Interview mit Dr. Felix Havermann, Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München
Technik in Bayern: Herr Dr. Havermann, Sie sind der wissenschaftliche Koordinator für das Projekt CDRSynTra. Was ist darunter zu verstehen und was sind die Projektziele?
Dr. Felix Havermann: CDR steht für „Carbon Dioxide Removal“, also die Entfernung von Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre. Das Projekt „Syntra“ steht für „Synthese und Transfer“ und ist Teil des übergeordneten Forschungsprogramms CDRterra. CDRterra umfasst insgesamt zehn weitgehend unabhängige Forschungsprojekte, die jeweils eigene Schwerpunkte haben. Syntra hat die Aufgabe, diese verschiedenen Forschungsschwerpunkte zu bündeln und zu synthetisieren.
Neben der Synthese betreiben wir am Institut auch eigene Forschung, die etwa 60 Prozent unserer Arbeit ausmacht. Die restlichen 40 Prozent entfallen auf die Synthese- und Transferaufgaben. Ein wichtiger Aspekt des Transfers ist der Wissenstransfer, bei dem wir den Austausch mit Stakeholdern und Entscheidungsträgern aktiv fördern, zum Beispiel durch Workshops und parlamentarische Events.
Ein weiteres zentrales Element des Transfers ist die Bildungsarbeit. Wir erstellen z.B. Broschüren und organisieren Konferenzen für Lehrer*innen, um das Thema CDR in die Schulen zu bringen und auf verschiedenen Wegen in die Bildung einzubinden.
TiB: Wenn man wissen will, wie sich irgendwelche Aktionen auf das Klima auswirken werden, braucht man Rechenmodelle. Auf welchen Grundlagen basiert diese Modellierung und wie brauchbar sind die Ergebnisse?
Havermann: Zur Untersuchung des Klimawandels nutzt man sogenannte Erdsystemmodelle. Diese Modelle sind über die Jahre immer komplexer und präziser geworden. Zu Beginn modellierte man nur einzelne Komponenten, wie die Atmosphäre, das Wasser oder das Land, und das oft noch in recht einfacher Form. Diese drei Bereiche wurden zunächst unabhängig voneinander simuliert, aber im Laufe der Zeit immer besser miteinander verknüpft.
Später kamen weitere Elemente wie Treibhausgase und der Pflanzenbewuchs hinzu, wodurch die Modelle noch detaillierter und realistischer wurden.
TiB: Hat man eine Vorstellung von der erreichten Genauigkeit?
Havermann: Es hängt immer davon ab, welchen Aspekt man betrachtet. Es macht einen großen Unterschied, ob man zum Beispiel die globale Mitteltemperatur über die letzten 30 Jahre, das Paläoklima oder das Klima von 1850 bis heute untersucht. Das Ziel ist natürlich, Vorhersagen für die Zukunft zu treffen. Dafür verwendet man verschiedene Modelle, deren Ergebnisse – wie zu erwarten – voneinander abweichen. Der Grund dafür ist jedoch bekannt, und die Modelle werden kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert.
TiB: Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit?
Havermann: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze für CDR-Methoden benötigt wird. Zum einen stellt sich die Frage, wie CO2 aufgenommen wird – biologisch, chemisch oder geochemisch. Zum anderen ist entscheidend, wo es gespeichert wird, zum Beispiel in Pflanzen, Böden oder marinen Sedimenten. Auch die Speicherdauer spielt eine Rolle.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Bewertung der Vor- und Nachteile dieser Methoden. Dafür benötigt man Werkzeuge zur quantitativen Beurteilung. Hinzu kommt die Frage, was wir als Gesellschaft tun müssen, um unsere gesellschaftlichen Normen und politischen Ziele im Hinblick auf den Klimaschutz zu erreichen.
TiB: Ist es denn wirklich so schlimm, wenn mehr CO2 in die Atmosphäre kommt und gibt es Überlegungen auf wissenschaftlicher Basis, dass wir dann eine ganz andere Pflanzenpopulation bekommen würden?
Havermann: Absolut. Man spricht auch vom CO2-Düngungseffekt, der zeigt, dass Pflanzen mehr CO2 aufnehmen können, je höher die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist. Zudem verbessert sich die Wassernutzungseffizienz, was bedeutet, dass Pflanzen das Wasser besser ausnutzen können.
Diese Aspekte sind bereits in Modellen und Berechnungen berücksichtigt.
Der wesentliche Unterschied zu natürlichen Klimavariabilitäten liegt je-doch darin, dass der CO2-Gehalt in erdgeschichtlicher Zeit nie in so ex-trem kurzer Zeit so stark angestiegen ist wie heute. Außerdem stammen die aktuellen CO2-Quellen nicht aus natürlichen Prozessen, wie zum Beispiel verstärktem Vulkanismus oder anderen besonderen Ereignissen, die über Jahrtausende hinweg zu einem Anstieg des CO2 in der Atmosphäre führten, welcher dann langsam von den Ozeanen abgebaut wurde. Heute sind die Quellen hingegen anthropogenen Ursprungs.
TiB: Können Sie uns das Projekt LAMACLIMA erläutern?
Havermann: Das Projekt beschäftigte sich u.a. mit den Möglichkeiten einer erhöhten CO2-Aufnahme durch anthropogen genutzte Landoberflächen, insbesondere auf globaler Ebene. Eine der Hypothesen war, dass Aufforstungsmaßnahmen im globalen Maßstab durchgeführt werden sollten, während gleichzeitig eine kontrollierte Abholzung erfolgt, um Holz zu nutzen und Neuwachstum zu fördern.
Die Antithese dazu besagte, dass landwirtschaftliche Flächen ausgeweitet und, wo notwendig, künstliche Bewässerung eingesetzt werden sollten. Dabei haben wir die lokalen, sowie räumlich entfernten Effekte untersucht und einen sogenannten Local-Non-Local-Ansatz angewendet. Wir analysierten, was mit dem Klima in einem Land passiert, wenn in einem anderen Land Maßnahmen ergriffen werden. Dies führte natürlich schnell zu Fragen von Zielkonflikten und Gerechtigkeit.
TiB: Welche Maßnahmen zur CO2-Entnahme haben Ihrer Meinung nach die größten Chancen zur großtechnischen Anwendung?
Havermann: Auf globaler Ebene gibt es bereits Berechnungen, die zeigen, welche Methoden zur Kohlenstoffdioxid-Entnahme (CDR) aus techno-ökonomischer Sicht am effektivsten sind. Diese Berechnungen schaffen eine Grundlage, um die verschiedenen Verfahren miteinander zu vergleichen. Dennoch ist es entscheidend, die jeweiligen Methoden auch lokal zu bewerten, um herauszufinden, welche vor Ort am sinnvollsten ist. Jährlich erscheint der Bericht „State of Carbon Dioxide Removal“, der aufzeigt, wie viel CO2 durch welche Methoden entnommen wird. Über 99 Prozent dieser Entnahmen erfolgen durch Projekte in der Forstwirtschaft, darunter Aufforstung, Wiederbewaldung und landwirtschaftliche Maßnahmen zur CO2-Speicherung im Boden. Der verbleibende Anteil der Entnahmen erfolgt momentan durch den Einsatz von Pflanzenkohle, die durch Pyrolyse gewonnen und auf landwirtschaftlichen Flächen eingesetzt wird. Diese Methode hat zahlreiche positive Effekte auf die Bodenqualität.
Ein weiterer Teil des momentanen CDR stammt aus der Technologie BECCS („Bioenergy with Carbon Capture and Storage“). Dabei wird Biomasse, wie beispielsweise zuckerhaltige Pflanzen wie Weizen, und Zuckerrüben aber auch Holzabfälle und andere Lignozellulose-Abfälle, zur Energieerzeugung, also Strom- und Wärmeerzeugung verwendet. In beiden Fällen wird CO2 freigesetzt, jedoch entspricht diese Menge theoretisch der zuvor von der Pflanze aufgenommenen Kohlenstoffdioxidmenge. Dieses CO2 kann anschließend zu einem großen Teil aufgefangen und zum Beispiel langfristig in geologischen Formationen gespeichert werden.
TiB: Welche anderen Methoden gibt es noch?
Havermann: Es gibt viele weitere Methoden, die ebenfalls einsatzbereit sind. Allerdings sind ihre Leistungsparameter oft schwer zu bewerten. Eine relativ einfache Methode ist die beschleunigte Verwitterung von Gestein, auch als „Enhanced Rock Weathering“ bekannt. Dabei wird Gestein wie Silikat oder Basalt zu feinem Mehl verarbeitet und auf Feldern ausgebracht. Niederschlag, der zuvor mit CO2 aus der Atmosphäre in Kontakt gekommen ist, reagiert mit diesem Gesteinsmehl und bildet neues Gestein, das entweder im Boden verbleibt oder über Flüsse ins Meer transportiert wird. Obwohl die chemischen Prozesse hinter dieser Methode gut verstanden sind, lässt sich die Wirksamkeit nicht exakt quantifizieren. Insgesamt spielt die lokale Akzeptanz aller CDR Verfahren eine entscheidende Rolle, ebenso wie die öffentliche Förderung und marktorientierte Finanzierungsmechanismen. Derzeit laufen auf allen Ebenen – von der EU bis hin zu lokalen Initiativen – entsprechende Projekte parallel.
TiB: Welche dieser Methoden halten Sie für ethisch fragwürdig?
Havermann: Die Frage ist super wichtig und extrem interessant. Ethische Probleme im Zusammenhang mit CDR oder generell im Klimaschutz resultieren oft aus Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der prozeduralen Gerechtigkeit. Ein Beispiel für Verteilungsgerechtigkeit: Stellen wir uns vor, wir wenden hier viele CDR Methoden an, die zwar positiv für den Klimaschutz und damit für alle Menschen sind, doch sie erfordern z.B. seltene Erden, die importiert und abgebaut werden müssen. Dies könnte dazu führen, dass Menschen in anderen Ländern unter den negativen Folgen des Abbaus leiden.
Aber auch alle anderen, die an diesem Prozess beteiligt sind, spüren positive oder negative Auswirkungen – das fällt unter prozedurale Gerechtigkeit. Das betrifft nicht nur Menschen, sondern auch ganze Ökosysteme. Wie erreicht man also Gerechtigkeit? Im Idealfall haben alle Beteiligten gute Vertreter, die einen fairen Interessenausgleich herbeiführen. Bei CDR gibt es an sich keine Methode, die per se ethisch fragwürdig ist. Dennoch muss man sicherstellen, dass Gerechtigkeit gewährleistet wird.
Solar Radiation Management hingegen ist in ethischer Hinsicht problematischer. Die Zeitskala und die Wirkung, die man durch eine einmalige Aktion erzielt, sind unmittelbarer und deutlich stärker.
Das Gespräch führten Fritz Münzel und Silvia Stettmayer
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2024 NOV/DEZ