Intelligent Greifen

Handhabung und Robotik in der smarten Fabrik

Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Markus Glück, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung SCHUNK GmbH & Co. KG Lauffen/Neckar

Die industrielle Handhabung befindet sich im Umbruch: Ging es bislang vorrangig um Produktivität und Prozesssicherheit, rücken in der smarten Fabrik zusätzlich die Kollaborationseffizienz und die Flexibilität des Prozessdesigns in den Fokus. Vernetzte Greifsysteme mit integrierter Intelligenz werden zu Schlüsselkomponenten der Automation von morgen. Drei grundlegende Entwicklungsfelder von Greifsystemen werden im nachfolgenden Beitrag vorgestellt.

Innovation in der Automation

Bislang ist das industrielle Greifen vergleichsweise starr gestaltet: Für jedes Werkstück und jedes Ausgangsmaterial sind Greifparameter festzulegen, manuell einzustellen und basierend auf dem Erfahrungshintergrund des Anwenders zu optimieren. Nicht zuletzt die rasanten Entwicklungen in der Mechatronik, der Prozessortechnik, der Simulation sowie in der Miniaturisierung von Komponenten ermöglichen einen bis dato einzigartigen Innovationssprung in der Automation.

Zentrale Bereiche und Aufgaben in Montage & Handhabung

Flexibilität, Sensitivität, Interoperabilität, Kommunikation, Safety und Security sowie das vorausschauende Diagnostizieren und der Einsatz smarter Funktionen werden zu zentralen Größen in Montage und Handhabung.

Hinzu kommt, dass die Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) rasant an Bedeutung gewinnen, beispielsweise in Form der Bild-, Muster- und Spracherkennung. Abbildung 1 zeigt, wie es der SCHUNK SVH 5-Fingerhand dank KI möglich ist, beliebige Objekte in beliebiger Lage zu identifizieren und autonom entsprechende Greifstrategien zu entwickeln und anzuwenden.

Wesentliche Aufgabenstellungen der kommenden Jahre in der Montage und Handhabung sind

  • die intelligente, flexible und teilautonome Gestaltung von Handhabungsprozessen,
  • die Erschließung maschineller Lerntechniken,
  • die umfassende Vernetzung aller am Produktionsprozess beteiligten Komponenten
  • sowie die sichere Einbindung in cloudbasierte Ökosysteme.

Bezogen auf die Greifsysteme können drei grundlegende Entwicklungsfelder identifiziert werden:

Smart Gripping

Die exponierte Position des Greifers unmittelbar am Werkstück lässt sich in idealer Weise für eine permanente Prozessüberwachung und -optimierung nutzen. Smarte, mit einer industriellen Ethernet-Schnittstelle ausgestattete Greifer sind in der Lage, mit vor- und nachgelagerten Komponenten zu kommunizieren und zu kooperieren.

Künftig geht es darum, Daten nicht nur wie bisher zu sammeln, sondern sie zu analysieren, in werthaltige Informationen zu überführen und eine dezentrale Closed-Loop-Qualitätskontrolle im Fertigungstakt zu ermöglichen, bis hin zu einer unmittelbaren Prozessadaption. Über eine Echtzeit-Prozessanalyse ist eine proaktive Trendbewertung und deren umgehende Einbeziehung in die Qualitätsregelung des Fertigungsflusses möglich.

Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK)

Das bislang vorherrschende Einsatzszenario der vollautomatisierten Massenproduktion, bei der die Sicherheit der Werker durch eine strikte Trennung von Mensch und Maschine erreicht wird, entwickelt sich weiter zur kollaborativen Robotik. Für die Automationskomponenten ergibt sich hieraus ein neues Anforderungsprofil: Ein MRK-fähiger Roboter muss ruhig fahren, Kollisionen feinfühlig erkennen und für ein intelligentes Teamwork mit dem Menschen kraftgeregelt und sicher agieren.

Wohin die Reise geht, zeigt ein zu Forschungszwecken entwickelter Co-act Greifer: Die in ihm verbaute Sensorik registriert Annäherungen von Menschen und ermöglicht eine situationsabhängige Reaktion, ohne dass Mensch und Roboter sich berühren. Die im Co-act Greifer verbauten Sensoren und ihre Aufgabe:

  • Kapazitive Sensoren machen es möglich, die Annäherung von Bauteilen und Handhabungskomponenten gegenüber der Annäherung von Fingern, Händen oder Armen des Menschen zu unterscheiden.
  • Kraft-Momenten-Sensoren registrieren, wenn unerwartete Kraftwirkungen auftauchen.
  • Taktile Sensoren erfassen ortsaufgelöst sowohl einzelne Berührungen als auch großflächige Druckverteilungen.

Über eine Sensorfusion, also die Zusammenführung der einzelnen Informationen aus der sensorischen Aura, ist es möglich, Situationen zu bewerten und adäquate Reaktionen einzuleiten.

Autonomes Handling

Intelligente Handhabungssysteme bestehend aus flexibel einsetzbaren Greifern, Kameras und KI lassen sich heute in Laboranwendungen bereits intuitiv so trainieren, dass Greifaufgaben autonom erledigt werden können.

In Studien setzt SCHUNK bewusst auf eine praxis-, sprich industrienahe Gestaltung derartiger Handhabungsprozesse, indem die Zahl der Bauteilvariationen begrenzt und damit der Klassifikations- und Trainingsprozess verschlankt wird. Schon nach wenigen Lernzyklen verzeichnen die lernenden Handhabungssysteme einen rasanten Anstieg der Zugriffssicherheit.

Zusätzlich arbeitet die Forschung an intelligenten Lösungen, die in der Lage sind, unterschiedliche Geometrien und Anordnungen zu klassifizieren und die zugrundeliegenden Algorithmen weiter zu verfeinern.

Abbildung 2 zeigt eines der smarten Greifsysteme von SCHUNK. Die smarten Greifsysteme vermessen, identifizieren und überwachen in Echtzeit gegriffenen Bauteile und den laufenden Produktionsprozess. Auf Basis der Informationen vom Greifer passt der Kraftspannblock automatisch seine Backenposition und die Spannkräfte an.

Fazit

Die vorgestellten Technologien leisten einen wichtigen Beitrag, um die Nachhaltigkeit der industriellen Produktion unter ethischen, ergonomischen, ökologischen und ökonomischen Aspekten zu fördern und die Attraktivität entwickelter Industrienationen als Produktionsstandorte zu stärken. Sie bieten die Chance, den Menschen von eintönigen, gefährlichen sowie körperlich oder psychisch belastenden Aufgaben zu entbinden. Sie sind eine wesentliche Option für Produktionsunternehmen, die Herausforderungen des demographischen Wandels zu meistern, ohne die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Selbstverständlich werden sich dabei auch die Qualifikationsprofile der Mitarbeiter verändern. Umso wichtiger wird es sein, frühzeitig entsprechende Kompetenzen aufzubauen.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2019 Mai/Juni