In niedrigen Umlaufbahnen locken hohe Gewinne

Beitrag von Prof. Dr. Andreas Knopp Universität der Bundeswehr Neubiberg

Mit der Vorstellung des neuen iPhone 14 hat die Firma Apple eine neue Ära der Mobilkommunikation eingeleitet: Ein Mobiltelefon, das eine Verbindung in den Weltraum aufbauen und somit unabhängig von terrestrischen Basisstationen kommunizieren kann. Zunächst handelt es sich zwar nur um eine Notfallfunktion, mit der sehr kurze Telegramme abgesetzt werden können, aber in der Branche gilt dieser Schritt nur als erster hin zu einer völlig neuen Mobilfunkarchitektur der sechsten Generation (6G).

Neue Konsortien mit neuer Technik

Mit 6G werden bis zum Jahr 2030 die meisten Mobilfunkanbieter auch einen weltraumgestützten Kommunikationsservice anbieten, der für Sprach- und Datenkommunikation, unbemerkt für den Nutzer, immer dann zum Einsatz kommen wird, wenn auf der Erde kein Mobilfunknetz verfügbar ist. Nicht nur im Rahmen der 3GPP-Standardisierung für den Mobilfunk werden hierfür derzeit die Grundlagen gelegt, sondern auch die großen Telekommunikationsunternehmen bereiten sich vor: Die Deutsche Telekom hat eine Vereinbarung mit der U.S. amerikanischen Firma Starlink, dem derzeit erfolgreichsten Anbieter von breitbandigen Kommunikationsanwendungen aus dem niedrigen Erdorbit, geschlossen; Vodafone hat in den Starlink-Konkurrenten AST Space Mobile investiert und Apple hat mit der Firma Globalstar den vorgenannten Service aufgebaut. Es ist daher schon heute absehbar, dass die Erweiterung des Mobilfunknetzes in den Weltraum die wahrscheinlich wichtigste Neuerung für 6G sein wird, denn damit wird die versorgte Erdabdeckung bis zu 25-Mal größer sein als bei 5G.

Möglich macht dies eine Vielzahl von technologischen Innovationen, die in den letzten zehn Jahren vor allem in den USA, aber auch in Europa und Deutschland vorangetrieben wurden. Seit etwa 50 Jahren werden Kommunikationssatelliten in einem erdfernen, geostationären Orbit genutzt, um Rundfunksignale zu verteilen. Dieser sehr effiziente Broadcast-Betrieb, bei dem ein einziges Uplink-Signal an Millionen zahlende Haushalte verteilt wird, hat den wenigen etablierten Unternehmen stets sehr hohe zweistellige Umsatzrenditen beschert. Der Anbietermarkt war dabei klein, da für den Betrieb eines solchen Systems einer der wenigen passenden Positionen im geostationären Orbit mit den dazu geeigneten Senderechten, d.h. Frequenzen, erforderlich ist. Für Mobilfunkanwendungen sind solche erdfernen Satelliten zudem nicht geeignet, da aufgrund der großen Entfernung von 36.000 km das Nutzerterminal mit einer zu großen Antenne ausgestattet sein muss. Mit Einführung von mehreren Ausleuchtzonen pro Antenne (sog. Beams) und einer Wiederverwendung der Frequenz bei ausreichend entfernten Beams konnte seit etwa 2005 zwar eine Art zellulare Netzstruktur wie im Mobilfunk realisiert und der Datendurchsatz pro Satellit um Faktoren gesteigert werden, aber dies änderte nichts an den großen und oft unförmigen Antennen, die bestenfalls für die Fahrzeugintegration geeignet sind. Auch moderne Techniken wie Vorcodierung (Precoding), digitale Signalverarbeitung sowie Raummultiplex (MIMO) sind in modernen „High-Throughput-Satellites“ inzwischen umgesetzt, sodass der Preis pro übertragenem Bit in der Größenordnung eines Mobilfunksystems liegt. Der wirkliche Durchbruch gelang jedoch einmal mehr dem Technikvisionär Elon Musk, der mit seinem Starlink-System erstmals kommerziell in den niedrigen Erdorbit wechselte und mit inzwischen über 3.000 Satelliten (1) über 200 Mbit/ sec pro Nutzer anbieten kann. Aufgrund der geringen Entfernung zwischen Satelliten und Nutzer, die bei ca. 550 km liegt, sind erstmals kleine Nutzerantennen und extrem kurze Signallaufzeiten möglich, sodass eine mobilfunkübliche Performance erreicht werden kann. Begrenzend wirkt sich heute noch die limitierte Anzahl von Satelliten aus, da bei einer wie ein Fischernetz erdumspannenden Anordnung nur wenige Satelliten von einem bestimmten Punkt der Erde aus sichtbar sind. Berechnungen zeigen, dass ein System mit ca. 1.500 Satelliten nur etwa 10 Prozent der Fläche Deutschlands gleichzeitig versorgen kann, was besonders bei hoher Mobilität der Nutzer problematisch ist. Auch sind die Antennengrößen von Starlink-Terminals heute noch recht groß, jedoch werden zukünftige Systeme mit großen entfaltbaren Antennen oder als phasengesteuertes Antennenarray zusammengeschaltet Satellitenformationen im Orbit bilden und die Nutzerterminals bis auf Mobilfunkgröße schrumpfen lassen. Mit der optisch-breitbandigen Vernetzung aller Satelliten untereinander werden sich außerdem moderne Formen der Signalprozessierung, der Zwischenspeicherung und des Edge-Computing im Orbit realisieren lassen, sodass weitgehend autark von terrestrischer Infrastruktur und Energieversorgung leistungsfähige Kommunikationsnetze entstehen können.

Wozu solche autarken Kommunikationsnetze gut sind, hat sich jüngst in der Ukraine gezeigt: Mit seinem Starlink-Satelliteninternet konnte Tech-Milliardär Elon Musk praktisch allein die Versorgung der Bevölkerung mit Kommunikationsdienstleistungen, aber auch die Vernetzung der ukrainischen Truppe sicherstellen und kontrollieren.

Europas Antwort auf Starlink

So große Macht in den Händen einer Einzelperson und ohne parlamentarische Kontrolle sehen allerdings viel EntscheidungsträgerInnen kritisch, sodass die EUKommission im November das Projekt IRIS-2 ins Leben gerufen hat. Dieses Projekt soll ein europäisches Satellitennetzwerk, maßgeblich für Kommunikationsanwendungen, umsetzen, wobei sowohl Systeme im niedrigen Erdorbit als auch existierende Systeme im mittleren und im geostationären Orbit eingebunden werden sollen. Deutschland unterstützt dieses Projekt mit Nachdruck und sieht vor allem seine florierende Szene von Weltraum-Startups als beitragsfähig. Großes Interesse kommt auch von der Automobilindustrie, die an einer grenzenlosen globalen Vernetzung ohne aufwändige Roaming-Abkommen interessiert ist. Schon heute stehen viele digitale Dienstleistungen im Fahrzeug nur bei permanenter Internetanbindung zur Verfügung. Technologisch ist vor allem die fahrzeugintegrierte Antenne eine Herausforderung, da diese einen hohen Antennengewinn mit flacher oder im Fahrzeugdach verschwindender Silhouette kombinieren soll. Dafür kommen nur phasengesteuerte Antennen infrage, wobei neue Technologien wie die in Deutschland entwickelten Systeme, bei denen die Steuerung der Signalphase über elektrisch angeregte Flüssigkristalle realisiert wird, immer wichtiger werden.

Sichere und resiliente Kommunikation

Eine besondere Rolle soll IRIS-2 aber auch für Behörden mit Sicherheitsaufgaben und das Militär spielen, indem das System sichere und resiliente Kommunikation bereitstellen wird. Die Sicherheit bezieht sich dabei auf Cybersicherheit, auf Störfestigkeit und auf abhörsichere Übertragungsverfahren. Erreicht wird dieses Ziel wahrscheinlich durch eine komplett neue Architektur mit geschützten und verteilen Netzwerk-Operationszentralen und die Vielzahl an Satelliten in verschiedenen Orbits. Durch Methoden der Anti-Jamming Kommunikation wie Bandspreiztechniken mit besonderer Kanalcodierung oder die adaptive Reduzierung des Antennengewinns in Richtung eines Störers (sog. Antenna-Nulling) können Verbindungen gehärtet werden. Mit optischen Kommunikationsverbindungen mittels Laser wird die Abhörsicherheit verbessert und es wird die sichere Schlüsselverteilung für eine Ende-zu-Ende Verschlüsslung realisiert (Quantenverschlüsselung). Andere Methoden beinhalten Mehrantennenansätze, bei denen nur an bestimmten Stellen auf der Erde ein Signal in auswertbarer Form ankommt, während an anderen Stellen die Eigeninterferenz des Systems die Auswertung verhindert.

Wie wichtig ein solches System für die digitale Souveränität Europas ist, zeigt aber nicht nur die Bedeutung von Starlink in der Ukraine. Zuvor war es schon zu einem Cyberangriff auf das Ka-SAT System der Firma Viasat gekommen, das ebenfalls Internetdienstleistungen in Europa bis hin zur Ukraine vermarktet. Dieser Angriff galt sehr wahrscheinlich den ukrainischen Kommunikationsverbindungen, jedoch führte er aufgrund der besonderen Architektur des Systems zu Kollateralschäden quer durch Europa. Davon betroffen waren auch deutsche Windkraftbetreiber, die ihre Windräder nicht mehr überwachen konnten – eine kritische Infrastruktur der Energieversorgung. Der Vorfall hat das Bewusstsein geschärft, dass sichere und resiliente Kommunikationstechnik im Weltraum heute auch zur kritischen Infrastruktur gehört. Mit ihrer zeitgleichen Einbindung in terrestrische Netze im Rahmen von 6G wird sichere Satellitenkommunikation daher zu den Zukunftstechnologien in Europa und weltweit gehören. Der entsprechende „Goldrausch“ im Orbit hat bereits begonnen.

(1) Der Endausbau des Systems wird planiPhone mit Notruffunktion über Satellit mäßig ca. 42.000 Satelliten umfassen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 02/2023 MÄR/APR