Künstliche Intelligenz trifft Musik

LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation Nürnberg

Beitrag von Dr. Sebastian Trump Hochschule für Musik, Nürnberg

Seit 2018 betreiben die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, die Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und die Hochschule für Musik Nürnberg gemeinsam das Kooperationsprojekt LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation. Als interdisziplinärer Raum und Projektplattform arbeitet LEONARDO an der Schnittstelle von Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst.

Im interdisziplinären Forschungsprojekt „Spirio Sessions" beschäftigen sich Wissenschaftler*innen und Musiker*innen der Technischen Hochschule Nürnberg und der Hochschule für Musik Nürnberg mit der Frage, wie Künstliche Intelligenz (KI) mit Menschen in kreativen Schöpfungsprozessen zusammenarbeiten kann. Dabei kooperieren die Fachbereiche der Interdisziplinären Musikforschung und des Maschinellen Lernens, um sich gemeinsam der Entwicklung einer „Künstlichen Kreativität“ anzunähern. Die Forschungsgruppe besteht neben den drei Projektleitern Prof. Dr. Martin Ullrich, Dr. Sebastian Trump (beide HfM Nürnberg) und Prof. Dr.-Ing. Korbinian Riedhammer (TH Nürnberg) aus Bachelor- und Masterstudierenden der Studiengänge Informatik, Medieninformatik, Jazz-Saxophon und Musikpädagogik.

Auf der theoretisch-epistemischen Ebene bezieht sich das Projekt auf posthumanistische Ansätze, die diese MenschMaschine-Ko-Kreativität als eine übergreifende, mehr-als-menschliche Zusammenarbeit beschreiben. Es geht also nicht darum, menschliches Klavierspiel zu simulieren – auch wenn bestimmte Bausteine und Prozesse des maschinellen Lernens in diese Richtung zu weisen scheinen –, sondern darum, eine relationale Ästhetik zu etablieren, die genuin maschinelle Artefakte fördert und gleichzeitig die menschliche Vorauswahl minimiert. Im Mittelpunkt steht die Interaktion von menschlichen Musizierenden mit innovativen Musikinstrumenten und Künstlichen Intelligenzen. Das Projekt zielt darauf ab, freie Improvisation zwischen Menschen und Maschinen in verschiedenen technologischen Ausprägungen durch die Entwicklung von Prototypen, die Kombinationen von Softwaremodulen und durch künstlerische Evaluation zu erforschen. Um dem computergenerierten Material in diesem Mensch-Maschine-Kollaborationsszenario eine physische Präsenz zu verleihen, die mit der anderer traditioneller Musikinstrumente vergleichbar ist, agiert die KI hier in der verkörperten Form eines digitalanalogen Hybridflügels, anstatt Lautsprecher für die eigentliche klangliche Umsetzung zu verwenden. Von dem Instrument erwarten die Wissenschaftler*innen nicht nur datenbasierte Einblicke in die Interpretation von Musik, sondern erforschen auch die Möglichkeiten der Schnittstelle mit einer Künstlichen Intelligenz.

Einige der bisher untersuchten KI-Techniken wurden bereits in anderen Projekten zur computergestützten Musikgenerierung eingesetzt, jedoch oft nicht in interaktiven Szenarien. Daher ist die künstlerische Forschung, die von den teilnehmenden Musikstudierenden durchgeführt wird, eine entscheidende methodische Komponente für die Bewertung der modifizierten Software-Module. Das Improvisations-Setting rund um den Hybridflügel bildet einen konzeptionellen Rahmen, innerhalb dessen ein breites Spektrum technischer Ansätze – regelbasierte KI, statistische Modellierung und auch neuronale Netze – prototypisch erforscht werden. Dabei zeigt sich, dass Elemente wie Unvorhersehbarkeit, (scheinbare) Ineffizienz oder technische Fehler, die aus einer rein ingenieurwissenschaftlichen Perspektive eher zu vermeiden wären, für die Entwicklung künstlicher Kreativität wichtige Bausteine sein können.

Später können so vielleicht bald Fragen wie diese beantwortet werden: Kann der Flügel in einem Jazz-Quartett improvisieren? Gar seine persönliche Note hinzufügen? Und welche Erkenntnisse erlangen wir dadurch über den vermeintlich exklusiv menschlichen Kreativprozess? Das Projektteam erhofft sich dabei von den Ergebnissen auch Erkenntnisse, die sich auf andere Gebiete und Anwendungsszenarien übertragen lassen – wie etwa der medizinischen Diagnostik.

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 Januar/Februar