Schnellere Zugvorbereitung mit Kamerabrücken und Künstlicher Intelligenz

Beitrag von Dr. Christopher Klein, DB Cargo AG

Innovationen und neue Technologien finden stetig mehr Einzug im Schienengüterverkehr in Deutschland und Europa. DB Cargo nimmt hierbei eine Vorreiterrolle ein und nutzt schon heute die Vorteile von Kamerabrücken und Künstlicher Intelligenz bei der Bildverarbeitung im Arbeitsalltag. Insbesondere die Kamerabrücke am Rangierbahnhof München Nord hat dabei eine zentrale Rolle hinsichtlich der Erprobung und Vorbereitung des deutschlandweiten Einsatzes.

Wettbewerbsfähige Kosten und schnellere Zustellung bei gleichzeitig hoher Sicherheit sind zentrale Forderungen an den schienenbasierten Güterverkehr. Die Schlüsselpersonen dazu sind Wagenmeister:innen, die jeden Wagen eines Zuges auf Funktions- und Betriebssicherheit prüft. Künftig sollen diese mit allen technischen und betrieblichen Möglichkeiten bei ihrer Arbeit entlastet werden. Ziel ist es, mit modernen Technologien den Zustand der Güterwagen zu detektieren und angepasste Maßnahmen für den optimalen Betrieb abzuleiten. Keine einfache Aufgabe, da Güterwagen in bis zu 300 verschiedenen Bauarten unterwegs sind.

Für die Zustandserfassung der bis zu 300 verschiedenen Bauarten, die stetig beurteilt werden müssen, kommen vor allem stationäre Diagnosesysteme zum Einsatz, wie beispielsweise Kamerabrücken. Aber auch Mikrophone, Radsatzmesssysteme und weitere Anlagen sollen bei der Einbindung in Arbeitsprozesse der Wagenmeister folgen. Die Erfassung der Daten wird langfristig jedoch nur teilweise in Deutschland erfolgen. Der Schienengüterverkehr ist international, bei der DB Cargo überquert jeder zweite Zug mindestens eine Grenze bevor er seine Zielstation erreicht. Daher arbeitet Europas führende Güterbahn daran, die Sensorsysteme von Partnern in ganz Europa anzubinden und den Mitarbeitenden in der Zugvorbereitung zur Verfügung zu stellen.

Was bisher geschah – ein kurzer Rückblick

Bereits 2018 wurden mit dem Start der ersten Pilotanlage einer Kamerabrücke am Rangierbahnhof Nürnberg die Grundlagen für die Digitalisierung der Prozesse bei DB Cargo geschaffen. Zusammen mit der DB Netz wurde die Hardware optimiert und 2019 konnte der deutschlandweite Rollout starten. An den Standorten Nürnberg, München, Kornwestheim, Mannheim, Hagen, Seelze, Seddin und Maschen erfassen heute 13 Kamerabrücken jeden Tag 10.000 Güterwagen.

Hauptnutzer der Kamerabrücken ist aktuell die Instandhaltungsbeauftragung (ECM 3 gemäß EU-VO 2019/779). Um die neuen Möglichkeiten durch die Kamerabrücken bestmöglich auszuschöpfen, waren die Mitarbeiter von Anfang an eingebunden. In gemeinsamen Workshops sind die Bilddaten begutachtet und Optimierungen festgelegt worden. Zentraler Punkt für die Arbeit mit den Bilddaten der Kamerabrücken war die Benutzeroberfläche. Hierbei wurden zusammen mit den späteren Nutzern die Darstellung, Funktionen und Schnittstellen zu den relevanten IT-Systemen ausgestaltet und stetig weiterentwickelt. Heute sind die 120 Kollegen der Instandhaltungsbeauftragung im neuen Berufsbild als Digitaler Diagnostiker angekommen. Nach diesem erfolgreichen Beispiel sollen nun auch Arbeitsabläufe anderer Berufsgruppen weiterentwickelt werden.

Die Entwicklung der Automatisierten Schaderkennung an Güterwagen

Das Projekt Automatisierte Schaderkennung an Güterwagen (ASaG) startete 2021 im Rahmen des Bundesprogramm Zukunft Schienengüterverkehr (Z-SGV) gefördert durch das BMDV zusammen mit der DB Netz, DB, Hochschule Fresenius und Universität Wuppertal. Den Grundstein legte der Bau der Kamerabrücke in München Nord, welche eine Weiterentwicklung der bestehenden Kamerabrücken darstellt. Um mehr Anwendungsfälle und den testweisen Einsatz von KI zu ermöglichen, dienen sieben Zeilenkameras mit 4.000 Pixeln und vier Matrixkameras (2MP) zur Aufnahme der Güterwagen aus verschiedenen Blickwinkeln. Darüber hinaus wird in München Nord der Einbau zusätzlicher Kameras im Gleisbett (Unterflur) und von zwei Mikrophonen vorbereitet.

Auch ein RFID-Reader ist verbaut. Obwohl DB Cargo mittlerweile die komplette Güterwagenflotte mit RFID-Tags ausgerüstet hat, ist von den ca. 500.000 Güterwagen im europäischen Austausch nur ein Bruchteil getaggt. Daher wird momentan vor allem eine optische Fahrzeugnummernerkennung verwendet (sogenannte Optical Character Recognition – OCR).

Parallel findet ein permanenter Austausch mit weiteren Herstellern statt, um weitere Tests von Mess- und Überwachungssystemen im Gleisbereich der Zugbildungsanlagen und Strecken zu planen.

Der erste Handlungsstrang im Bereich der Wagenmeister ist die Verwendung der Bilder im laufenden Betrieb. Hierbei werden vier Kollegen in München, Nürnberg und Maschen als digitale Wagenmeister (sogenannte „Wagenmeister Bildbasierte Befundung“) eingesetzt. Mit Hilfe der Bilder beurteilen die Kollegen schon frühzeitig eine Vielzahl von Güterwagen in der Zugbildungsanlage und ergreifen entsprechende Maßnahmen, wenn Schäden oder Mängel an Güterwagen bestehen (z.B. werden mobile Instandhaltungsteams zum Wagen geschickt oder der Wagen zur Werkstatt umgeleitet). Durch das schnelle Reagieren kann die Abfahrtspünktlichkeit der Züge gesteigert, die knappen Ressourcen der Schieneninfrastruktur besser ausgeschöpft und letztlich mehr Verkehr auf die umweltfreundliche Schiene verlagert werden.

Gleichzeitig wird die Qualität der Güterwagen gesteigert, so dass mit der Bahn auch sehr empfindliche Güter transportiert werden können, die z.B. keine Feuchtigkeit vertragen. Die Mitarbeiter im Gleis können jedoch nicht auf jeden Güterwagen klettern, um das Dach auf mögliche Löcher zu kontrollieren. Das soll in Zukunft ebenfalls die Kamerabrücke leisten, und zwar mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz in der Diagnostik. Das cloudbasierte Training der verschiedenen KI-Modelle zusammen mit der DB AG und der Universität Wuppertal hat erfolgreich die ersten Vortests absolviert, so dass nun die ersten Tests des neuen Assistenzsystems unter Praxisbedingungen im Schienengüterverkehr geplant werden können.

Dazu werden deutschlandweit Wagenmeister eingebunden. Diese geben Rückmeldungen zu Stärken und Schwächen der Schadvorschläge sowie Wünsche und Ideen zur Weiterentwicklung des Assistenzsystems und der verwendeten künstlichen Intelligenz.

Wie genau die zukünftigen Prozesse zur Zugvorbereitung aussehen sollen, wird aktuell noch zusammen mit den Mitarbeitenden erarbeitet, welche die Tätigkeit später ausführen werden. In deutschlandweiten Workshops wird diskutiert und detailliert, wie in den nächsten fünf Jahren die schrittweise Einführung eines KI-basierten Assistenzsystems und zusätzlicher Sensorik starten und wie die Zusammenarbeit von Mensch und Technik verbessert werden kann. Hierbei wird DB Cargo auch von der Hochschule Fresenius begleitet, um die psychologischen Aspekte dieser bevorstehenden Transformation korrekt zu erfassen und einen bestmöglichen Weg der Einführung mitzugestalten.

Das gemeinsame Ziel ist, die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gegenüber der Straße weiter zu verbessern und den Anteil des Schienengüterverkehrs am Modal Split in den kommenden Jahren zu steigern.

 

Informationen

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2024 JAN/FEB

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