Technik ästhetisch inszeniert

Die Erdfunkstelle Raisting – Anlage im Einklang mit Natur und Landschaft

Beitrag von Dr. Sabine Vetter, Förderverein Industriedenkmal Radom Raisting e.V

Die Erdfunkstelle Raisting gilt als eine der schönsten auf der Welt – so zumindest die Meinung einiger Ingenieure und Techniker, die viele vergleichbare Anlagen kennen. Warum sollte man aber bei einem solchen Komplex von ‚Schönheit‘ reden, wenn es doch maßgeblich um die Funktionalität der zu installierenden Kommunikationstechnik geht? Architektur, egal in welchem Bereich, ist jedoch immer von und für Menschen – und Ausdruck des Zeitgeists.

Als Anfang der 60er-Jahre die Standortwahl für die Erdfunkstelle auf die sogenannte „Raistinger Wanne“ fiel, bekam der Hausarchitekt von Siemens, Hans Maurer (1926 – 2001), auch einmal genannt der „Mies van der Rohe der Siemens AG“ * , die Planung der Anlage übertragen. Als bedeutender Architekt der Moderne übte Mies van der Rohe großen Einfluss auf seine Zeitgenossen aus. Schnörkellos sollten Gestaltung eines Objekts dessen technische Funktion hervorheben, nicht verstecken und durch klare Formen mit ihrer Umgebung harmonieren.

In der Konstruktion der Erdfunkstelle Raisting lässt sich ein ästhetischer ‚Dreiklang‘ erkennen, der kein zufälliges Ergebnis ist.

Da sind die riesigen Satellitenschüsseln auf mächtigen Sockeln, die mit ihrer Form die Öffnung der Antennen gen Himmel Richtung Boden zu spiegeln scheinen. Dann am Rande, um nicht groß aufzufallen, das Zentralgebäude. Ein Flachbau aus Glas und Beton, recht unscheinbar, obwohl doch hier alle Kommunikation mit den Satelliten landet und bearbeitet wird. Die Antennen sollen für sich bleiben. Schließlich neben all den Giganten die kleine Kapelle St. Johannes der Täufer, erbaut im 15. Jahrhundert. Sie ist ein historisch wichtiges Element im Pfaffenwinkel – und auch hier, im Kern des Technikwinkels, hat sie ihren Platz und entfaltet ihre Bedeutung.

Eingebettet in die Ebene, umgeben von landwirtschaftlich genutzten Wiesen und Äckern, vor der Alpenkette, neben der Kapelle, soll Technik harmonische Ergänzung sein, nicht Fremdkörper. Keine Zäune durchkreuzen das Zusammenspiel von Technik, Landschaft und Natur. Der Weite wird nicht durch Eingrenzungen widersprochen. Technik ist Teil des Ganzen. Bis heute wird die Erdfunkstelle Raisting ständig erweitert, dennoch behält sie diesen Charakter. 

Der damalige Wunsch mancher Bürger, die weiße Hülle des Radom über der allerersten Antenne grün zu streichen, damit sie weniger auffalle, hatte keine Chance.

* immobilienreport münchen, Mai 2016

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2022 Januar/Februar