Mit serieller klimaneutraler Sanierung raus aus der Krise

Wachstum, Bauen und Grün mit Mobilität vereinen

Beitrag von Phil Birkner & Lion Sessler ecoworks GmbH

Im August hat der Expertenrat für Klimafragen die Klimapläne der Bundesregierung massiv kritisiert. Die Klimaziele im Gebäudesektor werden vor allem kurzfristig weit verfehlt. Eines der wenigen Prestigeprojekte der Ampel-Koalition, das Innovation und Geschwindigkeit in die Bauwirtschaft bringen soll, ist die serielle Sanierung hin zum klimaneutralen Gebäudebestand. Bausteine des Fortschritts sind die teilautomatisierte Planung, die Vorfertigung und die schnelle Montage von industriell gefertigten Gebäudehüllen. Zudem setzt die serielle Sanierung auf Software-gesteuerte Planung und Bauausführung.

Dieser Artikel stellt das bis dato größte serielle Sanierungsprojekt Deutschlands vor, das vor wenigen Wochen gestartet wurde.

An der Industrialisierung der Bauwirtschaft führt kein Weg vorbei – Erlangen macht es vor

Das städtische Wohnungsunternehmen GEWOBAU Erlangen hat das auf serielle Sanierung spezialisierte Unternehmen ecoworks mit der seriellen Sanierung von zwei Quartieren (insgesamt 12 Baukörper, 276 Wohneinheiten) beauftragt. Des Weiteren soll eine serielle Dachaufstockung erfolgen, denn diese trägt ebenfalls zur klimaneutralen Verdichtung der Wohnanlagen bei. Der Großteil der insgesamt 8.800 Wohneinheiten der GEWOBAU Erlangen soll bereits in den kommenden Jahren klimaneutral werden. Dieser Schritt ist vor dem Hintergrund des erklärten Unternehmensziels „Klimaneutralität bis 2026“ nur konsequent, außerdem sollen die Mieterinnen und Mieter bereits in der übernächsten Heizperiode deutlich entlastet werden. Mit diesem Vorzeigemodell der neuen Technologie sowie der voll digitalisierten Planung und Vorfertigung leisten ecoworks und die GEWOBAU Erlangen eine Pioniertat für die deutsche Baubranche. Erlangen, eine nordbayerische Kommune, zählt mit seinen 110.000 Einwohnern zu den Vorreitern im Klimaschutz. Ein Beispiel dafür ist auch der Neubau des Business Campus Erlangen, der größte Standort der Siemens AG in Deutschland.

Gerade einmal 13 Prozent der in Deutschland ausgestellten Energieausweise weisen die positiven Energiekennwerte A, A+ oder B auf [1]. Das liegt nicht zuletzt daran, dass entsprechende Sanierungsmaßnahmen in der Regel nicht nur kostspielig, sondern auch langwierig sind. Bei der aktuellen Marktlage ist bei größeren Umbauprojekten von der Planung bis zur Vollendung mit 12 bis 18 Monaten zu rechnen. Die Energiekrise und daraus resultierende Bedenken um die Sicherheit der Energieversorgung im kommenden Winter unterstreichen den akuten Handlungsbedarf.

Die serielle Sanierung von Mehrfamilienhäusern erfolgt bei ecoworks in dreifacher Geschwindigkeit. Dafür hat das Unternehmen eine neuartige Gebäudehülle entwickelt, die wie eine zweite Haut an das bestehende Gebäude angebracht wird. Was heutzutage in der Regel auf der Baustelle händisch gefertigt und installiert wird, kann in teilautomatisierten Fabriken von Robotern produziert und direkt als fertige Gebäudehülle auf die Baustelle gebracht und einfach sowie schnell installiert werden. Einst hochgradig ineffiziente Gebäude werden so binnen weniger Wochen zu Plusenergiehäusern. In diesem konkreten Fall wird beispielsweise der Primärenergiebedarf von 163,8 kWh/m2 /a um über 80 Prozent auf 26,6 kWh/m2 /a gesenkt. Die Betriebsemissionen sinken von derzeit 43,4 kg/m2 /a CO2 äq Emissionen auf -0,2 kg/m2 /a CO2 äq Emissionen und entsprechen damit dem internationalen Net-Zero-Standard. Das Erlanger Projekt ist – gemessen am Umfang – das erste seiner Art und sollte in der gesamten Branche erfolgreiche Nachahmer finden.

Serielle Sanierung vs. konventionelle Sanierung

Die serielle Sanierung mit der neuen Gebäudehülle lässt nicht nur hocheffiziente Gebäude entstehen, sondern schafft auch einfach und nachhaltig neuen Wohnraum, indem eine Aufstockung vorgenommen wird oder Balkone vor die Gebäudehülle gesetzt werden. Dabei nimmt die klimaneutrale Verdichtung der Wohnanlagen eine zentrale Rolle ein. Erstmals wird dies in Erlangen mittels einer seriellen Dachaufstockung realisiert. Dem Prinzip der Fassaden- und Dachsanierung folgend, wird die Wohnfläche mittels 3D-Technik geplant und im Werk vorgefertigt. Im Anschluss wird die Dachkonstruktion zurückgebaut und die neue Dachebene zur Verteilung der statischen Lasten aufgetragen. Abschließend werden die vorgefertigten Module aufgesetzt und zusammenmontiert, bevor der Innenausbau erfolgt.

Grundsätzliches Ziel ist es, den Energiebedarf des Gebäudes zu reduzieren und durch erneuerbare Energien, z. B. mittels einer Photovoltaikanlage auf dem Dach, zu decken. Diese kann dann die Energie für eine Wärmepumpe im Keller liefern, die Wohnungen mit Wärme und Wasser versorgt. ecoworks hat die üblichen Projektlaufzeiten halbiert und übernimmt ebenfalls die Planung und das Fördermanagement. Die Verwendung von künstlicher Intelligenz ermöglicht es, Einsparungspläne, Kosten, Emissions- und Energieverbrauch zu berechnen und weitere geeignete Maßnahmen zu definieren. Auf Grundlage dieser umfangreichen Daten lässt sich eine sehr viel schnellere Umsetzung der Projekte mit geringerer Vorlaufzeit gegenüber konventionellen Sanierungen realisieren.

Im Wesentlichen unterscheidet sich die serielle von der konventionellen Sanierung in zwei entscheidenden Punkten: Zum einen wird ein möglichst hoher Vorfertigungsgrad der jeweiligen Gebäudekomponenten angestrebt, welcher zeitlich optimierte, minimalinvasive Arbeiten vor Ort ermöglicht, zum anderen gilt es, die zeitgleich herausfordernde Planung und Fertigung der Gebäudeelemente unter Berücksichtigung der komplexen Gebäudeeigenschaften (Kubatur, bestehende Versorgungsinfrastruktur, Statik etc.) zu beachten.

Building Information Modeling (BIM)

Unter Einsatz des Building Information Modeling (BIM) wird bei ecoworks der gesamte Sanierungsprozess deutlich effektiver gestaltet. Während BIM im Neubau vielerorts schon Einzug gehalten hat, findet die informationsgestützte digitale Planung und Ausführung in der Bestandssanierung bisher kaum Anwendung. BIM hilft, die Planung, Fertigung und Ausführung zu standardisieren und – nun kommt der Clou – zu automatisieren. Die im Werk zu fertigenden Fassaden- und Dachelemente, Leitungstrassen und weitere Gebäudekomponenten müssen für das Bestandsobjekt passgenau geplant und gefertigt werden. BIM schafft den Rahmen des digitalen, vernetzten Arbeitens zwischen verschiedenen Gewerken, die im Zuge der konkreten Ausgestaltung alle auf ein dreidimensionales Gebäudemodell zurückgreifen. Ausgangspunkt dieser verlässlichen Informationsbasis ist ein millimetergenaues, dreidimensionales Aufmaß der Gebäudebeschaffenheit per Laserscan und die daraus entstehende Punktwolke. Mit Hilfe dieser Punktwolke wird das 3D-Gebäudemodell als digitaler Zwilling des aktuellen Ist-Zustandes des Gebäudes erstellt. Dieses Modell bildet das Fundament einer schnellen, kosteneffizienten und integralen Planung sowie Ausführung des Sanierungsprojektes. Durch das digitale Aufmaß und die Verwendung einer Bibliothek von 3DLeitdetails können die Planungs- und Entwurfsphase verbessert und beschleunigt werden, Kollisionen im Modell erkannt („clash detection“) und Abläufe in der Produktion im Werk sowie Installation auf der Baustelle deutlich effektiver gesteuert und nachverfolgt werden. Je nach Informationsdichte lässt sich ebenfalls eine präzise Zeit- (4D BIM) und Kostenkalkulation (5D BIM) für die Ausführung ableiten. Zugleich kann die Schnittstelle zur Vergabe beschleunigt werden.

Planung & Fertigung

ecoworks greift auf einen speziellen Standardbauteilkatalog mit mehr als 300 baufertigen Komponenten zurück. Dieser ermöglicht die Projektierung von Sanierungen für weit verbreitete Merkmale im Gebäudebestand mit den spezifischen Anforderungen der Branche und Problemstellungen der Liegenschaften in den jeweiligen Baualtersgruppen. Ein standardisierter Projektablauf mit hohem Automationsgrad ermöglicht einen beschleunigten und wiederverwertbaren Prozess als Alternative zum aufwändigen HOAI-Standard, bei dem jedes Projekt wie ein Unikat behandelt wird. Der Projektablauf bei ecoworks besteht aus mehreren Phasen: Zunächst wird eine Analyse des Gebäudebestands auf serielle Sanierbarkeit vorgenommen, gefolgt von den Planungsleistungen (Bestandsaufnahme, Beprobung, Genehmigungsplanung etc.). Anschließend findet die Ausführung und Werksplanung statt, die in der Produktion, Ausschreibung, Vergabe und Umsetzung der Bauleistungen mündet. In der finalen Projektphase werden auf Wunsch die technischen Anlagen gewartet und der Betrieb sichergestellt.

Die Gebäudehülle wird im Werk gefertigt. Sie besteht aus Fassaden- und Dachelementen. Diese sind so gestaltet, dass Fenster, Dichtungen, Dämmung und Versorgungstechnik bereits integriert sind und nicht mehr händisch auf der Baustelle montiert werden müssen. Die Hauptlastabtragung erfolgt im Regelfall über Konsolen in der Kellerdecke. Ist die Statik der Bestandsfassade nicht ausreichend, können Streifenfundamente gesetzt werden.

Bei ecoworks steht „rezyklates Bauen“ im Vordergrund. Hierbei können die Baumaterialien zum Ende der Lebenszeit wieder getrennt und zirkulär wiederverwendet werden. Die Standard-Fassaden werden weitestgehend ohne Verbundund Klebstoffe gefertigt. Es werden Zellulose, Mineralwolle, OSB-Platten, Konstruktionsvollholz (KVH) und Holzfasern verwendet. Für das Dach werden sogenannte Sandwichelemente eingesetzt, die wesentlich leichter als Dachziegel sind. Dadurch entfällt auch bei einer Ergänzung mit Photovoltaik-Modulen die aufwändige statische Ertüchtigung bestehender Dachkonstruktion. Die Sandwichelemente sind zudem hochdämmend, haben ausgezeichnete Brandschutzeigenschaften und können unkompliziert und schnell montiert werden.

Die Zeichen stehen auf Wandel

Der Gebäudebestand umfasst in Deutschland etwa 22 Millionen Objekte, von denen rund 12,5 Millionen Wohngebäude aus der Zeit vor 1977 stammen und damit noch nicht von den ersten Verordnungen zum energiesparenden Wärmeschutz betroffen waren. Es verblüfft deshalb kaum, dass der Renovierungsmarkt in Deutschland derzeit auf ein gigantisches Jahresvolumen von 151 Milliarden Euro geschätzt wird – Tendenz steigend! Um dieser Nachfrage in Zeiten des Fachkräftemangels und explodierender Materialkosten nachzukommen, benötigt die Baubranche dringend neue, innovative Technologien. Erlangen zeigt eindrucksvoll, dass die serielle Sanierung aus den einstigen Kinderschuhen zu wachsen beginnt und eine ernstzunehmende Alternative zur gängigen Praxis bietet.

Der Gebäudesektor macht alleine 16 Prozent der gesamten CO2 -Emissionen in Deutschland aus (Stand 2021). Addiert man neben den Betriebsemissionen für Wärme- und Strom der Gebäude auch die Emissionen zur Materialerzeugung und Entsorgung der Gebäude, verursacht der Gebäudesektor sogar 38 Prozent der Emissionen und 54 Prozent des Abfalls. Die Ampel-Koalition erkennt dieses immense Defizit immerhin an und setzt dementsprechend ambitionierte Ziele fest. Dennoch hat sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gemeinsam mit anderen Bundesressorts jüngst auf deutliche Kürzungen bei der Sanierungsförderung verständigt. Diese Entscheidung stößt in der Baubranche auf heftige Kritik, wobei es an dieser Stelle hervorzuheben gilt, dass die Förderung der seriellen Sanierung weiterhin bestehen bleibt. An seriellen Sanierungen führt bei der notwendigen Transformation der Baubranche kein Weg mehr vorbei, denn die Sanierungsvolumina müssen durch den Einsatz von Software und die Industrialisierung der Produktion von Gebäudehüllen auf den 2,5-3-fachen Wert von heute steigen, um einen klimaneutralen Gebäudesektor bis 2045 zu erreichen. Wer dies frühzeitig erkennt und dem Beispiel der GEWOBAU Erlangen folgt, kann enorme Wachstumspotenziale realisieren und einen entscheidenden Beitrag zur Klimaneutralität des Gebäudesektors leisten.

Quellen

[1] McMakler – Sanierungsbedarf am Immobilienmarkt: Schlechte Energiebilanz von deutschen Wohnhäusern: www. mcmakler.de/research/umfragen-trends/ Energieeffizien

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2023 JAN/FEB