Resiliente Strom- und Kommunikationsnetze

Warum wir branchenübergreifende Zusammenarbeit benötigen

Beitrag von Sigurd Schuster Nokia Deutschland, Senior Representative Ecosystem Relations VDE ITG, Advisor to the Board of VDE ITG

Die Älteren unter uns werden sich noch daran erinnern: ein schweres Gewitter, der Strom fiel aus. Irgendwo hatte ein Blitz in eine Leitung eingeschlagen. Aber das Telefon – noch mit Wählscheibe oder auch mit Tasten - funktionierte weiterhin. Technisch bedingt verfügten die Vermittlungsstellen über große Batteriesysteme, die bei Stromausfällen für viele Stunden den Weiterbetrieb der Telefone sicherstellten. Heute sind Stromausfälle durch Gewitter selten geworden, und wenn, dann dauern sie meist auch nur kurz. Ob das Telefon oder unsere Breitbandverbindung – auch per Smartphone – dann allerdings noch funktionieren, ist eine andere Frage. Der Internet-Router im heimischen Wohnzimmer wird in den meisten Fällen keine unterbrechungsfreie Stromversorgung haben, und das Smartphone wird oft „kein Netz“ auf dem Display zeigen. Denn angesichts verlässlicher Stromnetze verfügen die meisten Mobilfunkstationen und auch die Access-Knoten im Festnetz über keine eingebauten Pufferbatterien mehr. Sie würden im Wettbewerb nur die Kostenposition verschlechtern. Bei den Stromnetzen haben wir heute noch eine ausreichende Anzahl großer Kraftwerke im Netz, die mit den rotierenden Massen ihrer Generatoren und Turbinen das Netz stabil halten und – im Fall von Störungen und Abschaltungen in Teilen der Stromnetze – einen zuverlässigen Wiederanlauf sicherstellen. Mit dem Voranschreiten der Energiewende nimmt die Anzahl dieser Kraftwerke kontinuierlich ab, und „Erneuerbare“ mit ihrer naturgegebenen Volatilität kommen in großer Anzahl hinzu. Um sie „netzdienlich“ in die Stromnetze einbinden zu können, ist zuverlässige und in Teilen „schwarzfallfeste“ Kommunikation, auch über öffentliche Netze, zwingend erforderlich. Was aber, wenn – mangels Stromversorgung – die Kommunikationsnetze nicht funktionieren? Besteht die Gefahr, dass wir in einen Dead-Lock geraten, der einen Wiederanlauf der Stromversorgung schwierig und zumindest sehr zeitraubend machen würde?

Die 2020er Jahre sind insbesondere durch die Chancen aus der Digitalisierung und gleichzeitig durch die enormen Herausforderungen des Klimawandels geprägt. Die konsequente Umsetzung der Energiewende bringt uns dem Ziel eines CO2 -neutralen Energiesystems in Deutschland kontinuierlich näher. Dazu ist jedoch ein fundamentaler Umbruch notwendig: in der Erzeugung, der Verteilung und beim Verbrauch elektrischer Energie. Parallel dazu prägen Digitalisierung und Vernetzung die Wertschöpfung in der Wirtschaft sowie fast alle übrigen Lebensbereiche. Immer mehr Prozesse in der Wirtschaft und im gesellschaftlichen Leben setzen darauf auf, und sie werden in Zukunft eine noch zentralere Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes spielen.

Energiewende und Digitalisierung sind eng miteinander verknüpft: für beides sind zuverlässige und resiliente Telekommunikationsdienste zwingend erforderlich. Eine erfolgreiche Digitalisierung ist zudem ohne zuverlässige Versorgung mit elektrischer Energie schlicht nicht möglich. Um die Stromversorgungs- und Telekommunikationsinfrastrukturen krisenfest zu gestalten, sind neue Anstrengungen und Konzepte notwendig. Die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der jeweiligen Netze ist dringend zu berücksichtigen. Ansonsten werden alle Bemühungen, Deutschland technologisch zukunftsfest zu machen, scheitern.

Es wird komplizierter, bis der Strom aus der Steckdose kommt

Die dezentrale Stromerzeugung durch regenerative Energien erfordert eine wesentlich stärkere, agilere und feingliedrigere Steuerung. Hier ist der Blick auch auf eine Systemwiederherstellung bei großflächigen Stromausfällen (Schwarzfall) zu richten. Es ist ein Muss, dass wir schnellstmöglich über eine zuverlässige und flächendeckende Kommunikation in der Mittelspannungs- und Niederspannungsebene verfügen. Durch die rasch steigende Anzahl neuer und flexibler Verbraucher wie Elektrofahrzeuge, Wärmepumpen und Stromspeicher entwickeln sich klassische, passive Verbraucher zu aktiven Netznutzern. Die Folge ist, dass gegenüber der von Sonne und Wind abhängigen Erzeugung von erneuerbaren Energien auf der Verbrauchsseite eine potenziell hohe, verhaltens- und preisgetriebene Gleichzeitigkeit des Bedarfs entsteht. Diese Gleichzeitigkeit kann insbesondere auf der Niederspannungsebene zu neuen lastbedingten Engpässen und im schlimmsten Fall zu einem Totalausfall im elektrischen Verteilnetz führen. Wenn der notwendige Ausbau des Stromnetzes aus finanziellen Gründen auf ein wirtschaftlich sinnvolles Maß begrenzt werden soll, ist es unerlässlich, zuverlässige Steuerungs- und Überwachungsmethoden für die Netze aufzubauen und die Energieflüsse digital zu koordinieren. Hierzu führt kein Weg an der Digitalisierung der Netze, basierend auf moderner und resilienter Telekommunikation, vorbei. Nur so kann ein ausfallsicherer und robuster Netz- und Gesamtsystembetrieb gewährleistet werden. Die Bedeutung eines schwarzfallfesten Telekommunikations-Netzes für die Energieversorgung wurde erkannt, und die Voraussetzungen dafür wurden insbesondere auch durch die Zuweisung der 450 MHz-Frequenz an die Energiewirtschaft gestärkt.

Das Nervensystem der Technik muss auch mal ohne Strom auskommen

Die Telekommunikationsnetze in Deutschland haben ihre letzte Bewährungsprobe im Rahmen der CoronaPandemie erlebt. Sie zeigen eine hohe Robustheit und Flexibilität in Bezug auf kurzfristige Änderungen in Nutzungsverhalten und -intensität (verstärkte Nutzung von Home Office, Home Schooling, massive Steigerung der Nutzung von Video-Streaming). Die rasant zunehmende Digitalisierung in nahezu allen Lebensbereichen und Wirtschaftszweigen wird jedoch ganz neue Anforderungen an die Ausfallsicherheit von Telekommunikationsnetzen stellen, die nicht nur Störungen der Energieversorgung abdecken, sondern neben technisch bedingten Ausfällen auch Störungen durch Naturkatastrophen und durch gezielte Handlungen wie z. B. Cyberangriffe einschließen. Diese Herausforderungen gilt es anzunehmen und in zukunftssichere Konzepte zu überführen. Der vermehrte Einsatz von Cloudbasierten Lösungen sowie von Glasfaser im Access-Bereich wird die Resilienz der Netze bei Störungen in der Energieversorgung verbessern, allerdings müssen für kritsiche Anwendungen dann auch auf der Endgeräteseite entsprechende Pufferbatterien vorgehalten werden.

Störungen, Katastrophen, und Lösungsansätze

Die Flutkatastrophe in Westdeutschland vom Juli 2021 hat uns die zentrale Bedeutung einer gut entwickelten und gegen disruptive Ereignisse gewappneten Infrastruktur vor Augen geführt. Der regionale Totalausfall von Energieversorgung und Telekommunikation hat gezeigt, dass große Teile der betroffenen Bevölkerung und Wirtschaftsunternehmen für längere Zeiträume von elementaren Diensten abgeschnitten waren. Und welche Folgen menschlich herbeigeführte großflächige Schäden haben können, das sieht man leider aktuell in der Ukraine.

Die bewährte Praxis, Resilience und Recovery [1] jeweils isoliert innerhalb der Energie- bzw. Telekommunikationsnetzinfrastrukturen sicherzustellen, muss wegen der zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit um sektorübergreifende koordinierte Maßnahmen erweitert werden. Dabei geht es um drei Szenarien:

  • Normalbetrieb: zuverlässiger Betrieb von Strom- und Telekommunikationsnetzen bei erheblich weiter fortgeschrittenem Ausbau der „Erneuerbaren“.
  • Technische und betriebliche Störungen: Vermeiden von Fehlerfortpflanzung und in der Folge großflächigen Netzausfällen durch z. B. technische Störungen, Schäden durch Bauarbeiten, menschliche Fehler beim Betriebspersonal, begrenzte Fremdeinwirkung wie lokal begrenzte Cyberattacken oder Vandalismus, etc. Hierbei spielt insbesondere auch die Systemwiederherstellung bei großflächigen Stromausfällen (Schwarzfall) eine entscheidende Rolle.
  • Katastrophenfälle: Prävention von und Reaktion auf Fälle großer Schäden, die bei Eintreten die Versorgung mit Strom und Telekommunikation massiv und langanhaltend unterbrechen, wie z. B. die Zerstörung aktiver und passiver Infrastruktur wie 2021 im Ahrtal, massive Cyberangriffe oder Sabotage.

 

Aus den geschilderten Herausforderungen leiten sich die folgenden Handlungsfelder ab:

  • Gemeinsames Vorgehen der Beteiligten aus der Energie- und der Kommunikationsbranche, bei dem „Ende-zuEnde“ gedacht wird, mögliche Fehler durchgespielt und technische, prozessurale und auch regulatorische Ansätze erarbeitet werden, mit denen Fehler nach Möglichkeit vermieden und notfalls Gegenmaßnahmen sichergestellt werden. Hierbei sind weitere Stakeholder, z. B. aus dem Bereich des Katastrophenschutzes, einzubinden.
  • Gezielte Forschungsvorhaben im Bereich der Telekommunikations- und Energieversorgungsnetze zum Thema Resilience und Recovery unter Berücksichtigung der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeiten.
  • Ein im Austausch mit den Fachexpertinnen und -experten klug gesetzter regulatorischer Rahmen, auf dem die entsprechende Weiterentwicklung von Normen, der Netztechnik und den Betriebskonzepten aufbauen kann.
  • Einrichten einer angemessenen Kommunikation, die von der Information aller Stakeholder und der Öffentlichkeit über den Aufbau geeigneter branchenübergreifender Kanäle für den Fehlerfall bis hin zum regelmäßigen Üben der notwendigen Prozesse durch alle beteiligten Stellen und ihre Menschen reicht.

Zusammengenommen: wir müssen Resilienz als Prozess und nicht als Zustand sehen. In diesem Verständnis erarbeitet eine branchenübergreifende VDE-Arbeitsgruppe aus Experten der Fachgesellschaften ETG und ITG [2] derzeit Empfehlungen für Maßnahmen, damit unsere Strom- und Kommunikationsnetze auch mit dem Fortschreiten der Energiewende verlässliche Infrastrukturen bleiben.

Anmerkungen

[1] Unter Resilience wird die Fähigkeit von Infrastrukturen verstanden, angesichts eines breiten Spektrums von Fehlerfällen oder Bedrohungen im Betrieb ein akzeptables Serviceniveau sicherzustellen. Die Recovery beschreibt die Maßnahmen, um im Fehlerfall das ursprüngliche Serviceniveau wiederherzustellen.

[2] ETG ist die Energietechnische Gesellschaft, ITG die Informationstechnische Gesellschaft im VDE.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022  SEP/OKT