Nachhaltige Bestandssanierung – wo fängt man an und warum?

Beitrag von Martin Frischmann, Frank Schilder, ADOMO Group, Robert Oettl, ADOMO Green Solutions GmbH

77% aller Gebäude, die im Jahr 2050 von uns bewohnt werden, sind heute (Mitte 2024) bereits gebaut. Aufgrund der EU Regulatorik ist in allen Sektoren, egal ob privater Selbstnutzer, öffentliche Hand oder professioneller Investor und Bestandshalter, die Optimierung des Immobilienbestandes hinsichtlich CO2-Fußabdruck und Energieverbrauch dringend geboten bzw. gesetzlich vorgeschrieben.

Ausgangssituation und gesetzlicher Rahmen

Große professionelle Immobilienbestandshalter, aber auch die öffentliche Hand und große genossenschaftliche Wohnungseigentümer üben sich derzeit im Spagat zwischen den sozialen und den umweltbezogenen ESG-, also Nachhaltigkeitsanforderungen (ESG: Environmental, Social, Governance). Erstere erfordern zwingend bezahlbaren Wohnraum, insbesondere in Ballungsräumen, zweitere erzwingen geradezu Maßnahmen der energetischen Sanierung, um den Anforderungen des EU Green Deals und der Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie zu genügen. Die neuesten Maßnahmen des EU-Parlaments, vom März 2024, zielen darauf ab, den Energieverbrauch von Gebäuden zu senken und gleichzeitig den Einsatz erneuerbarer Energien zu erhöhen. Für die Wohnungswirtschaft bedeutet dies, dass bis 2030 für den gesamten Bestand ein verbindliches Energieeinsparungsziel von 16% erreicht werden muss – eine enorme Herausforderung.

In Deutschland bildet das Gebäudeenergiegesetzes (GEG) den Rahmen, um den Anforderungen auch im Bestand gerecht zu werden. Das Gebäudeenergiegesetz löste im November 2020 die Energieeinsparverordnung (EnEV) und das Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetz (EEWärmeG) ab.

Es schreibt auch für Bestandsgebäude Nachrüstpflichten vor, unter anderem Dämmung der obersten Geschossdecke, Dämmung von Warmwasser- oder Heizungsrohren, Austausch über 30 Jahre alter fossiler Heizkessel. Die ganzen Überlegungen und Forderungen sind zusätzlich noch gekoppelt mit den Vorgaben an die kommunalen Energieversorger, die bis spätestens 2028 ihrerseits die CO2-neutrale Wärmeplanungen realisiert haben müssen.

Die EU-Gebäuderichtlinie schreibt auch vor, dass der Primärenergiebedarf des gesamten Wohngebäudebestandes über 2030 hinaus bis 2035 im Vergleich zu 2020 um mind. 20-22% abnimmt, bis 2040 und danach alle fünf Jahre einen national zu bestimmenden Wert unterschreitet.

55% dieses Rückgangs müssen mit 43% der Wohngebäude mit der schlechtesten Gesamtenergieeffizienz erreicht werden. Die Ertüchtigung dieser sogenannten Worst Performing Buildings, werden in Deutschland über die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) besonders gefördert. Sie fallen in die Kategorie der Objekte mit EPC-Rating (EPC: Energy Performance Certificate) und damit Energieausweis Klasse H oder Energiebedarf von mindestens 250 kWh/(m²a).

Für professionelle Anbieter von Immobilien-Fonds ist darüber hinaus der Rahmen durch die Anforderungen der SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) gesetzt. Neben den Betrachtungen auf Unternehmensebene sind die Produkte, also hier die Anlage-Immobilien, zu berücksichtigen. Für die sogenannten Principle Adverse Impacts ist verpflichtend eine Optimierung der folgenden Indikatoren umzusetzen:

  • Fossile Brennstoffe
  • Energie-Effizienz (EPC-Rating A bis G, schlechtester anzustrebender Wert: C) Darüber hinaus ist von den folgenden Indikatoren mindestens einer ebenfalls verpflichtend auszuwählen:
  • Treibhausgas-Emissionen (z.B. CO2)
  • Energieverbrauch (in kWh/qm)
  • Abfall
  • Ressourcenverbrauch
  • Biodiversität

In Abhängigkeit von der weiteren regulatorischen Entwicklung ist davon auszugehen, dass Immobilien ggf. gar nicht mehr handelbar sind, d.h. weder neu vermietet noch verkauft werden dürfen, falls sie nicht mittel- und langfristig immer weniger schädlich auf die Umwelt wirken. Diese Immobilien sind sogenannte „strandes assets“. Ob und wann ein Gebäude stranded definiert der sogenannten CRREM (Carbon Risk Real Estate Monitor)-Pfad, der sowohl die CO2-Emission eines Objekts pro qm und Jahr, als auch den (Wärme)Energiebedarf in kWh/ qm*a berücksichtigt. Der zulässige Wert sinkt Jahr für Jahr und liegt derzeit (2024) für Wohngebäude in Deutschland bei 24 kWh/qm*a. Die Berechnungsbasis orientiert sich an der Erreichung bzw. Einhaltung des 1,5° Ziels im Jahr 2050 (CO2-Neutralität), auf Basis des dafür zur Verfügung stehenden CO2-Budgets.

Wirtschaftliche Auswirkung der Regulatorik

Ist nun eine Immobilie ein Stranded Asset bzw. der Stranding-Zeitpunkt in Kürze erreicht, ist schon heute mit einem massiven Preisabschlag bei Vermietung oder beim Verkauf der Immobilie zu rechnen. Nach Analyse größerer Portfolios kam das Immobilienberatungs- und Maklerhaus JLL im Oktober 2023 auf bis zu 29% Abschlägen des Transaktions-Wertes bei EPC G und H gegenüber EPC A+.

Um nun die erforderlichen Maßnahmen für die privaten, aber auch die professionellen Eigentümer wirtschaftlich umsetzbar zu gestalten, wurden auf Bundes-, Landes-, aber auch auf kommunaler Ebene zahlreiche Fördertöpfe zur Verfügung gestellt. Da die Maßnahmen, die von professionellen öffentlichen oder privaten Immobilieneigentümern ergriffen und bezahlt werden, über Mieten zumindest teilweise refinanziert werden müssen, ist gerade in diesem Umfeld, neben der rein technischen und Investitionskosten getriebenen Bewertung von Maßnahmen, auch die Förderung als wesentliche Kalkulationsgröße mit einzubeziehen. Daraus ergibt sich, dass die Maßnahmenplanung, selbst bei scheinbar vergleichbaren Objekten deutlich unterschiedlich ausfallen wird.

Im Folgenden befassen wir uns mit klassischen Mehrfamilienhäusern, die aufgrund der vielen unterschiedlichen Nutzer noch komplexer in der Maßnahmen-Umsetzung sind, insbesondere in den Ballungsräumen aber die vorherrschende (Wohnungs-)Nutzungsart darstellt. Die jeweiligen professionellen Eigentümer verfügen häufig über ein umfassendes Portfolio an Objekten. Genau aus diesem Grunde sitzen viele, wie das sprichwörtliche „Kaninchen vor der Schlange“ und bewegen sich nicht. Mit welchem Objekt nur anfangen?

 

Vorgehen in vier Modulen – zu Beginn aber braucht es Transparenz

Obgleich der Maßnahmen-Mix, sowohl technische als auch wirtschaftliche, bei jedem Objekt ein anderer sein wird, so wird eine ideale Herangehensweise in vier Module zerfallen (s. Abb. 2).

Insbesondere Modul 4 und damit der nachhaltigen, dauerhaften Betreuung der Immobilie kommt dabei größte Bedeutung für den dauerhaften Erfolg der Maßnahmen zu. Zu Beginn ist allerdings das Schaffen von Transparenz und die Feststellung, bei welchem Objekt zuerst Hand anzulegen ist, zwingend.

Wichtig hierbei ist, dass die oft schlechte Datenlage die Ermittlung des energetischen und CO2-bezogenen Status und damit die Ermittlung des „Stranding Points“, d.h. des Zeitpunktes, wann ein Objekt gemäß CRREM-Pfad zu viel Energie benötigt, erschwert. Aufgrund der unterschiedlichsten Akteure über den gesamten Immobilien-Lebenszyklus, ist im Regelfall immer von einer eher wenig umfassenden Datenlage auszugehen. In Modul 1 wird daher auf Basis einer Desktop-Analyse und mithilfe KI-gestützter Prozesse über mehrere Rechenmodelle mit wenigen Datenpunkten die erforderliche Vergleichbarkeit und Transparenz geschaffen. Mehr als 20 Anbieter aus dem sogenannten PropTech-Umfeld liefern hierzu Tools, die unterschiedliche Stärken und Schwächen haben. Die ADOMO verwendete bei der Umsetzung der TurnGreen Maßnahmen die Tools PREDIUM, Blue Auditor und OPTIM USE.

Portfolio-Ebene – Festlegung der wirtschaftlichen Reihenfolge zur Bearbeitung

Die Tools werden mit lediglich folgenden Daten gefüttert

  • Nutzungsart (Regelfall Wohnen)
  • Gebäudestandort/Adresse
  • Anzahl Wohneinheiten
  • Baujahr
  • Durchgeführte energetische Sanierungsmaßnahmen
  • Gewerk, z.B. Heizung, Gebäudehülle, Solaranlagen
  • Jahr
  • Wesentlicher Energieträger
  • Gültiger Energieausweis
  • Durchschnittliche Netto-Kalt-Miete

Die KI kann daraufhin sehr einfach durch „anzapfen“ und verknüpfen weiterer Daten-Bestände, z.B. Google Maps, ein Model des Objekts erstellen und „weiß“ u.a. welche Baumaterialien, mit welchem U-Wert, zu welchem Zeitpunkt am angegebenen Ort verarbeitet wurden. Auf dieser Basis lässt sich Energieverbrauch, CO-Emission und damit abgeleitet das EPC-Rating errechnen.

Die Tools schlagen darüber hinaus Maßnahmen, inkl. Indikation der Kosten vor und Verknüpfen diese mit gängigen Fördermitteln. Geprüft durch die Experten von ADOMO und angepasst an die eigentümerseitigen Restriktionen, z.B. im Hinblick auf das Gesamt-Investitions-Volumen entsteht eine TOP10 der Maßnahmen, die die energetisch optimale Konstellation mit den Gesamt-Kosten und den möglichen Fördermaßnahmen verknüpft. Daraus entsteht eine zeitliche Projekt-Abfolge, nach der in Modul 2 und 3 verfahren werden kann. (Abb. 3)

Einzel-Objekt-Ebene – fundiertes Konzept sorgt für schnelle Maßnahmen-Umsetzung

In enger Abstimmung mit den Eigentümern und auf Basis von deren Strategie und Investitionsbereitschaft erarbeiten die ADOMO Architekten und Ingenieure eine Kalkulation mit unterschiedlich umfangreichen Umsetzungs-Paketen. Zur Einreichung von Förderanträgen ist darüber hinaus noch die Hinzuziehung eines Energieberaters, mit Qualifikation gem. §88 GEG, erforderlich.

So werden unterschiedliche aufwendige Eingriffe in eine sinnvolle Kombination zueinander gebracht. Bei einer minimalinvestiven Basis-Variante werden z.B. die Durchführung von Maßnahmen, die mit bereits vorhandener Technik möglich sind in den Fokus genommen. Ebenso Maßnahmen, die nur minimale Eingriffe in die Technik des Objekts bedeuten. Dies sind beispielhaft:

  • Durchführung eines hydraulischen Abgleichs bei der vorhandenen zentralen Wärmeversorgung.
  • Einregulierung der bestehenden zentralen Heizungsversorgung
  • Gesteuerte Schachtentrauchungsklappen bei Aufzugsschächten

Bei der Maximalvariante kann es sich sowohl um stark-invasive und damit hochinvestive Maßnahmen, wie z.B. vollumfängliche Dämmung der Fassaden mithilfe geeigneter Wärmedämmverbundsysteme, Bau von Photovoltaikanlagen oder den Bau von Wärmepumpen und damit den Wechsel des Energieträgers handeln, als auch um mittel- bis leicht-invasive Maßnahmen. In der Maximal-Variante werden alle technisch möglichen Maßnahmen mit dem Ziel kombiniert, die maximal optimierten Werte hinsichtlich Stranding Point (möglichst weit in der Zukunft), Energiebedarf und CO2-Ausstoß (minimal), EPC-Rating (möglichst hoch), zu erreichen.

Die Medium-Variante verbindet diese Überlegungen noch mit einer optimalen Ausnutzung der Wirtschaftlichkeit, hinsichtlich Amortisation, bezogen auf Betriebskosten, Mietsteigerungs- bzw. Neuvermietungs-Potential und nicht zuletzt, aktuell verfügbarer Fördermaßnahmen zur Unterstützung bestimmter Technologien.

Im Rahmen der Module 2 und 3 werden die einzelnen Maßnahmen detailliert beplant, die energetischen und baulichen Konzepte miteinander verzahnt und die Umsetzung durch geeignete, auf nachhaltige Sanierungs-Projekte spezialisierte Bauunternehmen umgesetzt. Bei sehr einfachen Geometrien und idealerweise mehreren ähnlichen Objekten eignet sich auch die Umsetzung, als sogenannte serielle Sanierung, bei der auf Basis eines digitalen Zwillings die Module für Fassaden- oder Dachdämmung abseits des Objekts industriell, meist aus Holz, vorgefertigt und mit Gebäudetechnik ausgestattet, binnen weniger Tage montiert werden.

Im Bereich der Gebäudetechnik können neben dem Anschluss an ein Fernwärmenetz auch Lösungen mit modernen und hocheffizienten Wärmepumpen umgesetzt werden. Bei einzelnen Häusern sind dies meist Luft-Wasser-Wärmepumpen. Bei mehreren Gebäuden und ausreichend vorhandenen Freiräumen können auch Anlagen installiert werden, die Erdwärme (Geothermie) oder Grundwasser als frei verfügbare Wärmequelle nutzen. Hier sind Konzepte bis zur Errichtung eines Niedertemperatur-Nahwärmenetzes als Quartierslösung möglich.

Ergänzend zur Projekt-Umsetzung ist laufende Optimierung unabdingbar

Mit Modul 4 entscheidet sich, ob die Maßnahmenumsetzung tatsächlich, im wörtlichen Sinne nachhaltig ist und zur Nachhaltigkeit der Objekte und damit des gesamten Portfolios beitragen. Unterstützt durch professionelles technisches Management und laufende Überwachung der Anlagen erfolgt mit Hilfe moderner Regelungs- und Steuerungstechnik die optimal an Bedarf und Witterung angepasste Beheizung der Gebäude. Kritisch ist im Wohnumfeld immer das sehr unterschiedliche Nutzerverhalten je Wohneinheit, was eine zentrale energetische optimale Energieversorgung erschwert. Das ist aber umso weniger relevant, umso komfortabler der Wohnraum, z.B. mit Hilfe Bauteilaktivierung (Boden-/Wandheizung) und Zwangslüftung mit integrierten Fensterfalzlüftern, gestaltet ist.

Im Rahmen der oben beschriebenen Maßnahmen werden häufig innovative, CO2-arme Wärmetechnik und dezentrale CO2-neutrale elektrische Energieversorgung, z.B. mit Photovoltaik-Dächern oder Fassaden umgesetzt. Hierbei gilt es, in Abhängigkeit von den rechtlichen Rahmenbedingungen, die Energieträger intelligent zu verzahnen und neben Einspeisung elektrischer Energie, auch die Speicherung entweder der elektrischen Energie oder die Umsetzung in Wärme zu ermöglichen.

Fazit

Insbesondere für Bestandshalter mit großen Wohnungs-Beständen, ist es essenziell die technisch-wirtschaftlich optimale Lösung für jedes einzelne Objekt und über das ganze Portfolio zu kennen. Nur so ist es möglich in vertretbarem Zeitraum den relevanten Immobilienbestand in eine nachhaltige Zukunft zu transferieren. Derzeit werden weniger als 1% des Bestandes jährlich energetisch saniert. Um den aktuellen politischen Forderungen und der daraus abgeleiteten Regulatorik zu genügen, müsste dieser Wert auf 3% steigen – nur zwei Prozentpunkte, aber eben eine Steigerung um 200%. Neben der Maßnahmen-Umsetzung ist die anschließende laufende Optimierung mit professionellen Dienstleistern unabdingbar für den nachhaltigen Erfolg.

Anbieter

ADOMO Green Solutions GmbH turngreen.adomo.at ecoworks ecoworks.tech

Blue Auditor blueauditor.com/de/

OPTIM USE www.optimuse.com

PREDIUM www.predium.de/unternehmen

SEMReal www.sem-gmbh.at

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 04/2024 JUL/AUG