Zuverlässige Satellitennavigation für Autonomes Fahren

Lektionen aus der Luftfahrt

Beitrag von Dr. Boubeker Belabbas, DLR Oberpfaffenhofen

Die heutige Satellitennavigation in der Luftfahrt ermöglicht zusammen mit bodengestützten Hilfssystemen Präzisionsanflüge, einschließlich Landung und prinzipiell auch einen pilotenlosen Betrieb in allen Flugphasen. Was wurde aus der Luftfahrt gelernt, um ein zuverlässiges Navigationssystem für Autonomes Fahren zu entwerfen? Über die Anforderungen an den Entwurf und die Entwicklung von Satellitennavigationssystemen für fahrerlose Transportsysteme.

Satellitennavigation in der zivilen Luftfahrt

Die Motivation zur Anwendung der Satellitennavigation für den zivilen Luftfahrtbereich entstand vor mehr als 30 Jahren (u .a. durch einen tragischen, menschlichen Navigationsfehler). Heute erlaubt die Satellitennavigation zusammen mit bodengestützten Hilfssystemen Präzisionsanflüge einschließlich Landung und ermöglicht bei bekannt höchsten Anforderungen an die Sicherheit im Prinzip einen pilotenlosen Betrieb in allen Flugphasen. Es ist daher naheliegend, in einem ersten Schritt zu überlegen, was aus der Luftfahrt gelernt wurde, um uns der Herausforderung zu stellen, ein zuverlässiges Navigationssystem für Autonomes Fahren zu entwerfen.

GNSS für die Luftfahrt: eine schwere Geburt

GNSS (Global Navigation Satellite System) ist der Oberbegriff für satellitengestützte Navigation. Die bekanntesten Einzelsysteme davon sind das US-amerikanische GPS, das in praktisch jedem Navi benützt wird, sowie das russische GLONASS und das europäische Galileo-System. Dazu kommen noch je nach Anwendung zur Verbesserung von Präzision und Zuverlässigkeit bestimmte Hilfssysteme (Augmentation). GNSS-Navigation setzt sich in der Luftfahrt zunehmend durch und ermöglicht heute bereits eine vollautomatische Flugführung bis zu automatischen Landeanflügen mit dem sog. CAT III Standard.

Doch all diese Ergebnisse waren alles andere als einfach zu erreichen: Die Komplexität des Systems und die Verwundbarkeit der schwachen GNSS-Signale waren schwer zu überwindende Hemmnisse auf dem Weg zu einer hohen Sicherheit, wie sie von der Luftfahrt gefordert wird. Bestrebungen der Avioniksystemhersteller und der Zertifizierungsbehörden führten zur Erstellung von harmonisierten und heute verbindlichen Mindestbetriebsleistungsstandards (MOPS).

Integritätsmetriken für die Luftfahrtnavigation

Die Integrität eines Navigationssystems wird als maximaler Positionsfehler in anwendungsspezifische Richtungen ausgedrückt, die als Alarmgrenzen bezeichnet werden.

Alarmgrenzen und Integrität
Für die Luftfahrt sind dies die horizontalen und vertikalen Alarmgrenzen (HAL, VAL).

Mit diesen Alarmgrenzen verbunden ist die Wahrscheinlichkeit, diese Grenzen zu überschreiten: das sogenannte Integritätsrisiko (IR). Die Alarmgrenzen und die Integritätsrisiken sind Anforderungen an ein gegebenes Szenario, sie dürfen beispielsweise während des Reisefluges größer sein als etwa beim Landeanflug.

Schutzniveaus
Demgegenüber wird die Leistung des Navigationssystems in Form von Schutzniveaus (Protection Levels) angegeben. Sie stellen statistisch definierte Fehler für die gemessene Position dar.

Das System gilt als zuverlässig, wenn die Schutzniveaus unterhalb der Alarmgrenzen liegen. Das System wird als nicht verfügbar angesehen, wenn die Schutzniveaus größer als die Alarmgrenzen sind.

Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, finden Sie hier nähere Informationen zur Integrität und den Schutzniveaus.

Integritätsmetriken für die Fahrzeugnavigation

Um ein autonomes Fahren zu ermöglichen, muss die Position des Fahrzeugs mit einer sehr genauen Position in Bezug auf die Karte bekannt sein. Es reicht nicht aus, zu wissen, in welcher Straße sich das Fahrzeug befindet, es muss bekannt sein, in welcher Fahrbahn es sich befindet und wie weit es vom Fahrbahnrand entfernt ist, um eine mögliche Kollision mit Fahrzeugen in den Nachbarfahrbahnen zu vermeiden. Daher ist die seitliche Position des Fahrzeugs von größtem Interesse. Die zweite Dimension ist die Position entlang der Strecke.

Ein sehr großer Unterschied zur Luftfahrt liegt in der Größenordnung der erlaubten Fehler. Die Alarmgrenzen für die Fahrzeugnavigation sind in der Tat viel kleiner als für die Luftfahrtnavigation. Bei den Alarmgrenzen für das Fahrzeug muss die Fahrzeugbreite in Bezug auf die Fahrbahnbreite berücksichtigt werden und die daraus resultierenden Alarmgrenzen können in der Größenordnung von wenigen Dezimetern liegen! Unter Berücksichtigung eines damit verbundenen Integritätsrisikos auf dem gleichen Niveau wie in der Luftfahrt liegt die erforderliche Genauigkeit bei wenigen Zentimetern.

Herausforderungen und Blick in die Zukunft

Zusätzlich zu den strengen Anforderungen an das autonome Fahren können die Fehler, die ein GNSS-Empfänger in städtischer Umgebung erlebt, sehr groß, unvorhersehbar und von unterschiedlicher Art sein.

Die wichtigsten Fehlerquellen, die bei GNSS in einer städtischen Umgebung auftreten können, sind

  • Mehrwegeausbreitung aufgrund von Signalreflexionen,
  • Blockierung des Signals durch Gebäude, Bäume, Brücken oder Tunnel,
  • Signalstörungen durch hochfrequente Quellen

Anforderungen an die Satellitennavigation

Es müssen nicht nur die Anforderungen an Genauigkeit und Integrität erfüllt, sondern auch die Kontinuität und hohe Verfügbarkeit des Navigationsdienstes gewährleistet werden. Glücklicherweise stehen viele verschiedene Arten von Sensoren, die zur Einschätzung der Navigationslösung beitragen können, zur Verfügung. Zusätzlich zu GNSS gibt es Inertialsensoren, Kamerasensor, Hodometer, LIDAR, Kompass ...

Die Schlüsselfrage ist jedoch die Art und Weise, wie diese Sensoren kombiniert werden können, um die sehr strengen Anforderungen zu erfüllen. Dies ist noch immer ein Forschungsthema, das in verschiedenen Institutionen bearbeitet wird.

Revolution durch 5G

Eine wichtige Kommunikationsrevolution stellt gerade der geplante Einsatz von 5G dar. Diese neue Technologie wird eine bessere und schnellere Konnektivität ermöglichen. Dank der Kommunikation von Auto zu Auto und von Infrastruktur zu Auto werden mehr Informationen ausgetauscht und genutzt werden können, um das Navigationssystem zuverlässiger und genauer zu machen und nicht nur eine absolute, sondern auch eine sehr genaue relative Positionierung zu ermöglichen. Die relative Navigation wird einen flüssigeren Verkehr ermöglichen und kann zur Kollisionsvermeidung beitragen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2020 März/April