Wasserstoff wird ein Ermöglicher der elektrischen Energiewirtschaft

Interview mit Prof. Dr. Thomas Hamacher vom Lehrstuhl für Erneuerbare und Nachhaltige Energiesysteme, TU München.

Seit 2020 existieren milliardenschwere Investitionsprogramme wie die „Technologieoffensive Wasserstoff“ des BMWi und die „Bayerische Wasserstoffstrategie“.

Technik in Bayern: Herr Prof. Hamacher: Wie erklären Sie sich diesen enormen Hype um den Wasserstoff?

Thomas Hamacher: Die Politik braucht immer positive Botschaften und den Wasserstoff kann sie momentan positiv besetzen. Natürlich gibt es viele gute Ansätze und wahrscheinlich greift man die Ideen auch schneller auf, als vor Jahren bei der Elektromobilität, bei der man mittlerweile gut Schritt fasst. Die Politik tut sich mit dem Ausbau der Stromleitungen und der Windenergieanlagen sehr schwer und war damit nicht sehr erfolgreich. Jetzt ist der Wasserstoff, der aus Chile, Marokko und Australien kommt, die Lösung. Dieses Springen auf das Thema Wasserstoff und der Wunsch, Wasserstoff sei der Problemlöser, ist sehr interessant.

Ein Aspekt, den man auch beachten muss ist, dass die Politik und die Öffentlichkeit von der Fridays for Future-Bewegung überrascht wurden. Das hat die Nachhaltigkeit schlagartig zu einem ganz großen Thema gemacht, auf das man von politischer Seite reagieren musste. Man hat das Gefühl, als beginne die Klimadiskussion erst jetzt, als wäre man jetzt zum ersten Mal auf dieses Klimaproblem so richtig gestoßen. Das ist natürlich nicht wahr, denn ein Teil der heutigen Überlegungen wurde schon Ende der 1980er Jahre angestellt, wie z. B. eine Energiebesteuerung. Natürlich hat es weltweit nicht so durchgeschlagen und das Problem ist in den Jahren nach der Jahrtausendwende durch das enorme Wachstum in China nochmal dramatisch gestiegen. Hier ist ein Riesen-Emittent dazu gekommen, der vorher nicht da war.

TiB: Ist Wasserstoff der Problemlöser?

Hamacher: Das muss man sehr genau beleuchten und realistisch bleiben. Wir müssen zuerst ganz andere Hausaufgaben machen: Wir müssen beispielsweise Hochspannungsleitungen bauen und Smart Grids entwickeln. Um diese Aufgaben kommen wir nicht herum, aber wir müssen auch am Wasserstoff arbeiten. Wenn wir das in die richtige Gewichtung bringen, dann haben wir eine gute Energiepolitik.

TiB: Welches zentrale Problem sehen Sie beim Wasserstoff?

Hamacher: Das zentrale Problem sehe ich in der Erzeugung des Wasserstoffs aus Strom. Strom ist der hochwertigste Energieträger, den wir haben. Und den müssen wir jetzt degradieren, indem wir daraus einen chemischen Energieträger machen. Wir müssen das ganze System umdrehen, denn bisher wurde Strom aus chemischen Energieträgern gemacht. Die entscheidende Frage ist, warum wir nicht einfach da, wo wir das können, den Strom nutzen. Das muss die oberste Leitlinie einer effizienten zukünftigen Energiewirtschaft sein.

TiB: Wie stellen Sie sich diese Stromnutzung vor?

Hamacher: In unserem Projekt „Microgrid COSES“ widmen wir uns genau dieser Fragestellung. Denn es ist viel effizienter aus Strom über eine Wärmepumpe Wärme zu erzeugen, als aus Strom Wasserstoff und den dann in Wärme umzuwandeln. Deswegen eröffnet eine Kombination der Bereiche Strom und Wärme – inklusive der Elektromobilität – die Möglichkeit, einen Großteil der Fluktuationen der erneuerbaren Energien auszugleichen. Wenn dieses System gut etabliert ist, können wir auch über Wasserstoff nachdenken. Wasserstoff spielt z. B. eine Rolle, wenn wir bei der Windenergie große saisonale Unterschiede haben, die wir nicht ausgleichen können. Hier kann Wasserstoff sicher hilfreich sein.

TiB: Wie könnte ein Masterplan für die zukünftige Energiewirtschaft aussehen?

Hamacher: Das Ganze muss man in Stufen sehen. Wir werden zunächst unser System hochfahren und dann 60 - 70 % Erneuerbare Energien haben. Zuerst wird der Stromsektor mit erneuerbaren Energien bedient, dann kommen die Sektoren Wärme und Verkehr. Aber wir müssen natürlich langfristig alle Sektoren berücksichtigen, den Verkehrs- und den Wärmesektor und die Prozesswärme. Die Grundstoffe in der chemischen Industrie müssen aus neuen Quellen kommen. Das heißt, wir müssen viel mehr an Erneuerbaren Energien aufbauen, als nur zum Ersatz des Stroms notwendig wären, sodass wir Kapazitäten bekommen, die wir zur Wasserstofferzeugung nutzen können. Und wir brauchen für die Momente, in denen weder Wind noch Sonne verfügbar sind, eine Back-up-Leistung. Das kann der Wasserstoff wahrscheinlich leisten. Der Wasserstoff wird ein wichtiges, aber aller Voraussicht nach, nicht das zentrale Element einer zukünftigen Energiewirtschaft. Er wird ein Ermöglicher einer sehr stark elektrischen Energiewirtschaft sein.

TiB: Ist der Wasserstoff dann auch ein Element für die Netzstabilisierung?

Hamacher: Ja, aber nicht nur. Der Wasserstoff hat mehrere Eigenschaften. Einmal brauchen wir ihn, um das Stromsystem abzusichern. Aber ich brauche ihn auch in anderen Segmenten, in der chemischen Industrie werde ich immer noch Grundstoffe benötigen, und mit Wasserstoff und CO2 kann man Kohlenwasserstoffe synthetisieren. Wir werden Schiffe antreiben müssen und das werden wir nie mit Batterien machen, das gilt auch für interkontinentale Flugzeuge. Bei Anwendungen, bei denen wir sehr dichte chemische Energieträger benötigen, werden der Wasserstoff und die synthetischen Treibstoffe, die vom Wasserstoff abgeleitet werden, eine große Rolle spielen. Und deswegen ist es auch sinnvoll, diese Forschung heute anzugehen, denn diese Entwicklungen werden viele Jahre dauern.

TiB: Wie sehen Sie den Import von Wasserstoff generell und z.B. aus Nordafrika?

Hamacher: Wenn wir den Import von Wasserstoff betrachten, ist er sehr teuer im Vergleich zum Gaspreis, der bei 2ct /kWh liegt. Bis der Wasserstoff diesen Preis erreicht, ist es noch ein sehr weiter Weg. Ganz wichtig wird sein, dass man den Entwicklungsgedanken dieser Projekte für die Region betont und sich nicht nur auf den Export konzentriert. Momentan sehe ich die Möglichkeit, in Algerien, in Namibia und auch in Regionen in Süd- oder Mittelamerika große Mengen an regenerativer Energie zu produzieren, ohne Mensch und Natur zu stören. Ob es dann Wasserstoff oder Strom ist, wird sicher durch die ökonomischen Randbedingungen entschieden, wobei Sie heute für den Wasserstoff eher einen Investor finden würden, als für den Strom, denn dafür wären auch noch große Investitionen auf europäischer Seite nötig. Der Import von Wasserstoff wird sicher kommen. Dies hängt davon ab, wie schnell wir in unseren Regionen die Grenzen des Ausbaus erneuerbarer Energien erreichen oder aber in anderen Weltregionen sehr attraktive Systeme zur Wasserstoffherstellung geschaffen werden.

TiB: Was denken Sie über Wasserstoff im PKW-Bereich?

Hamacher: Es gibt Graubereiche und einer dieser Graubereiche ist das Auto. Als wir diese Diskussion 1995 geführt haben, gab es Aussagen, dass wir 2005 mit Brennstoffzellenautos fahren werden. Damals stand die Frage der Versorgung im Mittelpunkt und kurzfristig hat man damals sehr viel über Methanol nachgedacht, der dann zu Wasserstoff reformiert wird. Heute ist die rasante Batterieentwicklung dazugekommen. Natürlich haben Batterien auch ihre Herausforderungen, was die Materialien und die Herstellungsverfahren betrifft, und es müssen Konzepte entwickelt werden, die eine zirkuläre Wirtschaftsweise ermöglichen. Dieses Konzept wird durch die aktuellen internationalen Bestrebungen und die Ansätze von Volkswagen, Daimler und BMW immer realistischer. Es beschleicht einen das Gefühl, dass diese Schlacht schon geschlagen ist. Das Elektroauto wird nicht wieder verschwinden. Und der Wandel ist da. Und insbesondere in ländlichen Regionen ist die Erzeugung von regenerativem Strom und die Möglichkeit des Ladens gegeben.

TiB: Gibt es weitere Graubereiche?

Hamacher: Ja, z. B. den Schwerlastverkehr, der relativ lange Strecken zurücklegt. Hier kann man sich gut vorstellen, dass die Lastwagen mit Wasserstoff betrieben werden, im Gegensatz zu einem Lieferfahrzeug, das im Stadtgebiet Waren transportiert. Das wird ein Elektrolastwagen sein.

Sie können eine einfache Rechnung aufmachen: Angenommen, wir wollen beim Benzinmotor bleiben, und das Benzin synthetisch herstellen. Dann brauchen wir wirklich sehr große Mengen an Energie, denn der Benziner ist ja vergleichsweise ineffizient verglichen mit dem Elektromotor. Beim Wasserstoff ist die Bilanz schon etwas besser, aber das Elektrofahrzeug ist einfach am effizientesten. Und wenn wir die Energie betrachten, die heute in die Mobilität geht, dann wäre sie bei einer Elektroflotte um den Faktor 3 - 4 niedriger. Ob es auch im Wärmebereich zum Einsatz von Wasserstoff und synthetischen Treibstoffen kommen wird, lässt sich heute nur schwer abschätzen.

TiB: Ihr Zwischenfazit für den Wasserstoff?

Hamacher: Man braucht den Wasserstoff für einige Einsatzgebiete, aber für viele Anwendungen ist der Einsatz der elektrischen Energie wesentlich effizienter. Wir werden keine Wasserstoff-Wirtschaft aufbauen, sondern in Zukunft eine elektrische Energiewirtschaft mit einem Anteil Wasserstoff haben. Wasserstoff ist kein Primärenergieträger.

TiB: Wo sehen Sie die größte Herausforderung der Energiewende?

Hamacher: Für mich ist die Schlüsselfrage, ob wir in der Lage sind, das Problem der Klimaveränderung wirklich anzunehmen und dann auch den Mut haben, die notwendigen Umstrukturierungen durchzuführen und auch unbequeme Maßnahmen zu vermitteln. Zauberworte sind immer unsichtbar und dezentral, aber diese Konzepte lassen sich nicht mit einer erneuerbaren Zukunft des Energiesystems vereinbaren. Wenn wir hier nicht klar und nüchtern vorangehen, dann werden wir das Problem nur durch massive Importe lösen können. Auch in dieser Richtung ist vieles möglich, aber diese Lösung müssen wir teuer bezahlen.

Das Interview führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2021 JUL/AUG