Zukunftsinitiative „5L – Eisenbahngüterwagen"

Faktoren für Wettbewerbs- und zukunftsfähige Eisenbahngüterwagen

Beitrag von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Rainer König, Professur für Bahnverkehr, öffentlicher Stadt- und Regionalverkehr, TU Dresden und M. Eng. Neele Wesseln, Netzwerk Europäischer Eisenbahnen e.V., Berlin

Die digitale Güterbahn ist keine Utopie mehr. Komponenten für eine Eisenbahninfrastruktur 4.0 befinden sich in der Erprobung. Bei der Automatisierung von Betriebsprozessen nehmen die für den Schienengüterverkehr wichtigen Zugbildungsanlagen eine Vorreiterrolle ein. Das zugehörige automatische Dispositionssystem soll noch 2019 im Freistaat Bayern in einer europaweiten Pilotanwendung zum Einsatz kommen. Eine Digitalisierung und Automatisierung des Gesamtsystems Schienengüterverkehr ist jedoch nur mit einem innovativen Eisenbahngüterwagen machbar. Dafür wurden im Rahmen der Zukunftsinitiative fünf Wachstumsfaktoren für den erfolgreichen Einsatz identifiziert. Mehr dazu.

Hemmnisse bei der Entwicklung von Innovationen in der Bahnbranche

Die Anzahl der im deutschen Fahrzeugregister geführten Güterwagen liegt laut Eisenbahnbundesamt konstant bei etwa 166.000 Einheiten [1]. Dieser vergleichsweise geringe Fahrzeugbestand führt zu einem volatilen und kleinen Markt. Im Vergleich dazu belief sich die Anzahl der Lastkraftwagen in Deutschland laut Kraftfahrt-Bundesamt im Jahr 2017 auf rund 3,1 Millionen Fahrzeuge [2].

Investitionen für Innovationen müssen sich in der Bahnbranche daher über sehr kleine Stückzahlen refinanzieren, welche verwertbare Marktchancen und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße erheblich mindern. Ein weiteres Hemmnis für die Einführung von Innovationen stellt die bisher sehr hohe Lebensdauer eines Eisenbahngüterwagens von 30 bis 40 Jahren dar – im Vergleich laufen LKW-Sattelauflieger nur rund 10 Jahre.

Folglich war die Ressource Eisenbahngüterwagen bis in die Mitte dieses Jahrzehnts hinein die in Deutschland und ganz Europa am meisten vernachlässigte Ressource im Schienengüterverkehr.

Die Sektorinitiative „5L – Eisenbahngüterwagen“

Technologische und betriebliche Innovationen sind die Voraussetzung, dass der Eisenbahngüterwagen das intelligente Bindeglied zwischen der Transportlogistik auf der Schiene und der Industrielogistik 4.0 in den Netzwerken der Kunden und Kundinnen wird.

Mit dieser Sichtweise hat sich der „Technische Innovationskreis Schienengüterverkehr“ (kurz: TIS) die Erschließung der Wachstumschancen auf der Schiene sowie der damit verbundenen Nachhaltigkeitseffekte zum Ziel gesetzt. Eine gemeinsame sektorweite Vorgehensweise, die die verladende Wirtschaft, Wagenhalter, Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie die Waggonbauindustrie umfasst, hat unter wissenschaftlicher Begleitung und Moderation die „Zukunftsinitiative 5L“ für einen innovativen Eisenbahngüterwagen strukturiert, inhaltlich definiert und in einem „Weissbuch Innovativer Eisenbahngüterwagen 2030“ veröffentlicht [3].

Konsequent wird der Ansatz verfolgt, dass Basisinnovationen auf einer Grundlage von definierten Anforderungen entwickelt werden, um auf diesem Weg die Weichen für eine erfolgreiche Migration in den Markt zu stellen. Über die Arbeitsgruppen hinaus werden bei DB Cargo AG, VTG AG und SBB Cargo AG Pilotprojekte zur Erprobung erster Basisinnovationen durchgeführt (siehe [4]).

Zukunftsfähige Eisenbahngüterwagen

Für einen wettbewerbs- und zukunftsfähigen Eisenbahngüterwagen sind fünf Wachstumsfaktoren für den erfolgreichen Einsatz identifiziert: Leise, Leicht, Laufstark, Logistikfähig und Life-cycle-cost-orientiert.

Leise: Für die gesellschaftliche Akzeptanz des Schienengüterverkehrs ist vor allem die Reduktion der Lärmemissionen relevant. Für diese sind vorrangig die Rollgeräusche verantwortlich, die zwischen Rad und Schiene entstehen. Durch den Einsatz modernster Scheibenbremsen wird der Schalldruckpegel gesenkt. Eine Senkung um 10 dB (Dezibel) wirkt für das menschliche Ohr dabei wie eine Lärmhalbierung. Der aktuelle Lärmgrenzwert für vorbeifahrende Güterwagen beträgt nach EU-Verordnung 83 dB. Das Ziel der 5L-Initiative ist die tendenzielle Absenkung der Lärmemissionen auf das heutige Niveau der Fahrzeuge im Schienenpersonenverkehr.

Leicht: Inspiriert von der Luft- und Raumfahrtindustrie sind im innovativen Güterwagen neuartige Leichtbaukomponenten eingesetzt, die zu Energie- und auch zu Lärmeinsparungen beitragen. Im Ergebnis kann die Masse der Zuladung erhöht werden, da die Eigenmasse des Wagens sinkt. Mehr Güter können in gleicher Zeit auf der Schiene transportiert werden.

Laufstark: Ausfall- und Stillstandzeiten sind im Vergleich zu den tatsächlichen Laufzeiten eines konventionellen Güterwagens hoch. Ziel ist die jährliche Erhöhung der Laufleistung durch ein Maßnahmenbündel. Eine tragende Rolle kommt hierbei der Digitalen Automatischen Kupplung zu, für deren Einführung alle TIS-Partner ein eindrucksvolles Votum abgegeben haben.

Logistikfähig: Heute ist die Position eines Lastkraftwagens minuten- und metergenau verfügbar. Kundenanforderung nach „just in time“-Lieferungen erfordern diese Echtzeitvernetzung. Wenn ein beladener Schienengüterwagen sich auf die Reise begibt, ist er i.d.R. für Versender und Empfänger eine Black Box. Die digitale Vernetzung, die in nahezu allen Logistikbereichen rasant voranschreitet, wird durch adäquate Telematik- und Sensoriklösungen ermöglicht. Hinzukommt, dass systembedingte Vorteile, wie die elektrische Traktion im Schienenfernverkehr, zur Erzielung von Umwelteffekten genutzt werden und eine Verlagerung von Verkehren auf die Schiene unterstützen. Das Konzept der „Durchgängigen Elektrischen Lieferkette“ wird zu einem zentralen Element der Logistikorientierung auf der Schiene.

Life cycle cost-orientiert (LCC): Neben der Kundenzufriedenheit spielen insbesondere für die Wagenhalter die Kosten eine große Rolle bei ihren Innovationsentscheidungen. Vernetzung und automatisierte, bedarfsorientierte Wagenuntersuchungen im Betrieb verringern außerplanmäßige Standzeiten. Durch den Einbau von LCC-orientierten Komponenten amortisieren sich Investitionen schneller. Die „5L“-Effekte werden an ihrem Beitrag zur Verringerung der Gesamtkosten über die Lebensdauer eines Eisenbahngüterwagens bewertet.

Ausblick: Intelligenter und schneller im Netz

Die Zukunftsinitiative „5L-Eisenbahngüterwagen“ setzt neue Impulse und orientiert auf Umsetzungsmaßnahmen im Sektor. Ein qualitativ hochwertiger Schienengüterverkehr ist eine wesentliche Antwort auf Klima- und Dieselkrise, auf knappen Straßenraum und hohe Unfallzahlen im Straßenverkehr.

In diesem Jahr wird der Sektor mit dem neu gegründeten Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung gestärkt. Wichtige Weichen sind gestellt, um die angestrebte Verkehrsverlagerung zu erreichen.

Literatur

[1] Eisenbahn-Bundesamt (2018): EBA-Jahresbericht 2017/2018, Bonn: 39 S.
[2] Kraftfahrt-Bundesamt (2019): Pressemitteilung Nr. 5/2019 – Der Fahrzeugbestand am 1. Januar 2019, Flensburg.
[3] König, R., Hecht, M. (2012): Weissbuch Innovativer Eisenbahngüterwagen 2030 – die Zukunftsinitiative „5L“ als Grundlage für Wachstum im Schienengüterverkehr, Dresden/Berlin: 61 S.
[4] Technischer Innovationskreis Schienengüterverkehr (TIS): Vom Innovativen Güterwagen zum Intelligenten Güterzug – die Roadmap des TIS zum wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehr

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 Juli/August