Zukunftsfähige Stadt

Wachstum, Bauen und Grün mit Mobilität vereinen

Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Architekt Werner Lang Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen Technische Universität München, Direktor Oskar von Miller Forum, München Partner und Gesellschafter Lang Hugger Rampp GmbH Architekten, München

Ressourcenverbrauch, Klimawandel, Umweltverschmutzung, Biodiversitätsverlust, Bevölkerungswachstum und zunehmende Urbanisierung sind globale Herausforderungen für das gesamte Bauwesen: Der CO2 -Ausstoß muss drastisch reduziert werden, Städte, Quartiere und Gebäude müssen an den Klimawandel angepasst und der Ressourceneinsatz hinsichtlich Material, Energie, Wasser und Boden muss neu gedacht werden. Eine zeitnahe, tiefgehende und umfassende Transformation unserer (Bau-)Wirtschaft ist unerlässlich.

Zukunftsfähig Bauen

Vor dem Hintergrund der genannten, in Zukunft weiter zunehmenden Herausforderungen zielt das 2019 vorgestellte Konzept des „Green Deals“ der Europäischen Union darauf ab, die EU auf einen Weg hin zu einer klimaneutralen, fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu bringen [1]. Dies erfordert unter anderem, dass der Netto-Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050 auf null reduziert und das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung entkoppelt wird. Dies erfordert einen grundlegend nachhaltigen Umgang mit den immer knapper werdenden Ressourcen wie Boden, Rohstoffen, Energie, Wasser und Atmosphäre sowie den Erhalt der Biodiversität [2] unseres Planeten.

Wie den ökologischen Fußabdruck minimieren?

Nachdem die für die Absorption unseres CO2 -Ausstoßes erforderliche Fläche den weitaus größten Anteil des ökologischen Fußabdrucks bestimmt [3], muss es unser Ziel sein, den im Bauwesen vorhandenen CO2 -Ausstoß auf null zu verringern. Neben der Betriebsenergie für Heizen, Kühlen, Lüften und Kunstlicht ist auch der Anteil an „grauer Energie“ für Materialgewinnung, Errichtung und Rückbau in Hinblick auf den verursachten CO2 -Ausstoß zu berücksichtigen.

Dementsprechend muss Gebäude-, Stadtund Infrastrukturplanung unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus darauf ausgerichtet werden,

  • den Ausstoß von Treibhausgasen und von umweltschädlichen Emissionen zu eliminieren [4],
  • die Energieversorgung aller Sektoren auf Basis erneuerbarer Energien zu gewährleisten,
  • den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen und von Sekundärbaustoffen zu priorisieren,
  • den Einsatz nichtnachwachsender Rohstoffe zu minimieren,
  • Bauteile aus erneuerbaren und nichterneuerbaren Rohstoffen im Rahmen einer grundlegenden Kreislaufwirtschaft möglichst langfristig zu nutzen,
  • die Wasserversorgung und -entsorgung schadstofffrei zu gestalten,
  • Bodenversiegelung zu verhindern,
  • eine nachhaltige, emissionsfreie Mobilität sicherzustellen
  • Biodiversität grundlegend zu schützen und unterstützen,
  • unbebaute Flächen wie Wiesen, Wälder, Ackerland und Gewässer von neuer Bebauung freizuhalten,
  • grüne Infrastruktur zu sichern und weiterzuentwickeln.

Zur vergleichenden Bewertung der Umweltwirkungen alternativer Planungskonzepte können Methoden und Werkzeuge, wie ökologische Lebenszyklusanalyse (LCA), thermische Gebäudesimulation und Lebenszykluskostenanalyse (LCC), Planungs- und Entscheidungsprozesse wirkungsvoll unterstützen.

Herausforderung Stadt

Städte unterstützen menschliches Wohlergehen in sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht. In Anbetracht des fortschreitenden Klimawandels, dessen Folgen sich aufgrund des urbanen Hitzeinseleffekts und der hohen Bodenversiegelung besonders stark in der Stadt auswirken, müssen Städte auf ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Hitzestress, Trockenheit und extremen Niederschlag untersucht werden, um auch in Zukunft eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten.

Gesamtheitliche Lösungsansätze zur Sicherung der Lebensqualität in der Stadt

Neben den genannten Aufgaben zum Erreichen eines CO2 -neutralen Gebäudesektors bis 2050 sind gesamtheitliche Ansätze für nachhaltige, widerstandsfähige Städte zu entwickeln und umzusetzen, die soziale, ökologische und technische Systeme miteinander verbinden. Die Stadt ist als ein Ökosystem zu verstehen; Menschen, Pflanzen und Tiere stehen in einer unmittelbaren Wechselwirkung zueinander. Pflanzen können „Versorgungsleistungen“ wie Sauerstoff, Nahrung, Wasser und Holz erbringen. Hinzu kommen klimabezogene „Regulierungsleistungen“ durch Verschattung und Erzeugung von Verdunstungskälte. Grünflächen unterstützen die Regenwasseraufnahme, reduzieren die Häufigkeit von Überschwemmungen bzw. mindern deren Auswirkungen. Darüber hinaus steigern „kulturelle Leistungen“ von Pflanzen und Tieren in der Stadt den Erholungswert und bieten einen ästhetischen und spirituellen Nutzen. „Unterstützende Leistungen“ tragen zur Bodenbildung bei, sichern den Nährstoffkreislauf und fördern die Photosynthese.

Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der von Pflanzen und Tieren erbrachten Ökosystemleistungen, sind Grüne und Blaue Infrastruktur [5] neu zu bewerten. Hierfür sind innerhalb unserer Städte dringend Flächen für die erforderliche Ausweitung von Grün- und Wasserflächen zu identifizieren.

Nachhaltige Mobilität in der Stadt

Vor dem Hintergrund des Bevölkerungswachstums in urbanen Räumen und den Erfordernissen der Nachverdichtung vorhandener Stadträume sind der Flächenbedarf für Gebäude, Grün-Blaue Infrastruktur sowie Mobilität eng aufeinander abzustimmen.

Derzeit verbraucht der Verkehrssektor in Deutschland immer noch rund ein Drittel der Energie und verursacht mehr als ein Viertel der Treibhausgasemissionen. [6] In der Stadt hat der motorisierte Individualverkehr die mit Abstand größten Umweltwirkungen im Hinblick auf Energieverbrauch, Treibhausgas- und Schadstoffemissionen [7]. Nachhaltige Mobilitätskonzepte hingegen erfüllen die Mobilitätsbedürfnisse der (Stadt-)Gesellschaft, ohne die Umwelt durch Treibhausgase und Luftschadstoffe zu belasten; wertvolle Ressourcen wie Boden, Rohstoffe, Energie, Wasser und Biodiversität werden weitgehend geschont.

Wie viel Fläche für welches Verkehrsmittel?

Neben den Treibhausgas- und Schadstoffemissionen unterscheidet sich auch der Flächenbedarf unterschiedlicher Mobilitätsformen sehr. Während ein im Durchschnitt mit 1,4 Personen belegter PKW bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h eine Fläche von ca. 65 m2 pro Passagier beansprucht, ist der vergleichbare Wert bei der Straßenbahn mit 5,5 m2 und beim Bus mit 8,6 m2 deutlich niedriger [8]. Zudem ist zu beachten, dass ein PKW im Durchschnitt rund 95 % der Zeit – also rund 23 Stunden am Tag – im öffentlichen Raum oder auf privaten Grundstücken geparkt wird [9]. Dies beansprucht je Fahrzeug rund 13,5 m2 wertvoller Fläche [10], die dringend an anderer Stelle für gebäudebezogene Nachverdichtungsmaßnahmen bzw. die Integration von Grüner und Blauer Infrastruktur benötigt wird. Neben ökologischen Aspekten der Mobilität muss daher auch die Frage der Bodennutzung neu verhandelt werden, um die Sicherung der Lebensqualität unserer Städte sicherzustellen.

Dies macht deutlich, dass die dringend umzusetzende ökologische Transformation des Bauwesens innovative, integrierte Denk- und Handlungsweisen erfordert. Im Hinblick auf die gebaute Umwelt bedeutet dies, im Rahmen von Planungsund Entscheidungsprozessen die Wechselwirkungen von Gesellschaft, Ökologie und Ökonomie zu beachten, um etwaige Zielkonflikte gesamtheitlich lösen und die genannten ökologischen gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen meistern zu können.

Grüne Stadt der Zukunft

Ein aktuelles Beispiel für ein entsprechendes Vorgehen ist das unlängst abgeschlossene, interdisziplinäre Forschungsprojekt „Grüne Stadt der Zukunft“ [11], bei dem praxisnahe Lösungsansätze zum Umgang mit Klimawandelfolgen in wachsenden Städten am Beispiel der Stadt München entwickelt wurden [12]. Die Projektgruppe analysierte im Rahmen von „Reallaboren“ die Potenziale von Klimaschutz und Klimaanpassung, wobei sie insbesondere auf die Grün-Blaue Infrastruktur einging und die Möglichkeiten untersuchte, die Stadtgesellschaft unmittelbar in Klimavorhaben einzubinden [13]. Dabei wurden u. a. Anpassungsmaßnahmen entwickelt, die sich dafür eignen, auf Governance-, Gebäude- und Freiraumebene Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen integriert umzusetzen, um Lebensqualität und Biodiversität in der Stadt zu erhöhen.

 

Aus den Ergebnissen des Forschungsprojekts lassen sich folgende Handlungshinweise ableiten:

  • Ökologische Qualität: Gebäude können wesentlich zum Klimaschutz beitragen. Neben der Senkung des betrieblichen Energiebedarfs und dem weitgehenden Einsatz von erneuerbaren Energien sowie nachwachsenden Rohstoffen müssen auch die Umweltwirkungen des Materialeinsatzes berücksichtigt werden. Daher sollten Bestandsgebäude soweit wie möglich erhalten, energetisch saniert und gegebenenfalls aufgestockt werden.
  • Frühzeitige Integration: Klimaorientierte Belange und grüne, blaue und auch graue Maßnahmen müssen frühzeitig in den Planungsprozess integriert und ganzheitlich betrachtet werden. Nur so können klimaresiliente Quartiere der Zukunft erfolgreich umgesetzt werden. Obwohl die frühen Planungsphasen die wichtigsten sind, muss die Klimaorientierung auch in allen weiteren Planungsschritten konsequente Berücksichtigung finden. Wichtig ist, auch die Zeit nach der Umsetzung der Maßnahmen zu betrachten, wie zum Beispiel den Unterhalt der Grünanlagen.
  • Großbäume erhalten: Großbäume vermindern Hitzestress im Außenbereich. Ersatzpflanzungen benötigen viele Jahrzehnte, um die Klimawirkung von Großbäumen zu erzielen.
  • Der Stellplatzbedarf für PKWs sollte durch Mobilitätsmaßnahmen und die dadurch mögliche Senkung des Stellplatzschlüssels vermindert werden, so dass Grünflächen geschaffen und auf Tiefgaragen weitgehend verzichtet werden kann. Dies trägt zur Flächenentsiegelung bei und unterstützt die Optionen für die Pflanzung von Großbäumen.
  • Besonders in dichten und versiegelten Quartieren sind fußläufig erreichbare Grünflächen oder begrünte Innenhöfe zu erhalten und wo möglich auszubauen.
  • Gebäude und auch Bäume können die Wirkung von Durchlüftungsachsen reduzieren und somit die nächtliche Abkühlung stören. Auf der Basis thermischer bzw. luftströmungsbezogener Analysen können Bäume strategisch in Hitzehotspots und außerhalb von Durchlüftungsachsen platziert werden. So verschatten sie an heißen Orten tagsüber, ohne die nächtliche Durchlüftung zu verhindern.
  • Die Arbeit mit positiven Zukunftsbildern eignet sich sehr gut, um sich in partizipativ gestalteten Planungsprozessen frühzeitig mit wünschenswerten Entwicklungen zu befassen, losgelöst von der Fixierung auf Sachzwänge und akuten Handlungsdruck. Zukunftsbilder können helfen, Lösungsansätze im Umgang mit Zielkonflikten zwischen ambitionierteren Grünmaßnahmen und anderen Nutzungen herauszuarbeiten. Auch können sie nützlich sein, um für die Planung und Umsetzung von niederschwelligen Grünmaßnahmen zu werben.
  • Anwohner, Unternehmen oder Hauseigentümer können einen substanziellen Beitrag zur Gestaltung von grünen, lebenswerten Quartieren leisten. Dies kann durch entsprechende Informationsangebote und die Bildung von Zusammenschlüssen gefördert werden.
  • Zur Umsetzung der „Grünen Stadt“ sind Planungsbeteiligte und Planungsbetroffene zu den Themen der Klimaorientierung zu informieren. Bewusstsein muss geschaffen, Wissen und Fakten vermittelt und Fachpersonal muss qualifiziert werden.

Fazit

Das anwendungsnahe Forschungsprojekt „Grüne Stadt der Zukunft“ hat gezeigt, dass die im „Green Deal“ der EU angelegten Forderungen nach grundlegen ökologischen, lebenswerten Städten erfüllt werden können, wenn eine frühzeitige, integrierte Abstimmung der Ziele, Aufgaben, Aktivitäten und Umsetzungsstrategien mit allen an der Planung beteiligten Akteuren und Stakeholdern stattfindet. Zukunftsfähiges Bauen wird dann möglich, wenn von Anfang an ökologische, sozio-kulturelle und ökonomische Aspekte gleichrangig diskutiert und aufeinander abgestimmt werden. Hierbei müssen die Belange des Menschen zwingend auf die ökologischen Belastungsgrenzen unserer Biosphäre abgestimmt werden, um nicht nur die Lebensqualität der heutigen, sondern auch die der kommenden Generationen zu sichern.

Quellen

[1] ec.europa.eu/info/sites/default/files/ european-green-deal-communication_de.pdf (aufgerufen am 20.2.2022)

[2] ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_en, Stand: 19.02.2022.

[3] Unter dem ökologischen Fußabdruck versteht man die biologisch produktive Fläche der Erde die notwendig ist, den Lebensstandard eines Menschen (unter den heutigen Produktionsbedingungen) dauerhaft zu ermöglichen. Quellen: www.laenderdaten.de glossar/oekologischer_fussabdruck.aspx, www.wwf.de/living-planet-report, Stand: 23.09.2022.

[4] Menschen verbringen rund 90 Prozent ihres Lebens in Innenräumen, was im Hinblick auf gesundes, emissionsfreies Bauen besonders berücksichtigt werden muss. www. dgnb-system.de/de/innenraeume/, Stand: 20.02.2022.

[5] www.transforming-cities.de/gruenblaue-infrastruktur-lebensraum-in-staedten/ Stand: 20.2.2022.

[6] www.umweltbundesamt.de/themen/ verkehr-laerm#strap1, Stand: 20.2.2022)

[7] www.umweltbundesamt.de/sites/ default/files/medien/479/publikationen/texte_156-2020_oekologische_bewertung_von_ verkehrsarten_0.pdf, Stand: 20.02.2022.

[8] www.zukunft-mobilitaet.net/wpcontent/uploads/2014/08/flaechenbedarf-verkehr-pkw-radverkehr-fussgaenger-strassenbaahn-bus-oepnv-flaechenflaechenaufteilung_2000px.jpg, Stand: 20.02.2022.

[9] www.mobilitaet-in-deutschland.de pdf/MiD2017_Ergebnisbericht.pdf, Stand: 20.02.2022.

[10] www.zukunft-mobilitaet.net wp-content/uploads/2014/08/flaechenbedarf-verkehr-pkw-radverkehr-fussgaenger-strassenbahn-bus-oepnv-flaechenflaechenaufteilung_2000px.jpg, Stand: 20.02.2022.

[11] www3.ls.tum.de/lapl/gruene-stadtder-zukunft/, Stand: 20.02.2022.

[12] Die Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden u.a. in praxisgerecht gestalteten Broschüren zusammengefasst: www3. ls.tum.de/lapl/gruene-stadt-der-zukunft/publikationen/, Stand: 20.02.2022.

[13] www3.ls.tum.de/fileadmin/w00bds/ lapl/Bilder/Projekte/GrueneStadt/Broschure_3.pdf, Stand: 20.02.2022.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 01/2023 JAN/FEB