Neue Perspektiven mit Carbonbeton

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Oliver Fischer vom Lehrstuhl für Massivbau der TUM, Vorstandsmitglied der Ingenieurkammer Bau und Leiter des VDI-AK „Bau, Baustoffe und Baumaschinen“.

Die TiB sprach mit Prof. Dr.-Ing. Oliver Fischer über Carbonbeton. Fischer sprach über seine Erfahrungen, offene Fragen und die Zukunft des Baustoffs Carbonbeton. Auch die Einsatzsatzmöglichkeiten und wurden in diesem Interview näher thematisiert.

Technik in Bayern: Herr Prof. Fischer, die Verleihung des Zukunftspreises des Bundespräsidenten Ende 2016 hat das Thema „Carbonbeton“ in die Öffentlichkeit gerückt. Wie würden Sie den Begriff „Carbonbeton“ definieren?

Prof. Oliver Fischer: Den Begriff „Carbonbeton“ hat Prof. Curbach im Rahmen des C3 -Konsortiums in Dresden geprägt (siehe Infokasten). Für mich ist Carbonbeton nicht gleich Carbonbeton, denn Carbon im Bauwesen wird seit ungefähr 25 Jahren verwendet. Aus meiner Sicht gibt es hier drei verschiedene Anwendungen: Die eine ist die Verstärkung eines Bauteils mit aufgeklebten Lamellen in den verschiedensten Ausführungen, hier wird Carbon mit Beton verklebt. Zu diesen Verfahren existiert auch eine Richtlinie.

Die zweite ist Textilbeton bzw. Beton mit einbetonierter Carbonbewehrung. Hier wird eine gewebte Textilie in den Beton gegeben. Damit erzeugt man eine Tragstruktur, oder ein Bauteil zur Verstärkung. Die dritte Anwendung ist die Vermischung des Betons oder Mörtels mit kleinen Carbonfasern. Die ersten beiden Anwendungen, das Aufkleben und die Textilien-Beimischung, sind nicht nur Carbonbeton, also Carbon und Beton, sondern Carbon, Beton oder Mörtel plus Kunststoffe. Diese Kunststoffe dienen entweder als Imprägnierung zum Schutz der Fasern oder als Matrix für die Herstellung der Carbonstäbe. Zu diesen Kunststoffen gibt es verschiedenste Fragestellungen z.B. hinsichtlich der Hitzebeständigkeit und der Alterung.

TiB: Seit wann beschäftigen Sie sich mit Bauteilverstärkungen aus Carbon und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Prof. Fischer: Der Lehrstuhl beschäftigt sich seit ca. 1994 mit aufgeklebten Carbonverstärkungen auf Beton, ich selbst seit 1995.

Das Hauptaugenmerk des Lehrstuhls lag auf den nachträglichen oberflächlichen Verstärkungen im Hochbau. Hier haben wir schon sehr viele Projekte gemacht z.B. auch mit Spanngliedern oder bei der Abdichtung von Tiefgaragen, und das ist heute ein gängiges Verfahren. Für die Verstärkungen sind die Carbonlamellen ideal, hier ist Stahl viel zu schwer. Sie sind einfach aufzukleben, haften sofort und sind leicht und schön zu verarbeiten.

TiB: Wie sehen Ihre Erfahrungen mit Textil- und Faserbeton aus?

Prof. Fischer: Textilbeton ist bei uns am Lehrstuhl seit fünf Jahren ein Thema und Faserbeton seit etwa vier Jahren. Zum Faserbeton habe ich gerade auch zwei Forschungsprojekte. Für den Textilbeton existiert bisher noch keine allgemeine Anwendungsrichtlinie und bauaufsichtliche Zulassungen sind derzeit erst im Entstehen. Das Verfahren kann großes Potenzial besitzen, es sind aber auch noch einige Fragen zu klären. So gibt es vielfältige Forschungsthemen, z.B. Umweltverträglichkeit, Recycling, aber auch reine Bemessungsfragen. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Alterungsbeständigkeit der eingesetzten Kunststoffe. Ein Beispiel ist der Kunststoffverbund zwischen den einzelnen Carbonfasern.

TiB: Also sprechen wir vorrangig von Sanierungsmaßnahmen im Stahlbeton?

Prof. Fischer: Für diese Verstärkungen ist Carbon sehr gut geeignet. Und da gibt es wirklich sehr viele Objekte, einerseits aufgrund des allgemeinen Alters unserer bestehenden Bausubstanz, andererseits auch deshalb, da in den frühen Zeiten der Stahl- und Spannbetonbauweise in einzelnen Punkten die Dauerhaftigkeit noch nicht so im Vordergrund stand, besteht ein allgemein vielfältiger Bedarf zur Sanierung und Verstärkung.

TiB: Sehen Sie Einsatzmöglichkeiten im Neubau auch hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit, denn Carbonbeton ist teurer als Stahlbeton?

Prof. Fischer: Hier muss man sehen, wie groß das Potenzial ist. Es stimmt, dass das Material teurer ist, aber wenn man die Textilfertigung optimiert, wenn es in die Fläche geht und es mehr Konkurrenten gibt, wird es sicher billiger. Und es ist ein wirklich vielversprechendes Material, man kann wesentlich schlanker und eleganter bauen.

TiB: Braucht man nicht auch extra geschultes Personal für den Umgang mit Carbon?

Prof. Fischer: Natürlich muss ich mit Carbon, wie mit jedem Material, sauber umgehen. Und wir müssen es beherrschen.

TiB: Welche offenen Fragen gibt es zum Baustoff Carbonbeton?

Prof. Fischer: Natürlich die baurechtliche Zulassung. Zurzeit gibt es hinsichtlich der Ertüchtigung der Tragfähigkeit erst eine bauaufsichtliche Zulassung, und zwar für die Biegeverstärkung. Wenn es eine Querkraft- oder eine dynamische Verstärkung werden soll, geht es nicht. Diese offenen Punkte sollen jetzt alle in dem C3 -Konsortium geklärt werden, denn derzeit ist der Anwendungsbereich noch sehr gering. Ich glaube aber, dass das nur eine Zeitfrage ist.

TiB: Geht es nur um die Zulassung oder gibt es hier auch technische Probleme?

Prof. Fischer: Beides. Die mechanischen Zusammenhänge sind bei Carbon ganz andere, als wenn ich konventionell baue. Man löst in C3 derzeit neben den technischen Fragestellungen, z.B. wie sich im Brückenbau das Material bei zyklischer Belastung verhält, auch formale.

TiB: Stichwort Brandschutz: Gibt es Unterschiede zwischen Stahlbeton und Carbon?

Prof. Fischer: Bei den oberflächig aufgeklebten Verstärkungen aus Carbon habe ich immer ein Problem. Die Kohlefaser selbst ist unkritisch, entscheidend sind aber der Kunststoff und die Klebstoffe. So besitzen die meist eingesetzten kalthärtenden Klebstoffe einen Glasübergang bereits bei etwa 45 °C, und da wird es schwierig. Bei der Oberflächenanwendung brauchen wir meist Brandschutzplatten.

Mit Textilbeton ist es deutlich besser, da ist das Gewebe im Beton. Hierzu finden in C3 jetzt auch umfangreiche Untersuchungen statt. Aber ich denke, für normale Anwendungen im Hochbau gibt es keine Probleme, vor allem auch weil die reinen Carbonfasern im üblichen Temperaturbereich – auch bei Brand – völlig unkritisch sind.

TiB: Wird Carbonbeton in den Lehrveranstaltungen an Ihrem Lehrstuhl behandelt?

Prof. Fischer: Wir haben für alle vorgenannten Anwendungen zum Carbonbeton Veranstaltungen am Lehrstuhl – beim „Bauen im Bestand“ z.B. eine Verstärkungsvorlesung. Wir vermitteln den Studierenden die Grundlagen, wie kann man das berechnen, was gibt es an Vorschriften etc. Die Masterarbeiten zu dem Thema sind alle in die Forschung eingebunden. Wir haben generell viele neue Materialien, die sehr interessant sind und unsere Studierenden sind hier aktiv beteiligt.

TiB: Wie sehen Sie die Zukunft von Carbonbeton?

Prof. Fischer: Ich glaube, wir müssen sehr viel mehr in Produkten denken, und das betrifft nicht nur das Material Carbonbeton. Derzeit haben wir beim Bauen oft das Problem, dass jemand etwas zeichnet und man sich dann überlegt, wie machen wir es denn, und dann wird es als Unikat gebaut. Mit einem Material wie Carbonbeton muss man die Produktion viel mehr standardisieren, viel industrieller werden.

Bei der herkömmlichen Anwendung ist die Gefahr von Fehlern natürlich größer, weil das Material viel sensibler ist. Zu den Komponenten und Bauteilarten gibt es beim C3 Forschungsansätze. Ich denke, für den Neubau geht es in Richtung vorgefertigter Teile im Baukastenprinzip. Hier können Sie in einer industriellen Fertigung hochpräzise Bauteile mit Qualitätssicherung herstellen.

TiB: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer

Über das Netzwerk C³

C³ = Carbon Concrete Composite

Neben der Entwicklung des Baustoffes und der Technologie von Carbonbeton verfolgt C³ neue Ansätze für die Zusammenarbeit, das Management und die Koordination, den Wissenstransfer und die Kommunikation.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 März/April