Zertifizierte Nachhaltigkeit

Projekt Welfengarten

Beitrag von Dr. Uwe Forgber CEO Realcube GmbH

Der Nachhaltigkeitsgedanke wird im Immobilienbereich bei Neubau und Sanierung schon seit längerem gelebt. Die nachhaltige Bewirtschaftung von Immobilien dagegen hat noch viel bislang ungenutztes Potenzial und rundet das zukunftsfähige Portfolio ab.

Die Bayerische Hausbau hat erkannt, wie wichtig und relevant die Betriebsphase als längste Phase im Immobilienlebenszyklus in Bezug auf die nachhaltigkeitsorientierte Optimierung und die Reduktion des CO2 -Ausstoßes ist, und will hier Vorreiter sein. Der deutschlandweit tätige Immobilienbestandshalter und Projektentwickler aus München hat sich das Ziel gesetzt, künftig alle Wohn- und Gewerbeobjekte in seinem Portfolio nachhaltig zu betreiben und entsprechend zertifizieren zu lassen. Der Verband der deutschen Facility Management-Branche, die German Facility Management Association (GEFMA), bietet mit der Richtlinie GEFMA 160-1-3 ein solches Zertifikat an.

Auditierung nach GEFMA 160

Als erste Wohnimmobilien in München hat der „Welfengarten“ im Münchner Stadtteil Au das GEFMA-Audit erfolgreich absolviert: eine Mehrfamilienhaussiedlung mit 390 Mietwohnungen, einer Kindertagesstätte sowie Laden- und Gastronomieflächen rund um einen begrünten Innenhof herum, errichtet vor zwei Jahren von der Bayerischen Hausbau auf dem knapp 19.000 Quadratmeter großen ehemaligen Produktionsgelände der Paulaner Brauerei an der Welfenstraße. Als Auditor für den Welfengarten hat die Bayerische Hausbau das Beratungsunternehmen Congreen Visions aus Friedberg verpflichtet. Im Rahmen der Auditierung wurden besonders die Facility Services in den Allgemeinflächen (ohne Gewerbeflächen) betrachtet. Ausgehend von der bestehenden Variante „Büro- und Verwaltungsgebäude“ mussten zunächst die relevanten Unterschiede für die neu zu gestaltende Variante „Wohnen“ identifiziert und in der Datenbank abgebildet werden. So konnten zum Beispiel beim Benchmarking im Energie- und Wassermanagement nicht alle Parameter übernommen werden. Die Anforderungen an die Qualität von Raumluft und Trinkwasser unterscheiden sich ebenfalls, und beim Flächenmanagement sollte der Bereich „Wohnen“ aus einem anderen Blickwinkel mit eher strategischer Ausrichtung betrachtet werden, wie beispielsweise Flächenverbrauch pro Kopf oder ein Mietermix. Auch durch das Sicherheitsmanagement des Gebäudes ergaben sich Unterschiede, denn im Bereich „Wohnen“ sind Zugangskontrollen aller Art nicht oder nur beschränkt sinnvoll.

Das Auditierungs-Kick-Off mit dem Facility Management (FM) vor Ort fand im Januar 2022 statt. Anschließend wurden alle für die Auditierung relevanten Dokumente und Konzepte identifiziert und strukturiert sowie noch fehlende erarbeitet. Anfang Mai wurde das Audit im GEFMA Online Tool angelegt und Mitte Mai zur Konformitätsprüfung eingereicht. Nach erfolgreichem Abschluss dieser Prüfung erhielt die Bayerische Hausbau Ende Juli das Nachhaltigkeitszertifikat der GEFMA für den Welfengarten. Die für eine nachhaltige Bewirtschaftung relevanten Kriterien wurden schließlich in den Leistungsbeschreibungen und den FM-Verträgen fest verankert, um so den nachhaltigen Betrieb der Immobilie für die nächsten Jahre zu gewährleisten.

Digitales Dashboard

Für eine langfristig nachhaltige Bewirtschaftung des Welfengartens sollte der Münchner Softwarespezialist Realcube seine Asset Management Plattform bereitstellen, um darauf aufbauend den Dekarbonisierungspfad des Objekts steuern zu können. Die Plattform sollte die relevanten Nachhaltigkeitsfaktoren, wie Strom-, Heiz- und Wasserverbrauch, Abfallmengen, CO2 -Ausstoß und Nutzerzufriedenheit, in einem digitalen Dashboard veranschaulichen. Als Pilotprojekt für den Einsatz der neuen Plattform mit ESGspezifischen Dashboards wird seit August eine Wohneigentümergemeinschaft innerhalb des Welfengartens betrachtet.

Herausforderungen bei der Auditierung

Im Rahmen der Auditierung war eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen. Als schwierig erwies sich beispielsweise die Ausarbeitung der Unterschiede zwischen der bestehenden Richtlinie für Büro- und Verwaltungsgebäude und der neuen Richtlinie für Wohngebäude sowie die Identifikation der relevanten Dokumente. Congreen Visions übernahm insbesondere bei der Erarbeitung der notwendigen Nachhaltigkeitskonzepte außer der Reihe die Funktion als Bindeglied zwischen Richtlinie, FM-Anbieter und Bestandshalter, während Unterlagen und Konzepte sonst grundsätzlich von den beiden letztgenannten kamen.

Unverzichtbarkeit von Daten

Das Welfengarten-Audit zeigt einmal mehr, wie wichtig die Verfügbarkeit von aussagekräftigen Daten auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gebäudebewirtschaftung ist. Ohne derartige Daten fehlt die Möglichkeit für eine exakte Analyse des Ist-Zustands und damit auch die Grundlage für fundierte Entscheidungen bezüglich zu treffender Maßnahmen. Aber auch wenn aussagekräftige Daten vorliegen, ist eine exakte Analyse des IstZustands eines Gebäudes noch nicht gewährleistet. Denn für die digitale Datenerfassung gibt es meist nur Insellösungen: Die Erfassung, Strukturierung und Auswertung von Daten durch einzelne Programme funktioniert für sich alleine genommen in jedem dieser Bereiche, aber die Systeme sind untereinander nicht kompatibel und erlauben deshalb keinen Austausch oder eine aggregierte Auswertung aller gesammelten Daten. Sich ein gutes Gesamtbild zu verschaffen, ist dadurch unmöglich. Das gilt bei Betrachtung einer einzelnen Immobilie und für ein größeres Portfolio erst recht. Abhilfe schaffen hier digitale Plattformen. Sie machen die Struktur eines Portfolios sichtbar und bündeln sämtliche Stammdaten von Immobilien sowie die relevanten Anlagedaten. Miet-, Pacht- und Wartungsverträge lassen sich zudem leicht mit Gebäudedaten verknüpfen und zentral verwalten. Und nicht zuletzt lassen sich alle Daten auf Knopfdruck abrufen, beliebig gruppieren, analysieren und gegebenenfalls mit Dritten teilen. Für modernes Asset und Property Management sind digitale Plattformen damit unverzichtbar.

Initiative für Standardisierung

Ein weiteres Problem auf dem Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Immobilienbewirtschaftung: Die erhobenen Daten der einzelnen Gebäude sind aufgrund fehlender Standards untereinander kaum vergleichbar. Genau das will die Initiative „DIN SPEC ESG“ ändern. Ein zehn Mitglieder starkes Konsortium unter Leitung des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN), arbeitet aktuell daran, alle für eine standardisierte digitale Erfassung von Gebäuden erforderlichen Datenpunkte zu benennen, strukturiert zu beschreiben und diesen Standard frei zugänglich zur Verfügung zu stellen. Für die Definition der Datenpunkte, anhand derer die ökologische Güte eines Gebäudes unabhängig von seiner Nutzung bewertet werden kann, werden zum Beispiel die CO2 -Emission sowie Energie- und Wasserverbrauch herangezogen.

Erklärtes Ziel der DIN SPEC ESG ist die einheitliche Analyse, Bewertung und systematische Dekarbonisierung von Bestandsgebäuden. Die Verbreitung und Anwendung des neuen Standards startete bereits im vergangenen Herbst.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2023 JAN/FEB