Standardisierung für den Güterwagen der Zukunft

Beitrag von Dipl.-Ing. Simon Jäckel, Verein Deutscher Ingenieure e.V., VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik

"Intelligente", mit Sensorik und Telematik ausgestattete Güterwägen, bieten zahlreiche Vorteile. Die Grundlage hierfür ist allerdings eine Versorgung mit Strom. Der Fachbeirat Bahntechnik der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik beschloss daher, einen Standardisierungsprozess für den Güterwagen der Zukunft auf den Weg zu bringen. Mehr über Inhalt und Ziele dieser VDI-Richtlinie erfahren Sie im nachfolgenden Beitrag.

Die digitalen Transformation der Bahn

Der intelligente Güterwagen, ein mit Sensorik und Telematikmodulen ausgerüsteter Waggon, ist zentraler Bestandteil des Zielbildes der digitalen Transformation der Bahn [1]. Er zählt dabei auf zwei grundlegende Ziele ein: der Schaffung von Kundenmehrwert durch digitale Angebote wie Tracking und Tracing sowie der Reduktion der betrieblichen Kosten durch eine Effizienz- und Verfügbarkeitssteigerung.

Auch die Laufleistung des Waggons, das Auftreten zu starker Stöße im Rangierbetrieb oder der Zustand der Bremsen könnten so überwacht werden, was eine effizientere Wartung und Instandhaltung zur Folge hat. Die Grundlage zur Nutzung von Sensorik und Telematik auf dem Güterwagen ist eine Versorgung mit Strom. Diese ist damit auch ein zentrales Element für die Zukunftsfähigkeit des Schienengüterverkehrs [2].

Der "Masterplan Schienengüterverkehr"

Laut dem "Masterplan Schienengüterverkehr" des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ist die Ausstattung von Güterwagen mit einer ausreichenden Stromversorgung sowie standardisierten Datenschnittstellen und Sensorik zeitnah durchzuführen [3].

Die Stromversorgung kann durch die Lokomotive, mittels auf dem Waggon oder der Sensorik angebrachter Solarzellen oder über einen Achsgenerator sichergestellt werden. Jede Variante hat dabei ihre systembedingten Vor- und Nachteile. Grundlage für die Bereitstellung des Stroms an unterschiedlichen Stellen am Waggon ist weiterhin ein durchgängiges Bordnetz.

Grundlegende Stromversorgung soll zum Standard werden

Ende 2017 beschloss der Fachbeirat Bahntechnik der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik – nach Vorlage eines Projektantrags zur Erarbeitung einer VDI-Richtlinie – den Standardisierungsprozess für den Güterwagen der Zukunft mit einem ersten Blatt über die Stromversorgung auf dem Güterwagen auf den Weg zu bringen.

Ziel der VDI-Richtlinie wird sein, eine grundlegende Stromversorgung wie beim Straßenfahrzeug zum Standard zu machen, um die technischen und wirtschaftlichen Hürden für die Einführung innovativer Komponenten zu senken. Die konstituierende Sitzung fand in der ersten Jahreshälfte 2018 statt, auf welcher auch die Zielsetzung fokussiert wurde.

In der nun als VDI 5905 Blatt 1 „Schnittstellen aktiver, kooperierender Güterwagen – Stromversorgung“ bezeichneten Richtlinie sollen fundierte Empfehlungen für diejenigen Eigenschaften einer Güterwagen-Stromversorgung erarbeitet werden, die für die Kompatibilität wesentlich sind.

Dies betrifft zum Beispiel:

  • das Spannungsniveau,
  • elektrische Belastbarkeit und Mindest-Energievorrat und
  • Bauformen und Anordnung von Steckverbindern und Leitungsführungen.

Zum Vorsitzenden des VDI-Richtlinienausschusses wurde Manfred Enning, Professor für Bahnsystemtechnik an der FH Aachen, gewählt. Der von ihm geleitete Ausschuss ist mit Stand April 2019 mit 17 Mitgliedern der „Stakeholder“ Eisenbahnverkehrsunternehmen, Waggonhalter, Komponentenhersteller, Forschung, Verbände und Behörden gut besetzt, was das Interesse an der Regelsetzung in diesem Themenfeld verdeutlicht.

Vorlage einer internationalen Normung

Da die Bahnbranche wegen ihres grenzüberschreitenden Verkehrs sehr international ausgerichtet ist, wäre ein Alleingang Deutschlands in dieser Thematik wenig hilfreich. Die VDI-Richtlinie zur Stromversorgung auf Güterwagen soll deshalb mit dem Stand einer nationalen technischen Regel als Vorlage in die europäische beziehungsweise internationale Normung eingespeist werden.

Fokus auf die letzte Meile des aufwendigen Rangierbereichs

Der intelligente und mittels Batteriespeicher oder Achsgenerator autark mit Strom versorgte Güterwagen könnte auch seine Rolle im Bereich der Automatisierung des Bahnbetriebs spielen.

Hierbei steht nicht primär die fahrerlose Überbrückung der Langdistanz im Vordergrund, sondern vielmehr die Nutzung der Technologie auf der letzten Meile im aufwendigen Rangierbereich [4]. Auf dem Weg dahin müssen einige Herausforderungen gelöst werden, siehe z. B. [5]. Darunter – wie sollte es anders sein – auch ein Konzept für die Stromversorgung.

Literatur

[1] Bobsien, S., Schmidt, H., Koch to Krax, G. (2018): Mit intelligenten Güterwagen in die Verkehrswende starten. ETR, 67. Jahrgang, Nr.9, pp. 128-135
[2] Klocksin, J., Turge, R., Eckel, A., Frenzel, J. (2017): BMVI-Projekt „Innovativer Güterwagen“ – Innovationen im Güterverkehr auf die Schiene bringen. ETR, 66. Jahrgang, Nr.5, pp. 70-73
[3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Masterplan Schienengüterverkehr., 43 pp.
[4] Verein Deutscher Ingenieure e.V. (2017): VDI-Agenda Bahntechnik. 8 pp.
[5] Schmidt, B., Enning, M., Pfaff, R. (2018): Güterwagen 4.0 – Der Güterwagen für das Internet der Dinge. Teil 3: Einführungsszenarien für aktive, kommunikative Güterwagen. ETR, 67. Jahrgang, Nr. 5, pp. 60-62

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 Juli/August