Die Kosten-Uhr läuft immer mit

Bauen für die Infrastruktur

Interview mit Thomas Schmid, Hauptgeschäftsführer Bayerischer Bauindustrieverband e.V.

Die TiB sprach mit Thomas Schmid über den Bau von Infrastrukturen.

Technik in Bayern: Herr Schmid, was verstehen wir unter Bauen für Infrastruktur?

Thomas Schmid: Unter Bauen für Infrastruktur versteht man in erster Linie Ausbau und Erhaltung des Verkehrswegenetzes, wozu das Straßen- und Schienennetz gehört, aber auch Wasserstraßen und Flughäfen. Bauen für Infrastruktur umfasst darüber hinaus auch Einrichtungen der Energieinfrastruktur, v. a. Anlagen und Leitungen für Elektroenergie, Gasversorgung und Fernwärme, aber auch Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Telekommunikation.

TiB: Welche Möglichkeiten für Nachhaltigkeit gibt es im Straßenbau?

Schmid: Der Straßenbau ist prädestiniert für den Einsatz von Recycling-Baustoffen (RC-Baustoffe). Mineralische RecyclingBaustoffe bestehen in der Regel aus Granulaten, die zum überwiegenden Teil im Straßenbau, in zahlreichen Erdbauanwendungen (z. B. Lärmschutzwällen) und zunehmend als Gesteinskörnungen für die Herstellung von Beton verwendet werden. In vielen Anwendungsfällen im Straßenbau ist die erforderliche Gleichwertigkeit von RC-Baustoffen ihrer bautechnischen Eigenschaften im Vergleich zu Baustoffen aus Primärrohstoffen gegeben.

Die umweltrelevanten Vorteile des Einsatzes von RC-Baustoffen sind die Schonung der begrenzt verfügbaren, mineralischen, nicht nachwachsenden natürlichen Ressourcen durch die Rückführung von Bauund Abbruchabfällen in den Wirtschaftskreislauf, die Schonung von Natur und Landschaft durch die Verringerung des Flächenverbrauchs für den Abbau von natürlichen Kiesen und Splitten, ein geringerer Gesamtenergieverbrauch für die Herstellung im Vergleich zu Primärbaustoffen und damit die Reduzierung klimaschädlicher Emissionen, die Minderung des Aufkommens an Schwerlasttransporten, des Kraftstoffverbrauchs samt der Vermeidung zusätzlicher Straßenschäden und die Schonung von Deponiekapazitäten durch Verwertung anstelle Beseitigung von Bauabfällen.

Straßenbau ist ausgesprochen maschinen- und somit energieintensiv. Daher liegt es auf der Hand, den Einsatz von Baumaschinen zu fördern, die mit regenerativen Energien betrieben werden. Auf der diesjährigen Bauma wurde bereits eine Vielzahl von Baumaschinen mit Elektroantrieb vorgestellt, aber auch erste serienreife Geräte mit Wasserstoffantrieb.

TiB: Wie geht die Öffentliche Hand mit ihrer Vorbildfunktion für nachhaltigen Straßenbau um?

Schmid: Im Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) ist in § 6 die Rangfolge der Abfallbewirtschaftung geregelt. Können Abfälle nicht vermieden oder für eine Wiederverwendung vorbereitet werden, sind sie grundsätzlich stofflich zu verwerten. Art. 2 Abs. 1 Bayerisches Abfallwirtschaftsgesetz (BayAbfG) lässt der Öffentlichen Hand eine Vorbildfunktion zukommen: „Staat, Gemeinden, Landkreise, Bezirke und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts haben vorbildhaft dazu beizutragen, dass die Ziele des Art. 1 Abs. 1 (...) erreicht werden. Dazu sind finanzielle Mehrbelastungen und Minderungen der Gebrauchstauglichkeit in angemessenem Umfang hinzunehmen.“

Gemäß einer Vereinbarung zwischen dem Bayerischen Umweltministerium und Wirtschaftsbeteiligten im Rahmen des Umweltpakts Bayern soll Bauschutt für die Verwertung in technischen Bauwerken zu RC-Baustoffen aufbereitet werden. Eine Aufbereitung nach dem Stand der Technik ist grundsätzlich in mobilen, semimobilen oder stationären Anlagen möglich. Die mineralischen Abfälle werden vor der Anlieferung deklariert, dann gebrochen, klassiert, von Störstoffen befreit und sortiert.

TiB: Woran hakt es? Was empfehlen Sie?

Schmid: Die bayerischen Kommunen kommen ihrer Vorbildfunktion im Hinblick auf nachhaltiges Bauen und Einsatz von RC-Baustoffen nach wie vor in nur unzureichendem Maße nach. Durch nachhaltiges Bauen praktizierter Umweltschutz muss bei öffentlichen Bauprojekten Vorrang vor der maximalen Ausnutzung von Subventionen haben.

Seit Jahren wirbt der BBIV für die Verbesserung der Marktakzeptanz von Recyclingbaustoffen. Mineralische Bau- und Abbruchabfälle repräsentieren den größten Abfallstrom sowohl in Deutschland als auch in Bayern. Es sollte vor allem den Kommunen bei jeder sich bietenden Gelegenheit vermittelt werden, dass durch eine entsprechend konsequente Anpassung des eigenen Ausschreibungsverhaltens ein aktiver Beitrag zur Einhaltung der Klimaschutzziele, der Schonung der knappen Deponiekapazitäten sowie zur Einsparung von Steuermitteln geleistet werden kann.

TiB: Gibt es weitere Innovationen im Bereich des nachhaltigen Infrastrukturbaus in der Bauindustrie?

Schmid: Ja, die gibt es. Beispielsweise den KlimaTrack. Mit KlimaTrack wurde von der Fa. edilon sedra ein Fahrbahnsystem entwickelt, das nicht nur die höchsten Anforderungen an den kombinierten Straßen- und Bahnverkehr erfüllt, sondern durch Wasserspeicherung und reflektierender Oberfläche einen Beitrag zur Temperatursenkung in den ansonsten aufgeheizten Innenstädten leistet. Darüber hinaus ist KlimaTrack durch seinen innovativen Aufbau auch in Bezug auf Betrieb und Instandhaltung besonders nachhaltig.

TiB: Wie sieht es angesichts der aktuellen Energiekrise aus mit der Energiewende in der Bauindustrie?

Schmid: Manche unserer Unternehmen versorgen sich zunehmend mit eigener Energie, meistens Photovoltaik, hin und wieder Windenergie. So wird zum einen zunehmend nachhaltige Energie bei der Herstellung von Bauwerken verwendet, und zum anderen werden die Kosten im eigenen Unternehmen reduziert und damit die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Zwei Beispiele:

Mit über 3.700 Modulen errichtete die Fa. Bögl im Juni 2022 auf einem Baggersee eine der größten schwimmenden Photovoltaik-Anlagen in Deutschland. Jährlich produziert die Anlage mehr als 1,6 Mio. KWh regenerativen Strom, der direkt vor Ort (Sandbrechanlage, Betonwerk etc.) verbraucht werden kann. Dabei werden keine zusätzlichen Flächen im Gemeindegebiet in Anspruch genommen, nennenswerte Eingriffe in die bestehende Gewässerökologie finden nicht statt. Die Anlage ist auch erweiterbar. Aber auch auf den Baustellen wird mehr und mehr darüber nachgedacht, wie man die Herstellung der Bauwerke nachhaltiger gestalten kann:

Durch die PV-Anlage auf dem „Baustellencontainer-e“ schafft es die Fa. STRABAG, den Einsatz einer konventionellen Baustromeinrichtung (z. B. Diesel-Stromgenerator) zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Akkubetriebene Handgeräte werden z. B. über den selbst erzeugten Strom des Containers betrieben. Der Container-e trägt so zu einem mehr und mehr nachhaltigen Baustellenbetrieb bei.

TiB: Sind Holzbaustoffe oder Massivbaustoffe künftig die besseren Materialien?

Schmid: Wir plädieren für die freie Wahl der Baustoffe. Die Studie „Lebenszyklusanalyse von Wohngebäuden“ des Bayerischen Landesamtes für Umwelt und des Bayerischen Wirtschaftsministeriums kommt eindeutig zu dem Ergebnis, dass alle Baustoffe ihre spezifischen Vor- und Nachteile haben, so dass weder die Massiv- noch die Holzbauweise alleinig favorisiert werden kann. Gerade der Staat mit seiner Vorbildfunktion sollte sich beim öffentlichen Bau nicht nur auf eine Bauweise beschränken, sondern die unterschiedlichen Vorteile aller Bauweisen zur Geltung kommen lassen. Wir appellieren, nicht einseitig zugunsten einer Bauweise in den freien Wettbewerb einzugreifen. Alle Baustoffe können und müssen auch weiterhin einen substantiellen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele leisten. Hierfür bedarf es Chancengleichheit, Technologieoffenheit und eines freien Wettbewerbs.

TiB: Insbesondere der Baustoff Beton hat einen hohen CO2 -Fußabdruck. Was kann beim Thema der Baustoffe für die Nachhaltigkeit in der Bauindustrie getan werden?

Schmid: Der wertschöpfungskettenübergreifende 5C-Approach beim Beton ist ein vielversprechender Ansatz, um den Baustoff Beton deutlich klimaschonender zu machen. Dieser 5C-Ansatz bedeutet:

  • Clinker: weniger Klinker im Zement
  • Cement: weniger Zement im Beton
  • Concrete: weniger Beton in der Konstruktion
  • Construction: weniger fossile Brennstoffe für die Klinkerproduktion
  • Carbonatitsierung: Re-Carbonatisierung (Einlagerung von CO2 in den Beton in der Betriebsphase)

Durch neue Betonzusatzmittel können beispielsweise bis zu 50 % des Zementklinkers durch andere Stoffe wie Kalkstein und gebrannten Ölschiefer ersetzt werden. Dadurch lassen sich bis zu 60 % CO2 bei der Betonproduktion einsparen. Auch die Substitution von Zement durch Füllstoffe oder die Nutzung von rezyklierter Gesteinskörnung bringen weitere Einsparungen von Treibhausgasemissionen.

TiB: Welche Potenziale bietet hierzu die Digitalisierung oder Informatisierung?

Schmid: Was auch immer eine Baufirma tut, die Kosten-Uhr läuft immer mit: Wenn der LKW 10 Tonnen Kies transportiert, werden die Personalkosten des LKWFahrers, die Abschreibung des LKWs, die Kosten für Diesel, Wartung etc. auf den Transportvorgang umgelegt. Dieser gehört meinetwegen zu einem konkreten Bauteil, dieses wiederum zu einem Baulos für die Straßenbauverwaltung. Ob also der Vermesser seine Aufgaben erledigt oder der Bauleiter im Büro kalkuliert, wenn Tausende Tonnen Asphaltmischgut auf der Baustelle verarbeitet werden: Die Kosten-Uhr läuft in all den Tausenden von Teilprozessen einer Baumaßnahme immer mit – belegbar und dokumentiert bis in die Details.

Die gleiche Detailgenauigkeit und Zuverlässigkeit wird auch für die CO2 -Messuhr eines Bauwerks gefordert. Angesichts der komplexen und auf zahlreiche Beteiligte aufgeteilten Wertschöpfungsketten am Bau kann das Zusammentragen der CO2 -Kosten eines Stücks Straße nur dann funktionieren, wenn diese Daten automatisiert erfasst und kalkuliert werden können. Ob der LKW im gerade erwähnten Transport elektrisch fährt oder nicht, das muss eine Standard-Information der Kieslieferung sein. Die Bauindustrie arbeitet intensiv an diesen Standards. Wir bereiten uns selbst, unsere ERP-Systeme und Lieferketten darauf vor, diese Daten für unsere Produkte zuverlässig bereitstellen zu können. Ohne die Digitalisierung wäre dieses Unterfangen nicht zu leisten. Aber auch mit digitalisierten Prozessen wird es Zeit kosten, weil die Standards erst entwickelt werden und wir die gesamte Wertschöpfungskette samt Handwerkern und Stofflieferanten mitnehmen müssen.

TiB: Wie ist der zeitliche Planungshorizont bei Baumaßnahmen?

Schmid: In den letzten drei Jahrzehnten hat sich die durchschnittliche Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren für Bauprojekte in Deutschland verdreifacht. Das kann nicht so bleiben. Diese Fehlentwicklung zeigt auch, wie groß die Aufgabe ist, vor der wir stehen. Denn selbst eine Halbierung würde bei weitem nicht ausreichen.

Die Aufgabe ist auch deswegen so schwierig, weil hier teilweise drei Rechtsbereiche betroffen sind. Beim Umweltrecht gilt es, die europäische, die deutsche und die bayerische Gesetzgebung zu beachten. Will man hier beschleunigen oder vereinfachen, dann muß man eben auch auf allen drei Ebenen ansetzen – eine wahre Herkules-Aufgabe.

TiB: Sie fordern einen Bürokratieabbau?

Schmid: Es gibt immer mehr und immer kompliziertere und komplexere Regulierungen. Das ist ein Problem für alle Unternehmen, aber eine weit größere Herausforderung für den Mittelstand als für Großunternehmen. Diese haben oft eigene Abteilungen, die sich damit befassen, Es ist aber nicht nur die einzelne Regulierung – es ist die Summe, das Tohuwabohu an Vorschriften, die belastet. Zu den Kosten der Bürokratie sollte man daher auch nicht nur die Zeit und den Aufwand zählen, den sie direkt in den Unternehmen verursachen. Dazu zählt auch, dass Unternehmen einiges deswegen unterlassen – eben nichts oder weniger unternehmen – als bei einer sinnvollen Bürokratie. So werden aber Wachstum und Wohlstand verhindert – ohne dass es bemerkt wird. Der Bayerische Bauindustrieverband hat vor kurzem eine große Kampagne zum Bürokratieabbau mit konkreten Vorschlägen gestartet. Dieses Thema wird uns die nächsten Jahre vermutlich gut beschäftigen – aber wir bleiben dran. Wir bekommen schon jetzt viel Unterstützung aus der Politik und von Partnerverbänden, die sich daran beteiligen wollen.

Im Übrigen: Ein gelungener Bürokratieabbau wäre ein gutes Konjunkturprogramm – ohne Verschuldung.

Die Fragen stellten Robert Oettl und Silvia Stettmayer 

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2023 Januar/Februar