Offshore Wasserstoffproduktion

Rückenwind für die Energiewende

Beitrag von Felix Knicker, Projektingenieur Tractebel Engineering GmbH

Das Erreichen der in der Konferenz von Paris (COP21) vereinbarten Klimaschutzziele stellt das Energiesystem in Deutschland und Europa vor gewaltige Herausforderungen und erfordert eine grundlegende Transformation der Bereitstellung und Nutzung von Energie. In zahlreichen Studien wird festgestellt, dass Wasserstoff den zentralen Energieträger für den Umbau des Energiesystems bildet. Die vielseitigen Eigenschaften von Wasserstoff als Energieträger, Speichermedium oder chemischer Grundstoff ermöglichen den sektorenübergreifenden Einsatz in Industrie, Mobilität, Wärme- und Energieversorgung. Der zukünftige Bedarf an grünem Wasserstoff ist immens und wird bis zum Jahr 2050 auf zwischen 155 und 908 TWh prognostiziert. [1] Um die erforderlichen Strommengen zur Produktion des grünen Wasserstoffs per Elektrolyse bereitzustellen, ist ein ambitionierter Ausbau der Erzeugungskapazitäten der Erneuerbaren Energien (EE) notwendig.

In Europa stellt die Offshore-Windenergie eine wichtige Energiequelle zur Produktion von grünem Wasserstoff dar. Die Offshore-Windenergie liefert langfristig günstigen erneuerbaren Strom und bietet ein hohes Ausbaupotenzial insbesondere im Nordseeraum. So wird das Ausbaupotenzial in den Anrainerstaaten bis zum Jahr 2030 auf ca. 635 GW installierte Leistung geschätzt. [2] Zudem erreicht die Stromerzeugung aus Offshore-Windkraftanlagen hohe jährliche Volllaststunden, welche für den wirtschaftlichen Betrieb von Elektrolyseanlagen erforderlich sind. Die Offshore-Windenergie liefert somit die richtigen Ausgangsbedingungen zur zukünftig benötigten Wasserstoffproduktion im industriellen GW-Maßstab. Dennoch sind die Ausbauziele der Offshore-Windenergie in Deutschland begrenzt, auf max. 20 GW bis zum Jahr 2030. Begründet vor allem durch die begrenzten Leitungskapazitäten im Hochspannungsnetz, welches bereits heute einen Engpass darstellt. So muss zur Sicherung der Netzstabilität die Stromeinspeisung von EE-Anlagen in großem Umfang abgeregelt werden. Im Jahr 2019 betrug die Ausfallarbeit laut Bundesnetzagentur insgesamt 6,5 TWh, davon 1,2 TWh aus Offshore-Windenergie. [3]

Grundsätzlich kann die Abregelung der Windkraftanlagen jedoch vermieden werden, indem Elektrolyseanlagen als flexible Verbraucher genutzt werden. In Kombination mit dem hohen Ausbaupotenzial der Offshore-Windenergie zur Wasserstoffproduktion ist somit der Anreiz gegeben, Elektrolyseanlagen zukünftig auch Offshore zu planen und in die Netzanbindung zu integrieren.

 

Netzanbindung von Offshore-Windparks heute und morgen

Nach derzeitigem Stand der Technik werden Offshore-Windparks (OWP) über Gleich- oder Wechselstromübertragungssysteme an das Hochspannungsnetz am Festland angebunden. Für die deutsche Nordsee stellt die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung den Standard dar. Die Auslegung der Netzanbindung erfolgt dabei auf Grundlage der Spitzenlast, was zu einer ineffizienten Auslastung der Infrastruktur führt. Dabei stellt die Netzanbindung einen erheblichen Anteil der Kosten der Offshore-Windenergie dar. Eine Analyse installierter OWPs zeigt, dass die Kosten der Netzanbindung – ausgedrückt in Stromgestehungskosten – zwischen 16 und 35 €/MWh betragen. [4]

Mit Blick in die Zukunft kommt der effizienten Gestaltung der Netzanbindung eine zunehmend wichtige Rolle bei der Entwicklung der Offshore-Windenergie zu: so sieht der Flächenentwicklungsplan für die Nordsee zukünftig die Entwicklung von OWPs in den küstenfernen Zonen 2 und 3 vor, mit Gesamt-Kabellängen von bis zu 300 km. [5, 6]

Im Vergleich zur Stromübertragung stellt die Energieübertragung in Form von Wasserstoff eine kosteneffiziente Alternative dar. Eine Pipeline kann ein Vielfaches an Energie übertragen, zu geringeren Kosten. Bei Nutzung der Offshore-Windenergie zur Wasserstoffproduktion ist es daher wirtschaftlich sinnvoll, die Elektrolyse direkt Offshore in räumlicher Nähe der OWP zu betreiben, anstatt den Strom zunächst über eine Kabelverbindung an Land zu übertragen. Aufgrund der vermiedenen Investitionskosten in die Netzanbindung zeigt sich, dass die OffshoreWasserstoffproduktion effektive Kostenvorteile bietet, je größer die Entfernung zur Küste ist. Bereits ab Kabellängen von deutlich unter 100 km führt die OffshoreWasserstoffproduktion zu geringeren Gestehungskosten als Onshore. Unsere Studien zeigen, dass der Kostenvorteil bei 20 % und mehr liegt, wenn die gesamte Infrastruktur mitgerechnet wird.

Technologie Offshore-Wasserstoffproduktionsplattform

Die Wasserstoffproduktion Offshore erfordert die Planung einer eigenständigen Plattform, in vergleichbarer Größenordnung bestehender Konverter-Plattformen. Die Auslegung der Elektrolyseanlage orientiert sich an der Anschlussleistung der Offshore-Windparks – für Deutschland stellt 400 MW eine übliche Größe dar. Durch diese Größenordnung der Elektrolyseanlage wird die benötigte industrielle Produktionskapazität erreicht, Skaleneffekte bei Anlagentechnik und Plattformstruktur führen zu wettbewerbsfähigen Gestehungskosten.

Die Anlagentechnik auf der OffshorePlattform umfasst neben der modular aufgebauten Elektrolyseanlage verschiedene Nebensysteme u.a. zur Meerwasserentsalzung, Kühlwasserversorgung, Gasaufbereitung, Gasverdichtung sowie elektrische Anlagentechnik. Für den Wasserstofftransport von der Offshore-Plattform bis zum Verbraucher an Land eignen sich Stahl-Rohrleitungen.

Die Technologie zur Umsetzung großtechnischer Wasserstoff-Produktionsplattformen existiert. Die erforderlichen Anlagenkomponenten sind am Markt verfügbar, wenngleich grundsätzliche Herausforderungen für großtechnische Elektrolyseprojekte in den (noch) begrenzten Fertigungskapazitäten liegen. Technisch lässt sich das von Tractebel entwickelte Konzept aufgrund des modularen Aufbaus zwischen 100 und 1.000 MW Leistung skalieren.

Die Produktionsleistung ist abhängig vom projektspezifischen Standort und dem Windenergieertrag. Beispielsweise könnten mit einer 400 MW OffshoreWasserstoffproduktionsplattform mehr als 28 Mio. kg Wasserstoff jährlich produziert werden. Diese Menge ist rechnerisch ausreichend, um z. B. 290.000 Brennstoffzellen-PKW oder 6.000 Brennstoffzellen-Busse ein Jahr lang mit klimafreundlichem Kraftstoff zu versorgen. In Kombination mit einer großtechnischen Speicheranlage könnten auch industrielle Verbraucher konstant mit grünem Wasserstoff versorgt werden.

Weitere Konzepte der Offshore-Wasserstoffproduktion

Neben dem beschriebenen Konzept zur Offshore-Wasserstoffproduktion auf einer zentralen Plattform existieren weitere Konzepte.

So wird ebenfalls die dezentrale Wasserstoffproduktion direkt an den Windkraftanlagen untersucht. Planungen umfassen Elektrolyseanlagen im niedrigen zweistelligen MW Maßstab, die z. B. im Turbinenturm oder im Fall von Floating Offshore Windkraftanlagen auf Deck installiert werden sollen. Im Gegensatz zu einer zentralen Installation auf einer einzelnen Plattform, sind jedoch höhere Investitions- und Betriebskosten für die Wasserstoffproduktion zu erwarten.

Darüber hinaus wird auch die Umrüstung bestehender Öl- und Gasförderplattformen zur Produktion von Wasserstoff untersucht. Eine Umrüstung verspricht wirtschaftliche Vorteile durch die Weiternutzung vorhandener Plattform- und Pipelineinfrastruktur sowie die Verringerung von Rückbaukosten. Die Machbarkeit ist jedoch im Einzelfall zu prüfen.

Resumée

Die Kombination von Offshore-Windenergie und Wasserstoffproduktion mittels Elektrolyse stellt eine aussichtsreiche Option für die nächste Phase der Energiewende dar. Durch die erzeugernahe Produktion in der Nähe des OffshoreWindparks kann grüner Wasserstoff kosteneffizient und im industriellen Maßstab produziert werden – mit Vorteilen für die gesamte Netzanbindung. Gegenüber anderen Konzepten bietet der Ansatz einer zentralen Offshore-Wasserstoff Produktionsplattform zudem wirtschaftliche und technische Vorteile.

Das Potenzial für die Offshore-Wasserstoffproduktion ist vielversprechend: insbesondere dort, wo ein starker Ausbau der Offshore-Windenergie [1], begrenzte Kapazitäten des Stromübertragungsnetzes [2] sowie eine industrielle Nachfrage nach grünem Wasserstoff [3] zusammentreffen, bietet das Konzept effektive Vorteile gegenüber der Onshore-Wasserstoffproduktion und kann dazu beitragen, Offshore-Windenergie sinnvoll in das Energiesystem zu integrieren.

Somit bieten sich zukünftig viele Anwendungsmöglichkeiten für die OffshoreWasserstoffproduktion – nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.

 

Quellen

[1] ewi Energy Research & Scenarios gGmbH. dena-Leitstudie Integrierte Energiewende – Teil B. Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena). 2018

[2] BVG Associates. Unleashing Europe‘s offshore wind potential – A new resource assessment. WindEurope. 2017

[3] Bundesnetzagentur für Elektrizität, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen; Bundeskartellamt. Monitoringbericht 2020. 2021

[4] DIW Econ GmbH. Marktdesign für eine effiziente Netzanbindung von Offshore-Windenergie. 2019

[5] 50Hertz Transmission GmbH, Amprion GmbH, TenneT TSO GmbH, TransnetBW GmbH. Netzentwicklungsplan Strom 2030 – Version 2019 – Zweiter Entwurf. 2019

[6] Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Flächenentwicklungsplan 2020 für die deutsche Nord- und Ostsee. 2020

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2021 November/Dezember