMETHEUS Zeiten ein gerne diskutiertes Thema. Hier kommen wir aber ganz schnell zur Datensicherheit.

Gibt es für die Vernetzungssysteme eine irgendwie geartete Normungsbestrebung, die vernünftig ist und in der Sicherheitsstandards definiert werden?

Prof. Huber: Ja, die gibt es, nicht zuletzt aus dem Forschungsprojekt SIM-TD. Hier wurden erstmals gemeinsame Standards definiert und festgelegt. Das ganze Thema Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation wurde hier über Use Cases und Protokolle gestaltet. Und man hat die infrage kommenden Übertragungstechnologien beleuchtet.

Ich würde mal so sagen, es liegt alles auf dem Tisch, damit man Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation vernünftig machen kann. Die Frage ist nur: Wer fängt damit an?

TiB: Sind diese Standards zur Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation einigungsfähig?

Prof. Huber: Ja, sie sind einigungsfähig. Das scheint ein Henne-Ei-Problem zu sein. Das erste Auto, das auf den Markt kommt, wird wahrscheinlich nie auf eine Situation treffen, in der es Informationen, die es benötigen würde, von einem anderen Fahrzeug erhält. Erst ab einem gewissen Durchdringungsgrad können solche Systeme wirken. Bis dieser Punkt allerdings erreicht wird, dauert es einfach zu lange. Deshalb wird Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation nur auf Basis einer gesetzlichen Einführung zum Leben erweckt werden können.

Dr. Reichart: Das haben wir seinerzeit bei PROMETHEUS auch schon vorausgesehen. Die Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation wird wesentlich schneller realisiert werden als die Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation. Weil sich dort der Nutzen für das Einzelfahrzeug unmittelbarer darstellen lässt, als wenn Fahrzeuge direkt miteinander kommunizieren. Bei der Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation braucht man einfach eine Mindestausstattungsquote, damit der Fahrer einen Nutzen davon hat. Dies führt dann eben zu dieser erschwerten Einführungssituation.

Über das Forschungsprojektes SIMTD

Ziel des Forschungsprojektes SIMTD (Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland) ist es, die Funktionalität, Alltagstauglichkeit und Wirksamkeit von Car-to-X-Kommunikation erstmalig unter realen Bedingungen zu erproben. Durch Car-to-X-Kommunikation werden Fahrzeuge und Infrastruktur elektronisch vernetzt. So werden nachfolgende und entgegenkommende Verkehrsteilnehmer über potenzielle Gefahren frühzeitig informiert und können rechtzeitig reagieren. Informationen zur Verkehrslage werden an die SIMTD-Versuchszentrale übermittelt, die dann Verkehrsentwicklungen zuverlässig prognostizieren und zielsicher steuern kann. Die gewonnenen Informationen werden den Verkehrsteilnehmern zur Verfügung gestellt, die damit ihre Fahrtrouten anpassen können. Dies reduziert auch den CO2 - Ausstoß im Straßenverkehr. Fahrzeugbezogene Daten werden dabei ausschließlich in anonymisierter Form übermittelt. (Quelle: Wikipedia)

TiB: Wenn wir durch die Zunahme der Assistenzsysteme den Automationsgrad immer mehr vorantreiben, wird das zu Entwicklungen führen, dass z.B. niemand mehr einparken kann, wenn er es doch mal selbst machen müsste?

Dr. Reichart: Das ist richtig und eine notwendige und unvermeidbare Konsequenz aus einer technischen Weiterentwicklung. Man muss aber bei der Konzeption von technischen Systemen genau hinschauen, denn ich kann nicht immer weiter die Abläufe automatisieren und dann in einer Notsituation unvermittelt die Kontrolle an den Fahrer zurückgeben.

TiB: Diese Automatisierung von Abläufen gibt es in der Luftfahrt regelmäßig.

Prof. Huber: Das ist aber etwas anderes, die Piloten sitzen da und erwarten aufmerksam diesen Moment. So wie aber automatisiertes Fahren propagiert wird – mit Abwenden vom Cockpit und Zeitung lesen etc. – wird das mit der Rückübergabe an den Fahrer nicht funktionieren. Es ist ja schon fast ironisch, den Fahrer systematisch aus der Loop zu nehmen, weil der Automat es besser kann. Wenn aber der Automat dann eine Situation nicht mehr lösen kann, wieder nach dem Menschen zu rufen. Das wird sicher nicht funktionieren.

Gott sei Dank sind die Fahrerassistenzsysteme heute auf einem Entwicklungsstand, bei dem davon ausgegangen wird, dass der Fahrer noch auf sein System aufpasst. Das heißt, er ist immer noch in die Loop eingebunden. Das ist auch gut so, denn unsere heutigen Systeme haben begrenzte Unterstützungsleistungen. Z.B. Bremsleistungen beim ACC. Wenn jetzt ein Auto in den vom System eingehaltenen Sicherheitsabstand hineinfährt, kann das System nicht so schnell reagieren und muss es ja vielleicht auch nicht. Es informiert den Fahrer, dass dies gerade passiert, und der kann dann beurteilen und handeln. Dieses Vorgehen ist in dem Automatisierungsgrad „Assistenz“ sicher auch optimal.

Schwieriger wird der Sachverhalt, wenn ich dem Fahrer noch mehr abnehme, ohne gleichzeitig die dann aufkommenden Situationen perfekt zu beherrschen. Die Gefahr geht dabei auch ein Stück weit von den Fahrern aus. Wenn diese erkennen, dass sie sich zu über 99 % auf das System verlassen können, dann beginnen sie, die Verantwortung an das System abzugeben

TiB: 99 %ige Verlässlichlichkeit eines Systems - das ist aber ein sehr schlechter Wert.

Prof. Huber: Das genau ist aber das Problem. Je mehr man die Systeme von den Assistenz- zu vollautomatischen Systemen hin entwickelt, aber von der Perfektionierung noch ein Stück weg ist, desto schlechter wird die Gesamtperformance der Systeme. Weil das Fahrzeug dann den Eindruck erweckt, die Situation zu beherrschen, es aber nicht vollständig kann, der Fahrer aber nur selten die Grenzen des Systems erlebt. Wir sollten also solche Systeme besser nur bis zu einem bestimmten Automatisierungsgrad entwickeln und für die restlichen z.B. 5 % bewusst auf den Fahrer zurückzugreifen. Das schafft mehr Sicherheit als scheinbar sicher vollautomatisch.

In einem Assistenzsystem wird der Fahrer immer eingebunden und auch an die Grenzen geführt, d.h. er erlebt sie aktiv und bleibt auch in die Regelkreisläufe eingebunden. In diesem Fall kann ich dann auch die Fahraufgabe wieder an ihn zurückgeben.

Prof. Braess: Trotzdem gibt es das Thema der Dilemma-Entscheidung [siehe dazu den TiB-Beitrag Autonome Autos in Recht und Moral]. Das haben wir damals schon andiskutiert, es ist aber bis heute noch nicht gelöst.

TiB: Könnte einer der vorgenannten neuen Wettbewerber das automatische Fahren einfach einführen und zeigen, dass es funktioniert? Viele angestammte Industriebereiche wurden ja schon komplett aufgemischt. Sehen Sie diese Gefahr auch für die gesamte Automobilindustrie?

Dr. Reichart: Ja, ich sehe das wie Prof. Braess, der das auch schon früher angesprochen hat, dass die Automobilindustrie sich überlegen muss, wie ihre zukünftige Rolle sein wird. Damals war der Ansatz ein Mobilitätsunternehmen mit Verkehrskonzepten und vieles mehr… Wir haben die großen Mobilitätsfragen in den Ballungsgebieten noch nicht wirklich adressiert. Wie wollen wir z.B. den Massentransport organisieren? Das geht dann übrigens auch nicht mit den Peoplemovern von Google. Sobald die Aufgabe ist, z.B. 50.000 Menschen von einem Fußballstadion wegzutransportieren, geht das nicht auf diese Weise. Das würde genauso zu 15 km Stau führen wie wir das jetzt hin und wieder erleben.

TiB: Wohin soll der Transformationsprozess der Automobilindustrie gehen?

Prof. Braess: Wir haben uns offensichtlich zu wenig Gedanken gemacht, wohin das Ganze gehen soll.

Dr. Reichart: Wenn sich beim automatisierten Fahren ein BMW genauso fährt wie ein Opel oder ein Mercedes, und sie sich nur noch in der Farbe der Polsterung unterscheiden, ist das kein Geschäftsmodell. Wir haben zusätzlich ein paar große Themen, die wir noch nicht richtig vernünftig beantwortet haben, wie die CO2 -Thematik, für die wir mit dem Elektroauto sicher auch nur eine Übergangstechnologie anbieten. Das ist nur eine lokale Lösung, keine für das Gesamtproblem. Auf die Frage des Antriebs der Zukunft muss die Automobilindustrie endlich eine Antwort finden.

TiB: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Jochen Lösch, Fritz Münzel und Silvia Stettmayer

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 Januar/Februar