Beitrag von Prof. Dr. Stefan Minner, Lehrstuhl für Logistik und Supply Chain Management, Technische Universität München
Supply Chain Management hat sich in den letzten Jahren zu einem strategischen Erfolgsfaktor entwickelt. Durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung stehen unternehmensübergreifende Kooperationen zwischen Lieferanten, produzierenden Unternehmen und involvierten Logistikdienstleistern vor grundlegenden Veränderungen in den Bereichen Planung und Steuerung. In diesem Beitrag erfahren Sie näheres über die Konzepte und Anwendung von Analytics in der Lieferkette sowie über beispielhafte Anwendungsbereiche.
Die massive Menge von aus verschiedenen Quellen zur Verfügung stehenden Daten sollte effizient und effektiv für Analyse (descriptive Analytics), Prognose (predictive Analytics) und Optimierung (prescriptive Analytics) eingesetzt werden. Dabei werden Konzepte und Methoden aus Informations- und Kommunikationstechnologie, Statistik und Datenanalyse sowie Optimierung mittels Operations Research-Verfahren noch stärker verknüpft (z.B. Evans, 2016).
Lee und Billington (1993) haben bereits vor langer Zeit die Schwachstellen und Herausforderungen für Lieferketten systematisiert. Viele der dort genannten Schwächen sind trotz innovativer Supply-Chain Lösungen immer noch zu beobachten.
Große Planung- und Entscheidungsprobleme mit hohen Anforderungen an Daten, deren Verfügbarkeit und Genauigkeit sowie in der Lieferkette verteilten Entscheidungen unter Unsicherheit und Dynamik definieren unter anderem die Komplexität des Managements in Lieferketten.
Analytics-Konzepte, ebenso wie neue Technologien und Organisationskonzepte, bieten allerdings nun andere und mächtigere Möglichkeiten, dafür Lösungen bereitzustellen.
Die Digitalisierung der Lieferkette wird auch die Art und Weise der Planung von periodischen Rechnungen und Abstimmungen hin zur Echtzeitsteuerung verändern. Verschiedene Kontraktformen insbesondere im Transport werden durch neue, mittels Plattformen organisierten Spotmärkten ergänzt oder gänzlich abgelöst werden.
Dies bedeutet neue Herausforderungen bei der Datenerfassung, dem Datenaustausch im Liefernetzwerk, und für Mechanismen zur kooperativen Planung in Geschäftsbeziehungen. Die Analyticsbereiche „Decriptive“, „Predictive“ und „Prescriptive“ sollen nachfolgend mit Anwendungen im Management von Lieferketten kurz vorgestellt werden (siehe auch: Wang et al. (2016)). Abbildung 1 gibt hierzu einen Überblick.
Descriptive Analytics beschreibt und analysiert die aktuelle und historische Situation in der Lieferkette. Hier geht es um die Frage „Was ist passiert?“, z.B. durch Darstellung und Analyse von Kennzahlen. Innovative Cockpit-Lösungen und die Visualisierung von Bestands- und Flussdaten bieten hier Unterstützung.
Predictive Analytics prognostiziert die zukünftige Entwicklung z.B. von Nachfragen, Preisen bzw. relevanter Ereignisse, d.h. „Was wird passieren?“. Neben klassischen Prognoseverfahren, wie Mittelwertbildung und gleitenden Durchschnitten oder fortgeschrittenen Zeitreihenmodellen, bieten hier Kausalmodelle für die Prognose und Koordination von Absatzmengen neue Möglichkeiten: Musterkennung in der Bestellpolitik von Kunden, Qualität von Kundenprognosen sowie die Analyse von systematischen Abweichungen.
Prescriptive Analytics dient der Gestaltung und somit der Entscheidungsunterstützung sowohl für strategisch-taktische (z.B. Design des Liefernetzwerks mit Standorten und Kapazitäten) als auch für operative Entscheidungen (z.B. Bestands- und Transportplanung). Im Mittelpunkt steht die Auswahl und Nutzung von Optimierungsverfahren, die dem Maß verfügbarer bzw. mit vertretbarem Aufwand beschaffbarer Information gerecht werden.
Nachfolgend sollen beispielhaft Anwendungsbereiche für Analyticsansätze kurz vorgestellt werden:
Trotz erreichter Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren in der Lieferkette werden die Aufgaben der Prognose und Optimierung nach wie vor überwiegend sequentiell durchgeführt, d.h. die Bereitstellung und Prognose für die Planung notwendiger Daten ist der Optimierung vorgelagert. Damit wird vorrangig der Aspekt der Dynamik, wie z.B. Nachfrage- oder Preissaisonalität berücksichtigt, nicht jedoch die Unsicherheit.
Dazu werden üblicherweise Verteilungen von Fehlern aus den Prognosemodellen geschätzt und dann in einfachen Faustregeln oder bestenfalls stochastischen Planungsmodellen, z.B. zur Festlegung von Sicherheitsbeständen oder Vorlaufzeiten, benutzt.
Eine integrierte Vorgehensweise, d.h. Festlegung von Sicherheitsbeständen und Zeiten durch eine Optimierung direkt auf Basis der Daten erlaubt hier, Prognosen nicht z.B. durch alternative Maße wie kleinste Quadrate, sondern mit den problemspezifischen Kosten (für Bestände oder Servicegradverletzungen) zu ermitteln.
Abbildung 2 veranschaulicht den Unterschied für ein Ersatzteilplanungsproblem. Aufgrund historischer Bedarfe ergibt sich eine in grün dargestellte Kausalprognose, während die rote Kurve den Bedarf zur Sicherstellung eines Servicegrads darstellt. Zu Details, siehe z.B. Beutel und Minner, 2012).
Literatur
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 Mai/Juni