Mehr Sicherheit im Weltraum durch die Großradaranlage TIRA

Dramatische Zunahme von Weltraumschrott

Beitrag von Dr. Jens Klare Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR Wachtberg

Seit dem ersten künstlichen Satelliten Sputnik im Jahre 1957 hat die Nutzung des erdnahen Weltraums gewaltige Ausmaße angenommen. Rund 14450 Satelliten wurden seitdem in den Weltraum geschickt. Aktuell sind davon noch 9610 im Orbit und 6800 im Einsatz. Hinzu kommt eine stetig wachsende Anzahl an Weltraumschrott. Schätzungen zur Folge kreisen aktuell rund 36500 Objekte um die Erde die größer sind als 10 cm, rund 1 Millionen Objekte zwischen 1 cm und 10 cm und rund 130 Millionen Objekte zwischen 1 mm und 1 cm. Dies ist, laut der European Space Agency (ESA), Stand November 2022.

Durch auseinanderbrechende Trümmerteile, Explosionen ausgebrannter Raketenendstufen und Kollisionen von Trümmerteilen untereinander oder auch von Trümmerteilen mit Satelliten, nimmt der Weltraumschrott stetig zu. Beim Zusammenstoß zweier Weltraumobjekte können so schnell tausende neue Trümmerteile entstehen. So geschehen z. B. in den 1990er Jahren, als der nicht mehr operationelle russische Militärsatellit Kosmos-251 mit dem Kommunikationssatelliten Iridium 33 kollidierte. Dabei sind rund 1800 neue Trümmerteile entstanden. Diese große Menge an Weltraumschrott stellt eine beträchtliche Gefahr für alle aktiven Satelliten dar. Jede Kollision kann einen Satelliten beschädigen oder komplett zerstören.

Seit einigen Jahren kommen auch noch sogenannte Megakonstellationen hinzu. Dabei werden tausende kleine Satelliten in weltumspannende Konstellationen in den Orbit gebracht. Jeder einzelne dieser tausenden Satelliten kann mit Weltraumschrott kollidieren und daraus eine neue Trümmerwolke erzeugen.

Letztendlich wird jeder aktive Satellit am Ende seiner Lebenszeit oder bei einem Ausfall selbst zu Weltraumschrott, falls er nicht durch spezielle Technologien wieder aus dem Orbit geholt werden kann oder nach langjähriger Verweilzeit selbstständig in der Erdatmosphäre verglüht.

Das Tracking and Imaging Radar TIRA

Zwischen Rhein und Eifel, im Drachenfelser Ländchen, liegt weithin sichtbar eines der weltweit größten Radome. Es erinnert mit seinem Durchmesser von 47,5 m und ca. 1400 unterschiedlichen Dreiecken an einen überdimensionalen Golfball. Im Inneren befindet sich mit dem Tracking- und Imaging Radar TIRA eines der leistungsfähigsten Radarsysteme zur Weltraumbeobachtung in Europa. Mit einer Winkelgeschwindigkeit von 24 ° pro Sekunde im Azimut dreht sich das 240 Tonnen schwere Radar in nur 15 Sekunden einmal um die eigene Achse. Das ist Weltrekord! Durch diese hohe Dynamik ist es möglich, nahezu lückenlos Weltraumobjekte zu verfolgen, die mit rund 7,5 km/s in niedrigen Umlaufbahnen unterwegs sind. Im Wesentlichen besteht TIRA aus drei Komponenten. Zum einen ist das die mechanisch hochpräzise vollbewegliche Parabolantenne, zum anderen das Zielverfolgungsradar zur hochgenauen Verfolgung und Bahnbestimmung sowie einem Abbildungsradar zur hochauflösenden Abbildung von Weltraumobjekten.

Mehr Sicherheit für aktive Satelliten durch TIRA

Mit TIRA können alle Phasen eines Satellitenlebens begleitet und überwacht werden. Das beginnt beim Start durch die Trägerrakete und die Überführung in den Orbit, geht weiter über die gesamte operationelle Phase bis hin zum möglichen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Kommt es zu Fehlfunktionen oder Ausfällen, kann mit TIRA eine Schadensanalyse durchgeführt werden, um z. B. herauszubekommen, ob ein Satellit von Weltraumschrott getroffen wurde.

In speziellen Katalogen, wie dem vom US-amerikanische Space Surveillance Network (SSN), werden mit Hilfe der Weltraumüberwachung größere Weltraumschrottteile (ab ca. 10 cm) katalogisiert. Aktuell sind das rund 32800 Objekte (Quelle: ESA). So weiß man, ob und wann sich ein Schrottteilchen dieser Größe einem Satelliten nähert. Wie hoch das Risiko einer Kollision letztendlich ist, weiß man allerdings dadurch nicht, da die Katalogdaten hierfür zu ungenau sind. Hier kommt TIRA ins Spiel, denn mit der hochpräzisen Antennennachführung und dem leistungsstarken Zielverfolgungsradar kann der Orbit eines Schrottteils hoch präzise bestimmt werden. TIRA ist dabei in der Lage Objekte mit einer Größe von 2 cm in 1000 km Entfernung zu detektieren. Die extrem hohe mechanische PointingGenauigkeit liegt bei 0,6“, was ca. 3 m in 1000 km Entfernung entspricht. Mit Hilfe der durch TIRA gewonnenen Bahndaten der Schrottteile können die Satellitenbetreiber entscheiden, ob Ausweichmanöver geflogen werden müssen oder nicht. Diese Entscheidung ist deshalb so wichtig, weil jedes unnötige Ausweichmanöver wertvollen Treibstoff kostet und somit die Lebensdauer eines Satelliten verkürzt. Mithilfe der hoch genauen Bahndaten von TIRA müssen somit nur die Ausweichmanöver geflogen werden, bei denen ein hohes Kollisionsrisiko besteht. Bei kleineren Weltraumobjekten, die nur wenige Zentimeter groß sind, ist eine Katalogisierung mit heutigen Mitteln nicht möglich. Um das Risiko für Satelliten möglichst klein zu halten, ist die Kenntnis der statistischen Verteilung dieser kleinteiligen Weltraumschrottpopulation von hoher Wichtigkeit. Entsprechende Stichproben können nur wenige Systeme auf der Welt liefern. Eines davon ist TIRA. Hierfür schaut das Weltraumradar für 24 Stunden in ein und dieselbe Richtung. Die Antenne wird quasi geparkt, weshalb man auch von Beampark-Experimenten spricht. Sämtliche Schrottteile die in dieser Zeit die Antennenkeule durchfliegen und aufgrund ihrer Größe detektiert werden können, werden von TIRA aufgespürt und für statistische Modelle verwendet.

Müllabfuhr im Weltraum

Für Satelliten die nach ihrem Lebensende eine große Gefahr für Kollisionen sind, werden aktuell verschiedenste Technologien entwickelt, mit denen diese aktiv entweder in einen Friedhoforbit oder in eine niedrigere Umlaufbahn gebracht werden können, wo sie dann verglühen. Je nach Rotationsgeschwindigkeit werden unterschiedliche Einfangmethoden (z. B. Greifarme, Fangnetze) zum Einsatz kommen. Mit dem Abbildungsradar von TIRA können von den Satelliten ganze Radarfilme erstellt werden, mit deren Hilfe die Rotationsgeschwindigkeit und deren Änderung über die Zeit genau bestimmt werden können. Mit den so gewonnenen Ergebnissen kann zukünftig eine Vorauswahl von überhaupt geeigneten Objekten und die entsprechend beste Einfangmethode ausgewählt werden.

Moderne Satelliten werden mittlerweile mit sogenannten De-Orbiting Systemen ausgestattet. Das sind relativ leichte und kostengünstige Systeme, die am Ende eines Satellitenlebens das Fläche-zu-Gewicht-Verhältnis soweit erhöhen, dass sie wie Bremssegel wirken. Der Satellit soll dadurch im Laufe der Jahre stetig an Höhe verlieren, bis er letztendlich verglüht. Angepeilt wird eine Restzeit von 25 Jahren. Ob sich das Bremssystem allerding korrekt entfaltet hat, weiß der Satellitenbetreiber nur indirekt. Mit TIRA können vom Satelliten hochauflösende Radarbilder erzeugt werden, um das korrekte Entfalten der Bremssysteme zu überprüfen. Mithilfe des Zielverfolgungsradars kann dann über die Jahre der Orbit und somit die Höhenänderung bestimmt werden. Anhand dieser Daten wissen die Satellitenbetreiber dann, ob das De-Orbiting System funktioniert und den Satelliten in der berechneten Zeitspanne verglühen lässt oder aber ob zukünftige Systeme modifiziert oder gar völlig neu entwickelt werden müssen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 02/2023 MÄR/APR