Das zweite Leben der Bäume

Zukunftsfähige Holzkonstruktionen

Beitrag von Prof. Ulrich Grimminger Leitung Masterstudiengang Holzbau und Energieeffizienz Technische Hochschule Rosenheim

Bevor ein Kantholz durch die kundigen Hände eines/r Zimmerermanns/- frau Teil eines Konstruktionsgefüges wird und damit sein zweites Leben beginnt, hat es aus der Atmosphäre so viel CO2 gebunden, wie bei seiner Zersetzung durch chemische Reduktion wieder entweichen. Ziel einer nachhaltigen Planung muss es also sein, schlagreifes Holz dem Wald zu entnehmen und möglichst lange im Bauwerk zu binden. Folgende Ergänzungsvorschlag: Gut geplant und wohl behütet kann diese Zeitspanne viele Jahrhunderte betragen, wie es beispielsweise das Solms-Hohensolmser Schloss aus dem Jahre 1321 eindrucksvoll belegt. Mit über 700 Jahren Nutzungsdauer ist dieses Bauwerk im Hinblick auf die Nachhaltigkeit beispielhaft.

Nun als Ingenieurbüro des Autors genutzt sind die Anforderungen an Behaglichkeit und Energieeffizienz gestiegen und werden sogar mit Auszeichnung erfüllt.

Kann dieses Niveau auch im Neubaubereich erreicht werden?

Am Beispiel eines Wohn- und Bürohauses in Oberbayern soll nachfolgend erläutert werden, welche Kriterien an eine zukunftsfähige Konstruktion gestellt werden und wie sich diese umsetzen lassen. Bei der Verwendung der Baumaterialien wurden bei beiden Objekten die Aspekte der Wiederverwendbarkeit und sortenreinen Trennung konsequent beachtet.

„From Hut to High-Rise“

Der Werkstoff Holz wird in seiner Leistungsfähigkeit wieder entdeckt und wirkt doch auf wundersame Weise vertraut. Das Wohn- und Bürogebäude im bayrischen Rosenheim erfüllt viele Anforderungen an zukunftsfähige Bauten unter den Zeichen der Klimakrise:

  • Die Verwendung natürlicher Baustoffe von Innen und Außen ist sofort sichtbar und stellt damit einen Bezug zum klassischen Holzbau der Region her. In klarer Ost-West-Ausrichtung wird ein rechteckiger, zweigeschossiger Baukörper mit eingeschossigem Anbau im Norden und Süden auf dem Grundstück angeordnet.
  • Das Gebäude ist nicht unterkellert. Technik- und Abstellräume sind daher im beheizten Volumen zwischen den beiden Wohneinheiten angeordnet und barrierefrei zu erreichen.
  • Das Gebäude umfasst zwei multifunktional nutzbare Wohn- bzw. Arbeitseinheiten. Großzügige, bodengleiche Terrassen im Osten, Süden und Westen werden über raumhohe Verglasungen erschlossen und verlängern den Wohnraum ins Grüne.
  • Die witterungsunabhängige Produktion großflächiger, fertig abgebundener Wand-, Dach- und Deckenbauteile im Werk erlaubt einen sehr hohen Vorfertigungsgrad. So konnte der Rohbau in 1 ½ Tagen errichtet werden. Zudem konnten durch die Ausführung in Sichtqualität auch die Ausbauzeiten erheblich reduziert werden: Das tragende Wandelement hatte schon fertige Oberflächenqualität!

Bei der Wahl der Bauweise wurde auf die Verwendung nachwachsender Baustoffe geachtet. Daher entschied sich der Bauherr bei allen Wand-, Decken und Dachelementen für Brettsperrholz als hochleistungsfähigen Baustoff.

Brettsperrholz zeichnet sich durch seine hohe Tragfähigkeit und sein bei Bedarf zweiachsiges Tragverhalten aus. Diese Vorteile konnten effektiv bei der Planung der Schiebetüre im Wohnbereich genutzt werden, die über eine Länge von 6 m öffnet. Decken- und Dachlasten wurden über Zuganker in die 140 mm dicke Südwand des Obergeschoßes hochgehängt. Durch die scheibenartige Tragwirkung der Wand im Obergeschoß konnten die mit 6 mm sehr hohen Anforderungen des Fensterbauers an die Durchbiegung (1/1000stel der Spannweite) eingehalten werden.

Die Bodenplatte ist schwimmend auf Schaumglasschotter – hergestellt aus recyceltem Altglas – gelagert. Die Wärmedämmung bildet dabei Sauberkeits- und kapillarbrechende Schicht in Einem und ermöglicht wärmebrückenfreies Bauen und den Verzicht von Frostschürzen, wenn die Entwässerung über eine wirksame Drainage sichergestellt wird. Die Sohlspannungen liegen in der maßgebenden Lastfallkombination unter der Bodenpressung vor dem Aushub. Dadurch entsteht durch das Gebäude keine zusätzliche Verdichtung des Bodens. Weiterhin entfällt eine Zwangsbewehrung in der Bodenplatte sowie Gründungspfähle durch die Tonschicht hindurch, die bei einer Massivbauweise, aufgrund der deutlich höheren Lasten, notwendig wären.

 

Die Perimeterdämmung aus Schaumglasschotter, also recyceltem Altglas, könnte Lasten abtragen, welche einem Gebäude in Brettsperrholzbauweise mit acht Geschoßen entsprechen würde.

Die erhöhte Wärmeleitung von Wärmebrücken verursacht einen erhöhten Heizwärmebedarf. Daraus folgt eine geringere Innenoberflächentemperatur sowie mögliche Schimmelbildung und damit auch gesundheitliche Gefahren. Weitere Folgen sind die Gefahr von Tauwasserausfall und einer Schädigung der Bausubstanz. Das wärmebrückenfreie Konstruieren ist daher eine wichtige Voraussetzung für ein leistungsfähiges Bauwerk.

Ein detaillierter Wärmebrückennachweis mit 28 konstruierten Wärmebrücken, ergab in der Summe einen Wärmebrückenzuschlag von 0,004 W/(m²K). Dieser Zuschlag beträgt rund ein Zehntel des Zuschlages von 0,050 W/(m2 K), welchen DIN 4108 Bbl. 2:2006-03 bei der Verwendung von Planungsbeispielen fordert. Zur Überprüfung wurden die berechneten Wärmebrücken thermografischen Aufnahmen gegenübergestellt. Dabei zeigte sich, dass die gemessenen Oberflächentemperaturen im Durchschnitt lediglich 0,9 K unter den errechneten Werten lagen und bestätigten damit die Rechenannahmen.

Das Gebäude unterschreitet die Anforderungen der Energieeinsparverordnung 2020 (EnEV 2020) deutlich und erreicht einen Transmissionswärmeverlust von 0,13 W/(m²K). Damit liegt die Energieabgabe an die Umgebung über 74 % unter dem zulässigen Höchstwert.

Der Jahres-Primärenergiebedarf beschreibt den Energiebedarf von der Herstellung bzw. Gewinnung der Energiequelle sowie den Transport und den Verbrauch. Damit werden regenerative Energiequellen sowie effiziente Anlagen technik und ein hoher Wärmedämmstandard positiv berücksichtigt. Der JahresPrimärenergiebedarf des Gebäudes von 10,06 kWh/m² liegt 82 % unter den Anforderungen der EnEV. Damit ist es gelungen, den Energiebedarf des Gebäudes durch Effizienzmaßnahmen weitestgehend zu verringern.

Der Restbedarf an Energie wird über eine Photovoltaik-Anlage auf der Südseite des Daches erzeugt und sorgt dafür, dass das Gebäude Plusenergiehausstandard erreicht. Überschüssige Energie wird über zwei Ladestationen für Elektromobilität genutzt oder in das öffentliche Versorgungsnetz eingespeist und vergütet. Weitere Dachflächen bieten bei Bedarf die Möglichkeit einer Erweiterung der PVAnlage.

Weiterhin kann im Winter ein Kaminofen mit Heiztaschen zur Unterstützung der Beheizung und Warmwassererzeugung zugeschaltet werden.

„Die Energie kann als Ursache für alle Veränderungen in der Welt angesehen werden” (Werner Heisenberg)

Je besser die Wärmedämmung und Luftdichtheit der Häuser wird, desto geringer ist der natürliche Luftaustausch. Fachleute raten deshalb, im Tagesmittel mindestens 50 % der Innenluft auszutauschen. Zur kontrollierten Be- und Entlüftung werden im Wohnhaus zentrale und in der Büronutzung dezentrale Lüftungssysteme eingesetzt. Der Luftaustausch ist dabei nicht mehr unkontrolliert:

Dabei wird die verbrauchte Abluft zentral vom Gerät aus den einzelnen Räumen abgesaugt, während die Zuluft je nach System zentral oder dezentral zugeführt wird. So erhält jeder Raum seine kontrollierte Wohnraumlüftung und die individuelle Frischluft. Bis zu 90 % der Wärmeenergie wird zurückgewonnen.

Einen weiteren wichtigen Pluspunkt bietet eine Lüftung mit System auch für Allergiker. Spezielle Filter halten Pollen und Staub zurück und ermöglichen freies und entspanntes Arbeiten.

Die hohe Behaglichkeit des Raumklimas wird durch eine Kombination von Luftbefeuchtung und Luftreinigung mit Hilfe von Luftwäschern in beiden Nutzungseinheiten erreicht.

Durch konstante Raumluftfeuchtigkeit kann zur Erhöhung der Energieeffizienz bei gleichem Wohlbefinden die Raumtemperatur abgesenkt werden. Bei längerer Abwesenheit der Bewohner atmet das Haus somit weiter und tauscht das Luftvolumen kontinuierlich und energieeffizient aus.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2023 JAN/FEB