Beitrag von Klaus Engelbertz Mitglied im Fachbereich „Energieübertragung und Verteilung elektrischer Energie“ der Energietechnischen Gesellschaft (ETG) im VDE
Im Rahmen aktueller Entwicklungen gibt es mit Blick auf die Netzinfrastruktur für Strom, Gas, Telekommunikation, Wasser und Wärme in Deutschland den Trend zu zunehmend komplexer werdenden Systemen. Hierbei kommt dem Stromnetz eine besondere Bedeutung zu, da dieses Netz Voraussetzung zum Betrieb der Netze der übrigen Sparten ist.
Die nachfolgende Betrachtung bezieht sich daher im Schwerpunkt insbesondere bei den Beispielen auf die Stromnetzinfrastruktur, Aussagen und Schlussfolgerungen sind aber analog auf die übrigen Sparten anwendbar.
Die Struktur der Stromversorgungsnetze wird im Rahmen der Umsetzung der Energiewende wesentlich durch zwei Entwicklungen geprägt: Dezentralisierung und Digitalisierung. Im Kontext dieser Entwicklung nimmt die Telekommunikation eine besondere Rolle ein: Die Telekommunikation ist im Rahmen der Melde-, Steuerungs- und Fernwirktechnik und der Sprachübermittlung – insbesondere vor dem Hintergrund des Aufbaus intelligenter, dezentraler Netze – integraler Bestandteil des Energieversorgungssystems, stellt aber auch gleichzeitig als Nutzer der Strominfrastruktur eine eigenständige Anwendung dar.
Umsetzungsmaßnahmen zukünftiger Netzinfrastrukturen bestimmen bei zunehmender Komplexität des Systems Wirtschaftlichkeit, Bezahlbarkeit und Zuverlässigkeit in besonderem Maße.
Im Rahmen langfristiger Lösungen bezogen auf den Zielkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und Netzzuverlässigkeit taucht bei der Charakterisierung der Netzinfrastruktur zunehmend der Begriff „Resilienz“ auf.
Der Begriff der Resilienz hat seinen Ursprung in der Materialwirtschaft. Er beschreibt die Fähigkeit eines Körpers, sich unter Druck zu verformen und anschließend wieder in die Ursprungsform zurückzukehren. Der Begriff der Resilienz wird heute in unterschiedlichen Bereichen verwendet: in der Psychologie, der Wirtschaft, der Ökologie, den Ingenieurwissenschaften, aber auch zunehmend in der Energiewirtschaft. Resilienz kann allgemein als die Fähigkeit eines Systems bezeichnet werden, Veränderungen zeitgerecht und wirkungsvoll zu bewältigen, mit ihnen umzugehen, sich anzupassen und sich nach möglichen Störungen von diesen schnell wieder zu erholen. Bezogen auf die Netzinfrastruktur bedeutet Resilienz somit: Bewahren und/oder Wiederherstellung der Grundstrukturen und Funktionen des Netzes.
Resilienz eines Netzes besteht gemäß einer von den Verbänden DVGW und VDE vorgeschlagenen Definition aus folgenden drei Komponenten:
Robustheit und Anpassungsfähigkeit können in Unternehmen im Wesentlichen durch die Kernprozesse „Planung und Bau“, die Erholungsfähigkeit durch den Kernprozess „Betrieb“ gestaltet werden.
Äußere und innere Einflüsse bestimmen die Resilienz eines Systems. Um hierauf adäquat reagieren zu können, ist zunächst deren Kenntnis und eine entsprechende Risikoabschätzung notwendig. Äußere Einflüsse sind z. B. Wetterbedingungen, Einflussnahme / Beschädigungen durch Dritte, Lieferengpässe bei Materialien und Ersatzteilen, Verfügbarkeit externer Dienstleister. Innere Einflüsse resultieren wesentlich aus Entscheidungen und Handeln der einzelnen Unternehmen in Vergangenheit und Gegenwart. Neben der gewachsenen Netzinfrastruktur stellt hier das Personal mit seiner Qualifikation eine entscheidende Einflussgröße dar.
Abb. 1 zeigt die Einflussfaktoren in einem weiteren Detaillierungsgrad mit ihrer Zuordnung zur Robustheit, Anpassungsfähigkeit und Erholungsfähigkeit am Beispiel für Strom- und Gasnetze.
Um die Resilienz von Netzinfrastrukturen zu gestalten, sind folgende fünf Schritte notwendig, die in Abb. 2 als Übersicht dargestellt sind:
Aufgabe einer zukünftigen Resilienzstrategie wird es sein, Wirtschaftlichkeit und Bezahlbarkeit der Netzinfrastrukturen sowie deren Zuverlässigkeit im Rahmen eines langfristigen Betrachtungshorizontes nachhaltig zu optimieren. Bereits heute sind mit Blick auf die aktuellen und auch zukünftigen Anforderungen an die Netze Maßnahmen umgesetzt bzw. befinden sich in der Umsetzung. So wurden beispielsweise die Planungsgrundsätze für Strom- und Gasnetze auch unter Berücksichtigung einer fortschreitende Sektorenkopplung angepasst, Netzerweiterungen und -erneuerungen werden hierauf aufbauend konkret geplant und dann entsprechend realisiert. Die Dynamik des Ausbaus wird aber weiter zunehmen müssen, damit die Umsetzung der ehrgeizigen Zeitpläne der Energiewende – aufbauend auf einer resilienten Netzinfrastruktur – gelingen kann.
Als eine der notwendigen Voraussetzungen sind Methoden und Werkzeuge zeitnah weiterzuentwickeln, die bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Änderung der Resilienz klarere Aussagen zu deren technischen Wirksamkeit sowie monetären Auswirkungen liefern. Aktuelle Forschungsinitiativen von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und auch von Verbänden zum Monitoring der Resilienz sowie zur Simulation von Szenarien auch mit stärkerer Berücksichtigung von Sektorenkopplung und zellularen Ansätzen im Rahmen einer Gesamtsystembetrachtung gehen hier in die richtige Richtung und sind erfolgsversprechend.
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 SEP/OKT