Lebende Zellen als Sensoren

Erkennung von Signalmolekülen durch große Anzahl an Rezeptoren

Beitrag von Prof. Joachim Wegener, Universität Regensburg

Lebende Zellen können auf der Oberfläche eines physikalischen Signalwandlers aufgebracht werden, um als Sensoren zu fungieren. Im nachfolgenden Beitrag wird ein Überblick über die verschiedenen physikalischen Verfahren geben und die Funktionsweise näher beschrieben. Zudem wird ein Beispiel aus der Praxis vorgestellt, das großes Potential für die Untersuchung neuer Pharmaka besitzt.

Messtechnische Erfassung von Zellreaktionen

Lebende Zellen sind in vielen ihrer physiologischen Funktionen auf eine hochspezifische Erkennung von Signalmolekülen in einer chemisch komplexen Umgebung angewiesen und präsentieren darum eine enorme Zahl verschiedener Rezeptoren gleichzeitig auf ihrer Oberfläche, die diese Signalmoleküle erkennen und binden.

Die Leistung dieser Rezeptoren ist im Hinblick auf Spezifität, Sensitivität und die Fähigkeit zur Unterdrückung unspezifischer Bindungen technisch nur schwer nachzuahmen. Die Reaktion der Zelle auf die Bindung bestimmter Signalstoffe an die Rezeptoren lässt sich jedoch messtechnisch erfassen und erlaubt damit die Konstruktion von hochempfindlichen Sensoren für die Stoffanalyse.

Sensoren aus der Natur

Der Einsatz lebender Zellen als Sensoren belässt die hochspezifischen, aber auch sehr empfindlichen Rezeptoren in ihrer ursprünglichen, biologischen Umgebung, die im Laufe der Evolution für die chemische Erkennung optimiert worden ist. Die Zellen werden als Einzelzellen oder in Form eines kontinuierlichen Gewebeverbundes auf die Oberfläche eines geeigneten, physikalischen Signalwandlers aufgebracht. Statt der Bindung des Analyten an den Rezeptor wird die Reaktion der Zellen (metabolisch, morphologisch, mechanisch) auf die Aktivierung des Rezeptors analysiert.

Von der Biologie zur Technik

Die Möglichkeiten zur Wandlung der Zellreaktion in ein elektrisches Signal sind vielfältig und bereits gut entwickelt. Sie umfassen u.a.

  • (i) planare Edelmetall- oder Polymerelektroden zur Aufzeichnung von Änderungen der Zellform durch Impedanzmessungen,
  • (ii) pH-ISFETs zur potentiometrischen Analyse metabolischer Änderungen, die mit pH-Wert Änderungen einhergehen,
  • oder (iii) die Nutzung optischer Techniken zum Nachweis von Brechungsindex-Änderungen als Indikator von dynamischen Massenverschiebungen innerhalb der Zellkörper. 

Gemeinsamkeiten und Vorteile der physikalischen Signalwandler

Diesen physikalischen Prinzipien der Signalwandlung ist gemeinsam, dass sie nichtinvasiv arbeiten und die Zellen durch den Messvorgang nicht beeinflusst werden, so dass ein kontinuierliches Monitoring der Zellen möglich wird. Die Dauer der Beobachtung wird nur durch den Bedarf der Zellen nach frischen Nährstoffen oder die Entsorgung von Abfallstoffen limitiert. Die Unabhängigkeit von Farbstoffen oder chemischen Indikatoren zur Messung der Zellreaktion (label-free) zählt zu den weiteren Stärken der Verwendung rein physikalischer Signalwandler. Die Probe wird nicht mit Nachweisreagenzien kontaminiert.

Die Immobilisierung der Zellen auf den Oberflächen der Elektroden oder Transistoren ist im Allgemeinen sehr einfach, da die meisten Zelltypen spontan an technische Oberflächen adhärieren, sich darauf verankern und ausbreiten, solange letztere biokompatibel und inert sind.

Verwendung der Zellen ist Aufgabenabhängig

Die Güte der Verankerung der Zellen auf der Transducer-Oberfläche ist für die Sensitivität der Signalwandlung entscheidend. Die Art der zum Einsatz kommenden Zellen, unverändert oder gentechnisch modifiziert, orientiert sich an der Aufgabenstellung, welche Stoffe analysiert werden sollen.

Ein sehr aktuelles Beispiel mit großem Potential ist die Kultur von Herzmuskelzellen auf Edelmetallelektroden. Das rhythmische Schlagen der Zellen wird durch Messung der Elektrodenimpedanz zeitaufgelöst registriert und erlaubt die Untersuchung neuer Pharmaka im Hinblick auf eine mögliche Beeinflussung des Herzschlages.

Praktische Hybrid-Sensoren

Die Hybrid-Sensoren aus Biologie und Technik sind miniaturisierbar und für die Integration in Mikrosysteme geeignet, so dass der Bedarf an biologischem Material und das notwendige Probenvolumen sehr gering und damit anwendungsfreundlich sind. Für das Liquid Handling und eine automatisierte Dosierung der zu analysierenden Probe hat sich die Integration solcher zell-basierter Sensoren in mikrofluidische Systeme hervorragend bewährt und macht auch Vor-Ort-Einsätze außerhalb des Labors möglich.

Fazit und Ausblick

Die aktuellen Entwicklungen im Bereich polymerbasierter, flexibler Signalwandler und deren Integration in Mikrosysteme werden durch den damit verbundenen Zugewinn an Flexibilität, Probendurchsatz und Kosteneffizienz die Anwendungsfelder zunehmend erweitern.

Am Institut für Analytische Chemie, Chemo- & Biosensorik der Universität Regensburg entwickeln wir in Kooperation mit der Fraunhofer-EMFT innovative Konzepte der Zell-basierten Sensorik sowohl von biologischer wie technischer Seite und erforschen deren Integration in Mikrosysteme.

Literatur

[1] Raedler, U.; Wegener, J. (2009): Impedanzbasiertes Screening adhärenter Zellen: automatisiert, nicht-invasiv, label-frei und vielseitig. Biospektrum 05, 474-476.
[2] Hofmann, U.; Michaelis, S.; Winckler, T.; Wegener, J.; Feller, K.-H. (2013): A wholecell biosensor as in vitro alternative to skin irritation tests. Biosens. & Bioelectr. 39/1, 156-162.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 September/Oktober