Beton – mehr als nur Baustoff

Beitrag von Holger Kotzan

Zum 125- jährigen Jubiläum hat das Weingut am Stein seinen neuen Weinkeller in Betrieb genommen. Jedoch wurde mit Beton nicht nur vortrefflich gebaut: In den aus dem natürlichen Baustoff geformten „Betoneiern“ reifen sogar edle Tropfen heran...

Wein aus dem „Betonei"

Bereits in der 5. Generation bewirtschaftet der fränkische Winzer Ludwig Knoll insgesamt 30 Hektar Weinbergsflächen ökologisch. Zum biologisch-dynamischen Konzept gehört auch das Reifen des Weins in einem ungewöhnlichen Gefäß: 2008 schafften sich Knoll und sein Winzerkollege Rainer Sauer jeder ein „Betonei“ an und begaben sich mit diesem Experiment auf önologisches Neuland. Doch was in der Branche zunächst auf Skepsis stieß, erwies sich als Segen: Denn die im Betonei gereiften Weine überzeugten Kritiker, Kenner und Kunden gleichermaßen und trugen Ludwig Knoll den Ritterschlag von höchster Stelle ein: Das Deutsche Weininstitut (DWI) kürte das Weingut am Stein als „einen der zwölf Höhepunkte der modernen, fortschrittlichen deutschen Weinkultur“. [sic!]

Das (Beton)Ei des Kolumbus

Ludwig Knoll geht mit dem biologisch-dynamischen Anbau und der Ausführung und Gestaltung des gesamten Weinguts am Stein unkonventionelle Wege. Dabei liegt sein Fokus stets auf Nachhaltigkeit in Produktion und Auswahl der Rohstoffe: Auch Beton spielt hier als natürliches und flexibles Material eine entscheidende Rolle – bei der Architektur und Gestaltung, insbesondere aber bei der Herstellung der Weine: Jene, mit dem besonders mineralischen, fast salzig anmutenden Terroirkomponenten – und manchen Weinfreund vielleicht erst einmal ungewohnten – Aromen stammen aus den „Betoneiern“.

Mittlerweile stehen sieben davon im neuen Weinkeller. Beeindruckend, ja fast feierlich wirken die mannshohen und nach dem Goldenen Schnitt hergestellten Gefäße. Sie fassen jeweils etwa 1700 Liter und mit ihnen lässt sich offenbar ein wirklich guter Tropfen „ausbrüten“: „Das ist eine extrem spannende Art Wein zu erzeugen. Hier spielt ja die Behälterform und die Materialität eine große Rolle“, sagt Ludwig Knoll und erklärt warum: „Einerseits kann sich der Wein während der Gärphase und bei der Lagerung in einem eiförmigen Fass ohne Kanten und Ecken fließend bewegen, Ablagerungen werden ausgeschlossen. Gleichzeitig dringt die optimale Menge an Sauerstoff durch die feinporige Betonwand an den Wein. All das befördert das Wachstum der Hefen bei Gärbeginn und eine Polymerisierung und Stabilisierung des Weines bei der Reifung.“

Investition nach erfolgreicher Testphase

Bevor Knoll das Wagnis einging, in die Anschaffung weiterer Betoneier zu Kosten von jeweils 7000 Euro zu investieren, hatten er und sein Winzerkollege Rainer Sauer die Weinherstellung im ersten, 2008 aus Frankreich importieren Betonei ausgiebig getestet: Die gefürchtete chemische Reaktion des Weines mit dem Beton – und damit eine Beeinträchtigung von Geschmack und Qualität – konnte das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit nach der siebenmonatigen Lagerphase nicht feststellen.

Eigentlich nicht wirklich überraschend, denn das Betonei besteht ja nur aus Sand, Wasser, Kies und ein wenig Zement. Und dieser natürliche Materialmix ermöglicht nicht nur eine moderne und nachhaltige Architektur. Vielmehr reift darin u. a. ein einzigartig würziger „Silvaner“ mit viel Profil, der möglicherweise im Edelstahltank oder Holzfass nicht mit der gleichen mineralischen Spannung ausgefallen wäre.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 September/Oktober