Interview mit Prof. Oliver Fischer vom Lehrstuhl für Massivbau, TUM.
Die TiB sprach mit Prof. Oliver Fischer über den Werkstoff Beton. In dem Interview spricht Fischer über die Sicherheit von Stahlbeton, neuste Forschungen und Entwicklungen rund um den Baustoff und die Methoden der Betonverarbeitung.
Technik in Bayern: Herr Prof. Fischer: Beton gibt es in mannigfaltigen Ausprägungen. Könnten Sie uns die jüngere Entwicklungsgeschichte kurz skizzieren?
Prof. Oliver Fischer: Der Werkstoff Beton wurde insbesondere in den letzten etwa 25 Jahren in verschiedenster Hinsicht enorm weiterentwickelt, vor allem in Bezug auf die Betontechnologie und geeignete Zusatzstoffe/-mittel. Dadurch können moderne Betone einerseits hinsichtlich der Verarbeitung gezielt projektspezifisch gesteuert werden (z. B. selbstverdichtend, je nach Bedarf, mit verzögerter oder beschleunigter Erhärtung), andererseits lassen sich die erreichbaren Druckfestigkeiten bis hin zu Werten von 200 N/mm2 und mehr, ebenso wie eine besondere Widerstandsfähigkeit gegen äußere chemisch-physikalische, mechanische oder auch radioaktive Beanspruchungen, nahezu beliebig einstellen.
So ergeben sich je nach Bedarf hochfeste, dichte und säure- oder frostbeständige Betone und damit hochbelastbare dauerhafte Ingenieurbauwerke. Darüber hinaus liegen mittlerweile umfassende Erkenntnisse und Möglichkeiten in Bezug darauf vor, wie sich die zur Übertragung von Zugkräften erforderliche Stahlbewehrung durch korrosionsfreie Materialien ersetzen lässt, z. B. durch Bewehrungsstäbe, Gelege oder Fasern aus Carbon oder ggf. Basalt. Durch die vielfältigen Entwicklungen und Innovationen sind heute auch neuartige Herstellverfahren sowie materialgerechte und gleichermaßen ressourcenschonende, dauerhafte Konstruktionsformen möglich, ein aktueller Schwerpunkt der Forschung und Entwicklung im konstruktiven Betonbau.
TiB: Wie wird – neben der Sichtprüfung – die Sicherheit von Stahlbeton überprüft?
Fischer: Die Sicherheit von bestehenden Bauwerken lässt sich vor allem durch die Erfassung von Veränderungen bewerten, z. B. einsetzende Korrosion oder Rissbildung. Hierzu finden durch qualifizierte Ingenieure regelmäßige Bauwerksprüfungen statt, im Brückenbau beispielsweise nach DIN 1076 alle sechs Jahre (umfangreiche Hauptprüfung), mit zusätzlichen Zwischenprüfungen. Neben der reinen optischen Inaugenscheinnahme gibt es verschiedene messtechnische Möglichkeiten, Veränderungen am Bauwerk und seiner Tragwirkung frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus kann bei Erfordernis auch ein dauerhaftes Monitoring installiert werden, um kontinuierlich den Bauwerkszustand zu erfassen (sog. „Structural Health Monitoring“, kurz SHM).
Bei Neubauten gibt es derzeit auch Überlegungen und Forschungsarbeiten (Stichwort „intelligentes Bauwerk“), bereits bei der Herstellung am/im Bauwerk geeignete Messtechnik zu installieren, um über die gesamte Lebensdauer genaue Informationen sowohl über die Belastungsgeschichte als auch über mögliche Schädigungen zu erhalten.
TiB: Wir lesen immer wieder über Schäden an Betonbauwerken. Gibt es hier Abhilfe?
Fischer: In den Medien wird des Öfteren z. B. über „marode“ Brücken berichtet, das ist richtig. Man muss hier aber genau differenzieren, vor allem ist diese pauschale Aussage auch falsch. Natürlich ist unser Brückenbestand in die Jahre gekommen. So stammen die meisten Bauwerke aus den 1960er und 70er Jahren und damit aus einer noch vergleichsweise frühen Phase der Stahlbeton- und Spannbetonbauweise.
Ganz wesentlich ist jedoch, dass einerseits in die oft genannte Zustandsnote eine Reihe von Gesichtspunkten einfließen, die nichts mit der Tragsicherheit zu tun haben. Andererseits zeigt sich bei rechnerischem Defizit aus einer Bauwerksnachrechnung meist, dass dieses nicht auf Schäden, sondern darauf zurückzuführen ist, dass seit der Errichtung das Verkehrsaufkommen (vor allem der Schwerverkehr) dramatisch zugenommen hat und zudem die für die Neubauplanung konzipierten aktuellen Regelwerke (Zielsetzung: robuste Bauwerke mit ausreichenden Reserven auch für zukünftige Entwicklungen) deutlich erhöhte Anforderungen stellen. Deshalb sind aber nicht alle Bestandsbauwerke in einem kritischen Zustand.
Wir forschen daher derzeit auch intensiv daran, die tatsächlichen Tragwiderstände bestehender Bauwerke noch genauer zu beschreiben, so dass nur dort eingegriffen werden muss, wo eine Verstärkung oder Erneuerung unvermeidlich ist. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren – auch unter Verwendung der erwähnten neuartigen Materialien (u. a. Hochleistungsbetone oder carbonbasierte Bewehrung und Verstärkungselemente) – leistungsfähige Verfahren zur schonenden Verstärkung und Ertüchtigung bestehender Bauwerke entwickelt, die sich mittlerweile im praktischen Einsatz bewähren.
Beton selbst ist auch äußerst dauerhaft, nicht zuletzt stehen heute noch Bauwerke der Römer aus einem Werkstoff („Opus Cementitium“), der dem heute gebräuchlichen Standardbeton relativ nahekommt. Dabei wird die Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit umso besser, je fester und dichter das Material wird. Gleichzeitig schützt der Beton durch seine Dichtigkeit und hohe Alkalität eine eingebettete Stahlbewehrung vor Korrosion. So kann z. B. im Brückenbau bei Verwendung moderner höherfester Betone auf den sonst üblichen Belag und die Abdichtung verzichtet und der Konstruktionsbeton direkt befahren werden, ohne dass sich nachteilige Effekte bezüglich der Lebensdauer ergeben.
TiB: Was sind die neuesten Forschungen an Ihrem Institut beim Werkstoff Beton?
Fischer: Aktuell befassen wir uns vor allem mit Hochleistungsbetonen (z. B. mit ultrahochfestem Beton) und den sich durch diese Werkstoffe bietenden Vorteilen und konstruktiven Möglichkeiten in realen Bauwerken. Zudem versuchen wir gemeinsam mit Forschungspartnern mit verschiedenen Ansätzen, dem zwar sehr druckfesten Material Beton auch eine entsprechend hohe Zugfestigkeit zu verleihen. Hier können wir bereits einige Erfolge vorweisen und sind mittlerweile in der Lage, im Labor kleinere Bauteile mit Biegezugfestigkeiten herzustellen, die schon in Richtung der Druckfestigkeit gehen. Dies gelingt z. B. durch die Zugabe kurzer Carbonfasern in den Frischbeton. Besonders effizient wird dieses Verfahren, wenn die Fasern durch den Betoniervorgang ausgerichtet werden.
Daher sind die additive Fertigung und der 3D-Druck förmlich prädestiniert für diese Methode. Durch die beim Drucken im Extrusionsverfahren verwendeten Düsen werden die Carbonfasern ausgerichtet, es ergeben sich in dieser Richtung hohe Zugfestigkeiten und es lassen sich durch entsprechende Druckpfade z. B. auch Bauteile herstellen, bei denen sich die Festigkeiten an den inneren Spannungstrajektorien orientierten.
TiB: Würde man sich nicht durch den 3D-Druck die Verschalungen sparen?
Fischer: Ganz genau, das ist auch ein wesentlicher Vorteil. Je nach gewähltem Verfahren, Extrusion oder sogenannte Partikelbettverfahren (mit „paste intrusion“, d. h. es wird Zementleim einem Partikelbett zugegeben, oder „Cement Activation“, bei der der bindende Zement bereits in das Partikelbett gegeben wird), kann man praktisch beliebige geometrische Formen und auch Überhänge betonieren. Gerade die additive Fertigung bietet vielseitige Potentiale (nicht nur im Bauwesen) und bildet derzeit einen wesentlichen interdisziplinären Forschungsschwerpunkt an der TUM.
TiB: Können Sie uns weitere Entwicklungen nennen?
Fischer: Wie bereits diskutiert, befassen sich viele Forschungsarbeiten damit, zielgerichtet einen an den spezifischen Anforderungen orientierten „maßgeschneiderten“ Beton bzw. einen möglichst optimalen Materialmix herstellen zu können. Dadurch soll es zukünftig vor allem gelingen, effiziente tragende Strukturen mit weniger Material- und Energieverbrauch zu bauen. Zudem sollen sich diese Strukturen möglichst auch an veränderte Randbedingungen „adaptiv“ anpassen können und darüber hinaus auch einfach rückbau- bzw. recyclebar sein.
Ein wesentlicher weiterer Schwerpunkt der Entwicklung bezieht sich auf die Veränderung der Herstellprozesse im Bauwesen, vor allem geprägt durch die Digitalisierung und die Verlagerung wesentlicher Schritte der Bauteilherstellung weg von der eigentlichen Baustelle hin zu einer automatisierten industriellen Werksfertigung. Neben der durch die Vorfertigung möglichen Reduktion von Bauzeiten und -kosten und der einfacher sicherzustellenden Qualität resultiert diese Tendenz auch aus den vorhandenen umfangreichen Bauaufgaben (vor allem auch im Bestand) bei gleichzeitig großem Fachkräftemangel. Einige Baufirmen setzen entsprechende Konzepte bereits erfolgreich um, orientieren die Prozesse dabei auch an der industriellen Fertigung der stationären Industrie und reduzieren die erforderlichen Montagezeiten vor Ort auf ein Minimum. Durch modernste Fertigungs- und Nachbearbeitungsverfahren (z. B. Präzisionsschleifen) lassen sich hochpräzise Hochleistungsbauteile herstellen, die sich schließlich auf Grundlage modularer Konzepte zum Gesamtbauwerk fügen (und ggf. später wieder zerlegen) lassen. Das ist ein Novum in der Bauindustrie.
Aufgrund der vergleichsweise kostengünstigen Herstellung, der nahezu beliebigen Formgebung, der mechanischen Eigenschaften oder auch der thermischen Trägheit finden hochpräzise Elemente aus Hochleistungsbeton seit einigen Jahren auch im Maschinenbau ihre Anwendung.
TiB: Wo liegen die Schwerpunkte in der zukünftigen Konstruktion von Beton?
Fischer: Mit Blick auf die zukünftige Entwicklung modularer effizienter Betonkonstruktionen wurde gerade auch ein neues DFG Schwerpunktprogramm 2187 „Adaptive Modulbauweisen mit Fließfertigungsmethoden – Präzisionsschnellbau der Zukunft“ ins Leben gerufen, das genau die diskutierten Aspekte adressiert: Schnelligkeit und Zuverlässigkeit von Bauvorhaben bei gleichzeitigem Wunsch nach Einmaligkeit, Ästhetik und Langlebigkeit von Strukturen. Durch intelligent digital vernetzte Systeme soll es dabei gelingen, trotz Modularisierung der Komponenten dem Anspruch an weitreichende Individualität im Endprodukt gerecht zu werden. Die Bauwerke sollten zudem veränderbar sein, anpassbar an sich ändernde Nutzungs- und Beanspruchungsbedingungen.
Gerade wurden die eingegangenen Detailforschungsanträge beurteilt und ab Herbst dieses Jahres befassen sich über insgesamt sechs Jahre eine Reihe von Arbeitsgruppen in Deutschland mit der systematischen interdisziplinären Grundlagenforschung zu diesem für das Bauwesen der Zukunft äußerst wichtigen Themenfeld.
TiB: Ist die Entwicklung modularer Betonkonstruktionen nur in Deutschland ein Thema?
Fischer: Nein, grundsätzlich kann man weltweit entsprechende Tendenzen beobachten, zukünftig verstärkt auf modulares Bauen und industrielle Fertigung zu setzen. Auch in der Vergangenheit war international das Bauen mit vorgefertigten Elementen immer schon weit verbreitet; allerdings lassen sich solche klassischen Fertigteile nicht mit den aktuellen Entwicklungen zur Herstellung von hochpräzisen, industriell gefertigten Hochleistungskomponenten vergleichen.
TiB: Zurück zum Werkstoff: Gibt es heute verbesserte, temperaturunabhängige Verarbeitungsmethoden von Beton?
Fischer: Es gibt verschiedene Maßnahmen und Möglichkeiten, sowohl bei hohen als auch bei niedrigen Temperaturen zu betonieren. Da der Erhärtungsprozess von Beton vor allem aber auf der chemischen Reaktion des Zements mit dem zugegebenen Wasser basiert, sind der Betonverarbeitung bei geringen Temperaturen im Winter natürliche Grenzen gesetzt. Gefriert der erhärtende Beton, so kann das Gefüge gestört und dauerhaft geschädigt werden.
TiB: Es gibt säurebeständigen Beton. Aus welchem Material besteht der Sarkophag des havarierten Reaktors in Tschernobyl? Gibt es strahlungsresistenten Beton?
Fischer: Grundsätzlich ist Beton hervorragend geeignet, um auch gegen radioaktive Strahlung abzuschirmen. Erfolgt die Abschirmung gegen Gamma- oder Röntgenstrahlen, wird die Wirksamkeit mit zunehmender Rohdichte verbessert. Um dies zu erreichen, gibt man statt Sand/Kies ganz oder teilweise Spezialzuschläge zu, z. B. Eisenerze oder Gesteinskörnungen aus Magnetit, Hämatit oder Baryt, und erreicht so Schwerbetone mit Rohdichten von bis zu etwa 3,5 t/m³ (üblicher Beton 2,5 t/m³).
Bei Neutronenstrahlung sollte zusätzlich gebundenes Kristallwasser vorhanden sein und es werden der Mischung Zusätze wie Bor oder Kadmium beigefügt. Zu Tschernobyl: während beim ersten kurzfristigen Schutzmantel in Tschernobyl große Mengen bewehrter Schwerbeton verwendet wurden, kommt beim neuen auf 100 Jahre ausgelegten zusätzlichen „Sarkophag“ eine massive Konstruktion aus Stahl und Beton zum Einsatz, zudem verhindert permanenter Unterdruck ein Entweichen von radioaktiv belasteter Luft.
TiB: Eine Ressourcenfrage: Werden Kies und Sand für Beton knapp?
Fischer: Tatsächlich ist die Frage nach den Ressourcen ganz entscheidend und z. B. Sand ist heute schon in manchen Ländern ein knappes Gut. So hört man beispielsweise immer wieder von Fällen, dass an Küsten der Weltmeere durch organisierte Banden Sand gestohlen wird. Dieser Ressourcenknappheit und auch der CO₂-Belastung können wir nur dadurch begegnen, dass wir die Konstruktionsprinzipien so entwickeln, dass zukünftig wesentlich weniger Grundstoffe, insbesondere Sand/Kies und Zement, benötigt werden. Für die nächsten Milliarden der Weltbevölkerung können wir nicht so bauen, wie wir es bisher taten. Die neuartigen Ansätze des Betonbaus bieten hier vielversprechende Möglichkeiten.
TiB: Man kann Beton doch gut recyceln?
Fischer: Beton lässt sich sehr gut recyceln und auch wieder als Grundmaterial für neue Konstruktionen einsetzen, hierzu gab es vor allem um die Jahrtausendwende umfangreiche Forschungen. Derzeit erfolgt der Einsatz vor allem für untergeordnete Anwendungen mit geringen Anforderungen an die Tragfähigkeit, nicht jedoch aufgrund der Eignung, sondern weil nicht für alle Baumaßnahmen ausreichend Recyclingmaterial zur Verfügung steht.
TiB: Welche Zukunft hat Beton?
Fischer: Ich denke eine sehr gute, denn ich sehe derzeit noch keinen anderen Baustoff, der Beton im großen Stil ersetzen könnte. Solange es genug Sand und Kies gibt, lässt er sich praktisch überall einfach herstellen und ohne großen Aufwand zu beliebig geformten, dauerhaften und robusten Bauteilen/Bauwerken verarbeiten, zukünftig auch mit neuen innovativen Fertigungsverfahren. Zudem haben wir heute vielfältigste Möglichkeiten, die je nach Anwendungsfall spezifisch gewünschten Eigenschaften zielsicher einzustellen, sei es in Bezug auf die Verarbeitung, die Festigkeit oder die Dauerhaftigkeit.
Das Interview führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer.
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 September/Oktober