Innovationen im 21. Jahrhundert

Eine Mehrebenenbetrachtung unter Berücksichtigung globaler Megatrends

Beitrag von Univ.-Prof. Dr. rer. pol. habil. Marcus Wagner, Universität Augsburg

Wie das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) kürzlich berichtete, sind in 2022 weniger Patentanmeldungen aus Deutschland erfolgt als im Jahr zuvor“ ein Trend, der sich seit Beginn der Coronapandemie verfestigt. Dieser Trend weist darauf hin, dass sich die Bedingungen für Innovationen in Deutschland gerade strukturell ändern. Einerseits belegt er den teilweisen Rückzug bislang dominierender Industrien wie der Automobilbranche und des Maschinenbaus und damit von deren bisherigen Patentierungsaktivitäten. Andererseits führen die andauernden globalen und geopolitischen Veränderungen zu neuen Rahmenbedingungen für Innovationsaktivitäten.

Standortbestimmung

So legen Berechnungen nahe, dass zur Erreichung des im Pariser Klimaabkommen formulierten 1,5 °-Ziels und der damit verbundenen Treibhausgasneutralität eine etwa 10-fache Beschleunigung der durchschnittlichen jährlichen Verbesserung der Kohlendioxideffizienz von Technologien erforderlich ist. Nicht zufällig entspricht diese Größenordnung in etwa der Idee der Google-Moonshots, die ebenfalls eine zehnfache Verbesserung technologischer Leistungsdimensionen von Innovationen fordern (kurz: 10x). Auch das Thema Energieversorgung wird weiterhin davon beherrscht, wie ökologische, ökonomische und soziale Aspekte vereinbar gemacht werden können.

Insgesamt ergibt sich eine historisch neue Transformationsherausforderung, die umfassendere Koordinationsbedarfe nahelegt. Aktuelle Initiativen der Bundesregierung in Bezug auf die Energie-, Klima- und Wirtschaftspolitik zeigen dies beispielhaft auf. Auch die Gründungsund Innovationsforschung fokussiert zunehmend auf diese Herausforderungen. Sie kann dabei auf einen ihrer Pioniere, den Nobelpreisträger Kenneth Arrow zurückgreifen, der zwischen der Richtung und der Geschwindigkeit des technologischen Wandel, also der Innovationen, klar unterschieden hat.

Die genannten Trends bilden diese Unterscheidung ab. Auf der einen Seite zeigt sich die Notwendigkeit, Innovationen zu beschleunigen, aber auf der anderen Seite, wie wichtig es ist, dabei auch auf die richtigen Ziele abzustellen. Gerade für die angesprochenen Transformationen ist hier eine kluge Koordination der verschiedenen Ebenen für gelungene Innovationen wichtig, zukünftig insbesondere im Hinblick auf die Richtung von Innovationsaktivitäten. Dies soll folgend genauer im Hinblick auf verschiedene Ebenen, die für Innovationen von Bedeutung sind, erläutert werden.

Zusammenspiel und Wechselwirkung von Innovationsebenen

Zunächst sind auf der Makroebene überstaatliche oder staatliche Zielsetzungen bedeutsam, damit wichtige Systeminnovationen wie etwa die Energiewende gelingen. Zwar gibt idealerweise der Preismechanismus klare Signale um geeignete technologische Entwicklungen auslösen. Allerdings können beispielsweise externe Effekte diese verzerren, was etwa im Hinblick auf Energieeffizienz und Energietechnologien oft der Fall ist. Regulierung oder Gesetzgebungen wie etwa die neue Taxonomie der Europäischen Union geben z. B. Unternehmen wichtige Zusatzinformationen, denn sie aggregieren die Bedarfe unterschiedlicher Anspruchsgruppen und unterstützen so im Hinblick auf innovationsbezogene Entscheidungsprozesse. Die zugrundeliegenden Mechanismen hat dabei insbesondere der bekannte Strategieforscher Michael Porter genauer herausgearbeitet, und dabei aufgezeigt, dass Regulierung die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen erhöhen kann.

Auf der Mesoebene werden zunehmend Innovations- bzw. Gründungsökosysteme bedeutsam. Diese können unterschiedlich ausgeprägt sein, so zum Beispiel als regionale oder technologische Innovationssysteme. Die Universität Stanford, an der Arrow wirkte, ist hier sicher das Paradebeispiel für erfolgreiche Clusterung. Seit dem Ende des 2. Weltkriegs war dort der Stanford Industrial Park Ausgangspunkt für eine Wirtschaftsstruktur, aus der die heute weltberühmte Netzwerkund Entrepreneurship-Kultur hervorging, die insbesondere radikale Innovationen von jungen Unternehmen oder Startups hervorbringt. Wie die aktuelle Pleite der Silicon Valley Bank nahelegt, sind allerdings auch auf dieser Ebene stärkere Koordinations- und Integrationsmechanismen erforderlich, damit Clusterpotenziale ihre Wirksamkeit voll entfalten können. Ebenso spielen Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine wesentliche Rolle für funktionierende Ökosysteme auf der Mesoebene, was sich im Rahmen eines Forschungsprojekts auch im nationalen und bayerischen Kontext detaillierter aufzeigen ließ [1].

Auf der Mikroebene findet sich mit den Unternehmen eine Gruppe zentraler Innovationsakteure. In der Innovationsforschung gilt als Faktum, dass für größere und am Markt etablierte Unternehmen aufgrund historischer Entwicklungsprozesse Anreiz- und Organisationsprobleme bei der Entwicklung neuer Technologien bestehen, was etwa durch grundlegende Arbeiten von Henderson und Christensen zu architekturellen und disruptiven Innovationen belegt wird. Beispielhaft seien hier die Schwierigkeiten etablierter Automobilhersteller bei der Entwicklung von alternativen Antrieben genannt, aber auch das Phänomen, dass nicht etablierte Energieversorger oder Anlagenbauer mit umfangreichen Forschungsbudgets den Markt für Solar- und Windenergie entwickelt haben, sondern junge Unternehmen, die von Anbeginn ihrer Gründung auf diese Technologien fokussiert waren. Dennoch haben etablierte Unternehmen eine wichtige Rolle in arbeitsteiligen Innovationsprozessen, zum Beispiel, weil sie über Beteiligungen und Aufkäufe von Startups radikalere Technologien schneller und breiter in unterschiedliche Anwendungsmärkte tragen können. Auch haben sie Vorteile bei der Weiterentwicklung schon stärker etablierter Technologien. Allerdings erfordert all dies die Existenz von Startups oder jungen Unternehmen, die komplementär innovieren und genau dort Vorteile haben, wo sie etablierten Unternehmen fehlen, denn nur so können in vielen Fällen radikal neue Technologien ihren Weg in die Märkte antreten.

Fazit und Ausblick

Aus Sicht der Innovationsforschung ist ein koordiniertes Handeln aller Akteure eine Vorbedingung dafür, um ein über alle Ebenen leistungsfähiges Innovationssystem für Systeminnovationen zu schaffen. Letztere sind eine zentrale Basis für die aktuell und global notwendigen Transformationen. Für diese werden insbesondere Nachhaltigkeitsinnovationen immer wichtiger. Dies sind Innovationen, die neben technischen und ökonomischen Effekten auch positive Umwelt- und Sozialeffekte intendieren. Nachhaltigkeitsinnovationsprojekte sind besonders „kooperationsprädestiniert“, weil sie per Definition auf einen höheren Innovationsgrad abzielen und damit zwangsläufig mehr Akteure involvieren müssen. Daher gilt es zukünftig vermehrt, Innovationen und korrespondierendes Unternehmertum in dieser Hinsicht gut zu integrieren, wie wir dies vor einiger Zeit schon konzeptionell vertiefter ausgearbeitet haben [2]. Dabei ist, wie die folgende, die Überlegungen von Porter aufgreifende Abbildung verdeutlicht, Gesetzgebung bzw. Regulierung oft einer von mehreren Innovationstreibern (neben etwa dem „Technologischen Schub“, der sich aus neuen Technologiepotenzialen ableitet). Am Beispiel der Abbildung ist auch erkennbar, dass Rahmenbedingungen wie Regulierungen sehr komplexe Wirkungen entfalten können. So beeinflusst die Gesetzgebung auch stark das Nachfrageverhalten (Marktsog), welches für die Verbreitung von Innovationen zentral ist.

Im Sinne von Arrow ist zu erwarten, dass in der Zukunft alle Innovationaktivitäten stärkere Elemente von Nachhaltigkeitsinnovationen enthalten. Dies betrifft unter anderem die weiter zunehmende Anwendung spezieller Tools wie etwa Ökobilanzierung, Technologiebewertung oder Stakeholderintegration auf der Projekt- oder Portfolioebene. Gleichzeitig gibt es neue Kooperationsbedarfe und als Resultat offenere Innovationsprozesse, an denen zunehmend auch nachhaltigkeitsorientierte Startups beteiligt sind. Parallel dazu eröffnen die gegenwärtigen technologischen Durchbrüche bei der Digitalisierung im Sinne des Pioniers der Innovationsforschung, Joseph Schumpeter, eine mögliche Phase der „schöpferischen Zerstörung“ die mit gesellschaftlichen Bedürfnissen koordiniert werden muss. Europa beschreitet hier einen eigenen, „Dritten Weg“, der sicher nicht ohne Hindernisse ist, aber für ein zukünftig die verschiedenen Ebenen klug integrierendes Management des „Vektors“ Innovation dennoch eine gute Basis scheint.

Quellen: 

[1] Wagner, M., Schaltegger, S., Hansen, E.G. & Fichter, K. (2021) University-linked programmes for sustainable entrepreneurship and regional development: How and with what impact? Small Business Economics, 56, 1141– 1158. DOI:10.1007/s11187-019-00280-4

[2] Schaltegger, S. & Wagner, M. (2011) Sustainable Entrepreneurship and Sustainability Innovation: Categories and Interactions, Business Strategy and the Environment, 20(4), 222–237. DOI:10.1002/bse.682

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 03/2023 MAI/JUN