Bauproduktenrecht quo vadis?

Beitrag von Oberregierungsrat Dr. jur. Christian Hofer und Ministerialrat Dr.-Ing. Andreas Hechtl, Oberste Baubehörde Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr

In seinem Urteil vom Oktober 2014 beschloss der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-100/13 die Unvereinbarkeit zusätzlicher nationaler Anforderungen an europäisch harmonisierte Bauprodukte mit EU-Recht. Wie wirkt sich das Urteil des EuGH auf die Bayerische Bauordnung und die Baupraxis aus und welche Konsequenzen hat dies zur Folge?

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Mit Urteil vom 16. Oktober 2014 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass zusätzliche nationale Anforderungen an europäisch harmonisierte Bauprodukte mit EU-Recht unvereinbar sind. Die Gremien der Bauministerkonferenz arbeiten seitdem an der Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen, die den europarechtskonformen Vollzug der Bauproduktenverordnung bei gleichzeitigem Erhalt der Bauwerkssicherheit gewährleisten sollen.

Zukünftig darf ein CE-gekennzeichnetes Produkt im Bauwerk verwendet werden, wenn die erklärten Produktleistungen den in der Bauordnung oder aufgrund der Bauordnung festgelegten bauwerkseitigen Anforderungen entsprechen. Die bauliche Anlage rückt damit in den Mittelpunkt des Bauproduktenrechts, was tiefgreifende Einschnitte in das bestehende System nach sich zieht.

Nationale und europäische Bauprodukte in der bisherigen Verwaltungspraxis

Die Länder definieren das sicherheitsrechtliche Anforderungsniveau an bauliche Anlagen bislang in ihren Landesbauordnungen sowie in den darauf beruhenden Vorschriften und regeln korrespondierend hierzu Anforderungen an Bauprodukte in Form Technischer Baubestimmungen. Letztere werden in Listenform als technische Regeln vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) oder in der Liste Technischer Baubestimmungen vom jeweiligen Land bekanntgemacht.

Im Geltungsbereich der Bauproduktenrichtlinie 89/106/EWG (BPR) beziehungsweise der am 24. Juli 2011 in Kraft getretenen Bauproduktenverordnung (EU) Nr. 305/2011 (BauPVO) enthielt vor allem Teil 1 der Bauregelliste B nationale Zusatzanforderungen an Bauprodukte, die harmonisierten europäischen Produktnormen (hEN) unterfallen und die CE-Kennzeichnung tragen.

Nach bisherigem System bedarf die rechtskonforme Verwendung dieser Bauprodukte in der Regel eines Verwendbarkeitsnachweises, unter anderem in Form einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) oder eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses (abP), sowie der Produktkennzeichnung mit dem „Ü“-Zeichen.

Im Rechtssinn handelt es sich hierbei um ein Verwendungsverbot mit Zulassungsvorbehalt. Der Zulassungsvollzug selbst ist nach Artikel 2 Absatz 1 des Abkommens über das Deutsche Institut für Bautechnik und den entsprechenden Bestimmungen in den Landesbauordnungen – länderübergreifend – weitgehend dem DIBt übertragen.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-100/13

Mit Urteil vom 16. Oktober 2014 adressierte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) – noch unter dem Rechtsregime der Bauproduktenrichtlinie – die deutsche Verwaltungspraxis und erkannte in dem in Bauregelliste B Teil 1 konstituierten Erfordernis einen Verstoß gegen Unionsrecht. Aufgrund der Beschränkung der Entscheidung auf die verfahrensgegenständlichen drei Gruppen harmonisierter Bauprodukte gestaltet das Urteil zwar nicht unmittelbar die Rechtslage, sein im Kern verallgemeinerungsfähiger Inhalt führt jedoch zur grundlegenden Überarbeitung des bisherigen Systems und bedeutet eine Zeitenwende für das deutsche Bauproduktenrecht.

Nach Auffassung des EuGH stellen zusätzliche nationale Produktanforderungen für CE-gekennzeichnete Produkte einen Verstoß gegen das Marktverhinderungsverbot nach Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 Bauproduktenrichtlinie dar. Ihr Zweck sei es, Handelshemmnisse zu beseitigen und die freie Vermarktung von Bauprodukten innerhalb der EU sicherzustellen. Deshalb würden in der Bauproduktenrichtlinie die wesentlichen Anforderungen genannt, denen die Bauprodukte genügen müssen.

Die wesentlichen Anforderungen würden mit harmonisierten Normen und nationalen Umsetzungsnormen, mit europäischen technischen Zulassungen und mit auf Unionsebene anerkannten nationalen technischen Spezifikationen umgesetzt.

Verwendung von Bauprodukten mit CE-Kennzeichnung

Von der Brauchbarkeit von CE-gekennzeichneten Bauprodukten sei in Bezug auf die wesentlichen Anforderungen an Bauwerke auszugehen. Deutschland habe infolge die europäisch vorgesehenen formalen Verfahren, insbesondere des sogenannten Formalen Einwandes nach Artikel 5 Absatz 2 der Bauproduktenrichtlinie beziehungsweise des Schutzklauselverfahrens nach Artikel 21 dieser Richtlinie, zu nutzen, um gegen erkannte Mängel in harmonisierten Produktnormen vorzugehen.

Kurzum: Die nationale Kompetenz der Mitgliedstaaten, (verhältnismäßige) Regelungen für die Bauwerkssicherheit festzulegen, ermächtige sie nicht zu (pauschalen) zusätzlichen nationalen Produktanforderungen.

ASBW reagiert mit Projektgruppe

Der Kern der Aussage des Europäischen Gerichtshofs, dass den Mitgliedstaaten zwar unstreitig die Zuständigkeit zur Gewährleistung der Bauwerkssicherheit obliege, sie dies aber nicht berechtige, einseitig nationale Maßnahmen zu ergreifen, welche die europäischen Harmonisierungsbestrebungen quasi obsolet machen, beansprucht auch im Anwendungsbereich der Bauproduktenverordnung Geltung.

Die Arbeitsgemeinschaft der Bauminister der Länder (ARGEBAU) hat daher unmittelbar im Anschluss an das Urteil durch ihren hierfür zuständigen Ausschuss für Stadtentwicklung, Bau- und Wohnungswesen (ASBW) eine Projektgruppe eingesetzt, die sich seitdem mit den Auswirkungen des Urteils und den zu ziehenden Konsequenzen auseinandersetzt.

Konsequenzen des EuGH-Urteils

Die Grenzen der Übertragbarkeit des Urteils auf das Rechtsregime der Bauproduktenverordnung sind dabei nicht unumstritten. Insbesondere die strukturelle Divergenz von Bauproduktenrichtlinie und Bauproduktenverordnung befeuert den bis heute mit den Wirtschaftsteilnehmern und der Europäischen Kommission geführten Diskurs.

Zweifelsohne ist zu konstatieren, dass der CE-Kennzeichnung im Bauproduktenbereich mit dem Inkrafttreten der Bauproduktenverordnung tatsächlich ein geänderter Erklärungsinhalt zukommt: Statt der Vermutung der Brauchbarkeit des CE-gekennzeichneten Produkts in Bezug auf die wesentlichen Anforderungen für Bauwerke, erklärt der Produkthersteller lediglich die Konformität der erklärten Produktleistung auf Basis der zugrunde liegenden harmonisierten Produktnorm.

Aufgrund der Verlagerung des Anknüpfungspunkts für die Leistungserklärung kommt es infolge wesentlich auf die Güte der harmonisierten europäischen Produktnormen an. Dabei bildet nach derzeitigem Kenntnisstand keine einzige harmonisierte Produktnorm tatsächlich alle Grundanforderungen an Bauwerke ab.

Was in Ansehung der erst mit Inkrafttreten der Bauproduktenverordnung erfolgten Aufnahme von Grundanforderung 7 (Nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen) noch nicht wirklich überrascht, ist in Bezug auf Grundanforderung 3 (Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz) ernüchternd. So enthält die weit überwiegende Anzahl der harmonisierten europäischen Produktnormen keine Regelungen für die Feststellung von Produktleistungen in Bezug des Gesundheitsschutzes, weil es hierfür unter anderem noch keine harmonisierten Prüf- und Bewertungskriterien gibt.

Auch die Bauproduktenverordnung geht – insoweit konsequent – selbst von ihrer Unvollständigkeit aus, wie Artikel 19 mit der Möglichkeit der Beantragung einer Europäischen Technischen Bewertung (ETB) belegt. Während die Bauproduktenrichtlinie demnach noch eine technische Vollharmonisierung der Produktnormen mit dem Ziel der unbedenklichen Verwendbarkeit geprüfter und gekennzeichneter Produkte verfolgte, soll die Bauproduktenverordnung durch die Verwendung harmonisierter technischer Spezifikationen einheitliche Verfahren und Kriterien zur Bewertung und Angabe der Leistung von Bauprodukten zur Verfügung stellen. Es ist sodann Aufgabe des Herstellers, nach dem intendierten Produktverwendungszweck die im jeweiligen Mitgliedstaat zur Erfüllung der Bauwerksanforderungen erforderlichen Produktleistungen zu identifizieren und zu erklären.

Vorgehen in Deutschland

Deutschland hat infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs der Europäischen Kommission mitgeteilt, dass es unter Wahrung des bisherigen nationalen Sicherheitsniveaus die Herstellung vollständiger Europarechtskonformität anstrebe, aufgrund der erkannten europaweiten Defizite in der Umsetzung der Bauproduktenverordnung sich aber auch vorbehalte, sämtliche in Betracht kommenden Regelungsvorbehalte und Verfahren auszuschöpfen.

Die neue Musterbauordnung der Länder

Als eine Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat die Bauministerkonferenz im Februar 2016 die Musterbauordnung der Länder (MBO) geändert. Zentraler Ausgangspunkt der Anpassungen ist das (neugefasste) europarechtliche Marktbehinderungsverbot nach Artikel 8 Absatz 4 der BauPVO. Danach darf ein Mitgliedstaat die Bereitstellung auf dem Markt oder die Verwendung von Bauprodukten, die die CE-Kennzeichnung tragen, weder untersagen noch behindern, wenn die erklärten Leistungen den Anforderungen für diese Verwendung in dem betreffenden Mitgliedstaat entsprechen.

Diese Vorschrift wird von Paragraf 16 c der MBO gespiegelt. Künftig darf ein Bauprodukt, das die CE-Kennzeichnung nach der Bauproduktenverordnung trägt, nur verwendet werden, wenn die erklärten Leistungen den in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes festgelegten Anforderungen für die intendierte Verwendung entsprechen.

Damit wird urteilskonform klargestellt, dass weitergehende produktunmittelbare Anforderungen an CE-gekennzeichnete Bauprodukte unzulässig sind. Die Musterbauordnung führt in ihrer Begründung hierzu aus, dass der Bauherr sowie die beauftragten Unternehmer für die Einhaltung der Bauwerksanforderungen verantwortlich sind.

Wörtlich heißt es dort: Erreichen die erklärten Leistungen nicht (alle) das Anforderungsniveau, weichen die Randbedingungen, unter denen die Bauprodukte verwendet werden, von den in der harmonisierten technischen Spezifikation vorgesehenen Randbedingungen ab oder sind zu bestimmten Merkmalen, die sich im konkreten Verwendungszusammenhang auf die Erfüllung der Anforderungen auswirken, keine Leistungen ausgewiesen, so müssen die am Bau Beteiligten entscheiden, ob die Defizite so gering sind, dass von der Erfüllung der Bauwerksanforderungen trotzdem ausgegangen werden kann. In diesem Fall kann das Bauprodukt trotzdem verwendet werden, dies entspricht der nicht wesentlichen Abweichung für Bauprodukte, die nicht in den Anwendungsbereich des § 16c fallen. Entsprechen die ausgewiesenen Leistungen nicht (mehr) den Bauwerksanforderungen, sollen hingegen die Bauaufsichtsbehörden im Einzelfall unter Berücksichtigung der materiellen Anforderungen des § 16 b entscheiden, ob das Bauprodukt dennoch verwendet werden darf.

Änderungen der Musterbauordnung

Zusammengefasst wurden folgende wesentliche Änderungen der Musterbauordnung beschlossen:

  • Differenzierung zwischen Bauprodukten und Bauarten sowie zwischen Bauprodukten mit und ohne CE-Kennzeichnung,
  • Verzicht auf nationale Zusatzanforderungen an CE-gekennzeichnete Bauprodukte,
  • nationale Verwendbarkeitsnachweise sind ergänzend zur CE-Kennzeichnung nicht mehr zulässig; Bauartgenehmigungen ersetzen die bisherigen „Anwendungszulassungen“,
  • für CE-gekennzeichnete Produkte werden bestehende bauaufsichtliche Zulassungen gegenstandslos, Ü-Zeichen dürfen nicht mehr aufgebracht, Verwendbarkeitsnachweise nicht mehr gefordert werden; das Ü-Zeichen verliert insoweit seine Gültigkeit,
  • Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage zur Überführung der wesentlichen produktbezogenen Regelungen in bauwerksbezogene Anforderungen,
  • Verpflichtung des Bauherrn sowie der Bauwerksverantwortlichen die zur Erfüllung der Anforderungen dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erforderlichen Nachweise und Unterlagen zu den verwendeten Bauprodukten und den angewandten Bauarten zu erbringen beziehungsweise bereitzuhalten,
  • die Bauaufsichtsbehörde oder der Prüfsachverständige sollen, soweit sie oder er im Rahmen der Bauüberwachung Erkenntnisse über systematische Rechtsverstöße gegen die Bauproduktenverordnung erlangen, diese der für die Marktüberwachung zuständigen Stelle mitteilen.

Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmung

Die wohl wichtigste Neuerung auf Basis der geänderten Musterbauordnung ist die Entwicklung der (Muster-)Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VV TB); in ihr gehen zukünftig sowohl die Liste der Technischen Baubestimmungen als auch die Bauregellisten A und B sowie Liste C auf. Sämtliche in öffentlich-rechtlicher Hinsicht relevanten technischen Regeln sollen darin erfasst werden; unmittelbar produktbezogene Regeln sollen in bauwerksbezogene Anforderungen überführt werden.

Die Verwaltungsvorschrift konkretisiert hierzu die in den Landesbauordnungen und darauf beruhenden Bestimmungen definierten Anforderungen an Bauwerke. Das Deutsche Institut für Bautechnik wird die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen als Muster bekanntmachen.

Die Länder können dann durch Anwendungsbefehl in den Landesbauordnungen beziehungsweise durch eigene Fundstellenbekanntmachung (weitgehend) inhaltsgleich hierauf Bezug nehmen. Die (Muster-)Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen wurde Mitte Juli 2016 bei der Europäischen Kommission zur Notifizierung eingebracht; das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen (Stand: 17.10.2016).

Nutzung formaler Einwände nach Artikel 18 der Bauproduktenverordnung

Deutschland hat nach Artikel 18 der BauPVO bereits im August 2015 erste formale Einwände erhoben, zunächst gegen sieben im EU-Amtsblatt bekanntgemachte harmonisierte Normen (Gesteinskörnungen, Parkette und Sportböden, Tanks, Betonfertigteile sowie Mineralwolldämmstoffe), und es beabsichtigt, auch den Klageweg zu beschreiten, sofern seitens der Europäischen Kommission ablehnende Beschlüsse erlassen werden sollten.

Bei fast der Hälfte der insgesamt als mangelhaft bewerteten harmonisierten europäischen Produktnormen ist bereits das zugrundeliegende Mandat unvollständig beziehungsweise unklar, sodass gegebenenfalls (auch) eine Anpassung der Mandate durch die jeweiligen Normungsgremien angestoßen oder auf andere Weise herbeigeführt werden muss.

Freiwillige Herstellererklärungen

Für den Fall, dass ein Produkthersteller entgegen Paragraf 16 c MBO nicht alle erforderlichen Produktleistungen erklären kann, weil die zugrunde liegende harmonisierte europäische Produktnorm die Ausweisung entsprechender wesentlicher Merkmale nicht ermöglicht, steht es ihm frei, eine Europäische Technische Bewertung zu beantragen, die (dann) zu der erforderlichen Leistungserklärung berechtigt.

Kommt die Abgabe einer Paragraf 16 c der MBO entsprechenden Leistungserklärung auf Basis der bestehenden harmonisierten technischen Spezifikationen nicht in Betracht, sieht die Begründung von Paragraf 16 c vor, dass unter Berücksichtigung der materiellen Anforderungen von Paragraf 16 b entschieden werden soll, ob bauaufsichtliche Maßnahmen erforderlich werden.

Hiermit wird die Verpflichtung der Einhaltung der Bauwerksanforderungen nicht etwa auf die Bauaufsicht verlagert, angesprochen ist vielmehr eine (übergangsweise) rein auf das materielle Recht abstellende, bauaufsichtliche Behandlung eines nach den Zielsetzungen der BauPVO unerwünschten Zustands.

Nach der Systematik der Paragrafen 16 b und 16 c der MBO sowie deren Begründung ist die Verwendung von Bauprodukten, die aufgrund der zur Verfügung stehenden harmonisierten technischen Spezifikationen nicht alle im Einzelfall erforderlichen Produktleistungen ausweisen können, grundsätzlich unzulässig, jedoch nicht zu beanstanden, wenn die materiell erforderlichen Produktleistungen anderweitig nachgewiesen sind. Die Korrektheit der Angaben ist hierzu in einer technischen Dokumentation nach Maßgabe von Paragraf 85 a Absatz 2 Nummer 6 der Musterbauordnung darzulegen.

Teil D 3 des Entwurfs der (Muster-)Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen sieht vor, auf Basis dieser Ermächtigungsgründe, die Einhaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen an das jeweilige Bauwerk durch eine freiwillige technische Dokumentation des Herstellers – ergänzend zur Leistungserklärung – nachzuweisen. Die Regelung korrespondiert mit den bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnissen und richtet sich an die Bauwerksverantwortlichen.

Erfordernis einer Technischen Dokumentation

Um der Darlegungsverpflichtung aus den Paragrafen 53 Absatz 1, Sätze 3 und 4 und 55 Absatz 1, Sätze 2 und 3 der Musterbauordnung gerecht zu werden, wird es nach Produkt, Einbausituation und Verwendungszweck erforderlich sein, in einer technischen Dokumentation anzugeben, welche technische Regel der Prüfung zugrunde gelegt wurde sowie ob und welche (hierzu ausreichend qualifizierte) Stelle eingeschaltet wurde.

Aus Gründen der Rechtssicherheit sowie zur Gewährleistung eines einheitlichen bauaufsichtlichen Vollzugs sieht die (Muster-)Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen Rahmenbedingungen für die technischen Dokumentationen vor.

Übergangsweise sollen auch die den mit Inkrafttreten der novellierten Landesbauordnungen erledigten allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen und Zulassungen zugrunde liegenden Bewertungs- und Prüfungsergebnisse als qualifizierte technische Dokumentation akzeptiert werden, soweit hierdurch die Wahrung der materiell-rechtlichen Bauwerksanforderungen belegt werden kann.

Bewertung und Ausblick

Die Musterbauordnung der Länder und die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen brechen mit der gewohnten Systematik des Produktverwendungsverbots mit Zulassungsvorbehalt. Die sicherheitsrechtlichen Anforderungen an bauliche Anlagen sollen nicht länger überwiegend mittelbar über produktenrechtliche Vorgaben abgebildet, sondern möglichst unmittelbar am Bauwerk geregelt werden.

Nach den noch erforderlichen Anpassungen der Landesbauordnungen und der Inkraftsetzung der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen werden danach statt einer präventiven Kontrolle zukünftig vor allem überwiegend repressive Maßnahmen, u.a. Maßnahmen der Marktüberwachung, zur Verfügung stehen, um Gefahren für die Einhaltung der Grundanforderungen an Bauwerke, für die Gesundheit oder Sicherheit von Menschen oder für andere im öffentlichen Interesse liegende schutzwürdige Aspekte wirksam zu begegnen.

Zur Einhaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen sind die Bauwerksverantwortlichen gefordert, entsprechend leistungsfähige Produkte nach den Vorgaben der Bauordnung, den davon abgeleiteten Rechtsvorschriften sowie insbesondere der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen auszuwählen.

Während es auf der Seite der Produktverwender damit zu einer Intensivierung der Eigenverantwortung in Bezug auf die fachgerechte Produktauswahl kommt, sind die Produkthersteller einem hoheitlichen Zugriff so weit entzogen, als im Bereich harmonisierter Produktregelungen weitergehende produktunmittelbare Anforderungen zukünftig ausscheiden. Die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen wird daran zu messen sein, inwieweit es gelingt, die bis dato nicht wegzudenkende Verknüpfung der Bauwerkssicherheit mit unmittelbaren Produktanforderungen nach nationalen Produktnormen zu durchschlagen.

Damit nach europäisch harmonisierten Normen in den Verkehr gebrachte Bauprodukte auch zukünftig umfassend in deutschen Bauwerken Verwendung finden können, müssen die (auch schon bislang) bestehenden Bauwerksanforderungen zukünftig möglichst umfassend in die europäische Normung einfließen.

Die Option der Beantragung einer Europäischen Technischen Bewertung kann insofern nicht die Heilung eines krankenden Normungssystems erwirken, sondern nur punktuell Symptome lindern. Die Europäische Technische Bewertung wird langfristig nur dort regelmäßig sinnvoll zum Einsatz kommen können, wo nach Wunsch des Produktherstellers im Verhältnis zu bestehenden harmonisierten technischen Spezifikationen neue oder innovative Produktleistungen erklärt werden sollen.

Sie sollte im Übrigen die Ausnahme in einem funktionierenden Normungssystem darstellen und kann insbesondere nicht die an den Grundanforderungen der Bauproduktenverordnung an Bauwerke zu orientierende Mandatserstellung sowie die anschließende Überprüfung des erarbeiteten Normwerks ersetzen.

Eine im bauaufsichtlichen Kontext nachhaltige Verbesserung der harmonisierten europäischen Produktnormen erfordert insofern auch, die bestehenden Normungsabläufe zu analysieren und gegebenenfalls neu zu bewerten.

Schon bei der Mandatierung einer harmonisierten europäischen Produktnorm sollte verstärkt darauf hingewirkt werden, dass ein Hersteller zukünftig alle erforderlichen Produktleistungen erklären kann, die nach den Bauwerksanforderungen aller Mitgliedstaaten und dem intendiertem Produktverwendungszweck erforderlich werden. Hierzu ist entweder der Anwendungsbereich von harmonisierten europäischen Produktnormen konkreter zu fassen oder alle nach den Bauwerksanforderungen der Mitgliedstaaten relevanten wesentlichen Merkmale zu beachten.

Insofern wird es bei allen im Rahmen der europäischen Normung Beteiligten zu einem Umdenken kommen müssen, wenn das Ziel der BauPVO, durch harmonisierte technische Spezifikationen zur Angabe der Leistung von Bauprodukten das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erreichen, tatsächlich Realität werden soll.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 März/April