„Künstliche Fotosynthese“: Grüner Wasserstoff ganz ohne Strom

Beitrag von Dipl.-Ing. (FH) Bettina Falk

Die 2020er sind das Jahrzehnt des Wasserstoffs – das verkündete das schottische Energieberatungsunternehmen Wood Mackenzie im August 2020 [1]. Wieder eine Stimme mehr, die Wasserstoff als Energieträger der Zukunft erkennt – einer klimafreundlichen Zukunft! Denn bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht lediglich sauberes Wasser.

Um „grünen Wasserstoff“ zu gewinnen, muss Wasser in seine chemischen Bestandteile aufgespalten werden. Dazu wurde bislang das Verfahren der strombetriebenen Elektrolyse (P2G) genutzt. Doch es geht noch besser: Die fotokatalytische Wasserspaltung oder „Künstliche Fotosynthese“. Denn bei diesem Verfahren fällt die Stromerzeugung weg. Es kommt lediglich die eingestrahlte Sonnenenergie zum Einsatz. Und das ist auch der große Vorteil der „Künstlichen Fotosynthese“. Aber wie genau funktioniert das?

Die natürliche Fotosynthese von Pflanzen

Pflanzen haben die Fotosynthese vor 2,5 Milliarden Jahre erfunden. Sie nutzen die Sonneneinstrahlung, um aus dem CO2 - Gehalt der Luft sowie Wasser Kohlenwasserstoffverbindungen herzustellen: Zucker, Stärke, Proteine und Fette. Damit speichert die Pflanze Sonnenenergie in Form von chemischen Verbindungen. Was bei der natürlichen Fotosynthese außerdem zum Einsatz kommt ist der Farbstoff Chlorophyll, den wir hier als „Lichtantenne“ bezeichnen wollen. Denn die absorbierten Photonen des Lichts bringen Elektronen des Chlorophylls in einen höheren Energiezustand. Diese Elektronen sind in der Lage, Wasser zu spalten in Wasserstoff und Sauerstoff.

Der gesamte Vorgang der Fotosynthese kommt zwar nur auf einen Wirkungsgrad von etwa 1 %. Doch bereits 1912 vertrat der italienische Chemiker Giacomo Ciamician in einem Aufsatz des Fachmagazins Science die Meinung, dass der Mensch diesen Vorgang in einem technischen Verfahren mit besserem Wirkungsgrad nachbauen kann. [2] Einhundert Jahre später sind wir tatsächlich dazu in der Lage.

Realisierung fotokatalytischer H2-Gewinnung mit Lichtantennen als Anode und Kathode

Bei der Künstlichen Fotosynthese werden „Lichtantennen“ mittels Nanotechnologie hergestellt. Dazu verwendet man lichtaktive Nanomaterialien, das sind Halbleiterverbindungen wie Indiumphosphid (InP), Galliumarsenid (GaAs) und andere. Sie werden auf ein Trägermaterial, eine Art Schablone (Wafer), mit Hilfe beispielsweise der Gasphasenepitaxie aufgebracht. Der Wafer ist mit fotolithografischen Methoden (Laser) feinst geätzt. So ordnen sich die Moleküle (2-3 Atomlagen) in dreidimensionalen Strukturen an. Dieses selbstorganisierende Verfahren wird als „Epitaxie“ bezeichnet – wie das selbstorganisierende Kristallwachstum von Mineralien in der Natur. Die jetzt gebildeten Strukturen, die „Quantenpunkte“, bilden als Kathode und Anode die aktiven Lichtantennen. Ein anorganischer Katalysator erniedrigt die „Hemmschwelle“ für die Lichtreaktion. Er wird auf die Halbleiteratome aufgetragen.

Bei Bestrahlung mit Licht werden aus den Halbleiteratomen Elektronen freigesetzt. Bei einer Spannung von über 1,5 Volt – je nach verwendetem Halbleitermaterial – findet nun die fotokatalytische Wasserspaltung statt:

  • An der Kathode (negativer Pol, p-Halbleiter) wird Wasser zu Wasserstoffgas H2 reduziert: 2 H2O + 2e- =>H2 + 2 OH-
  • An der Anode (positiver Pol, n-Halbleiter) wird Wasser zu Sauerstoffgas oxidiert: 4 OH- => O2 + 2 H2O + 4 e-

H2 (Kathode) und O2 (Anode) werden durch eine elektronendurchlässige Membran getrennt.

Erfolgreiche Forschungen seit 2011 bekannt

An der Realisierung einer Künstlichen Fotosynthese haben bereits zahlreiche Wissenschaftler gearbeitet. Aufsehen in der Fachwelt erreichte 2011 Daniel Nocera vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit seinem „Artificial Leaf“, einer handelsüblichen Solarzelle mit Katalysatoren aus Kobalt und Nickel, Wirkungsgrad fast 5 %. [3] 2020 haben Forscher an der TU Ilmenau und dem Fraunhofer ISE mit einer speziellen Tandem-Solarzelle einen Wirkungsgrad von 25,9 % erreicht. [4] Doch das sind bisher nur Laborwerte, die zu Laborbedingungen erhoben werden konnten. Denn für eine technische Nutzung der Fotokatalyse gelten anspruchsvolle Anforderungen:

  • Preiswerte, auch in Zukunft leicht verfügbare und ungiftige Rohstoffe für die Herstellung von Quantenpunkten
  • Stabilität von Anode, Kathode und Katalysator, vor allem gegen O2 und H2
  • Möglichkeit der Verwendung von verschmutztem oder salzhaltigem Wasser.

US-amerikanische Firmen haben das Potenzial bereits erkannt

Doch in den USA gibt es bereits Firmen, die das Potenzial der Künstlichen Fotosynthese erkannt haben und mit einer Umsetzung erste Versuche wagen: Die Firma SunHydrogen ist mit einem ZweiStufenplan (GEN 1 und GEN 2) auf dem Weg zur industriellen Nutzung der fotokatalytischen Wasserspaltung: GEN 1 arbeitet mit herkömmlichen, speziell beschichteten Solarzellen. Im Februar 2021 wurde von der Firma Suzhou GH NewEnergy Tech Co. eine Pilotanlage aus hundert solaren Wasserstoffzellen in Betrieb genommen. Die Haltbarkeit wurde schon 2019 mit 1000 Stunden Laufzeit bewiesen. Für GEN 2 werden hauchdünne Träger mit lichtaktiven Nanomaterialien beschichtet. Sie haben einen dreifach höheren Wirkungsgrad gegenüber GEN 1. Diese Methode wurde gemeinsam mit der Universität von Iowa entwickelt und patentiert. Aktuell wird sie für die industrielle Umsetzung vorbereitet. Dazu gibt es eine Kooperation mit InRedox (USA, Longmont, Colorado) für die Beschichtung der Nanomaterialien und mit der SchmidGroup (Deutschland, Freudenstadt) für die Entwicklung der Anlagentechnik für eine industrielle Anwendung. [5, 6]

Damit findet möglicherweise noch in 2021 eine echte Zäsur in der Wissenschaftsgeschichte statt. Gelingt es, das oben beschriebene Verfahren in großem Maßstab umzusetzen, ist damit der Einstieg in ein gänzlich neues Zeitalter der Energiegewinnung gelungen: Das Zeitalter der Künstlichen Fotosynthese.

Quellen

[1] Green hydrogen costs to fall by up to 64 % by 2040 | Wood Mackenzie

[2] science.sciencemag.org/content/36/926/385

[3] news.mit.edu/2011/ar tificialleaf-0930

[4] www.ise.fraunhofer.de/de/presseund-medien/presseinformationen/2020/ hoehere-wirkungsgrade-im-tandem-neuersolarzellenrekord.html

[5] sunhydrogen.com

[6] www.youtube.com/watch?v=oydyQN0Mp8M

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2021 November/Dezember