Interview mit Prof. Dr. Klaus Sailer
Vor 20 Jahren wurde das Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE) der Hochschule München gegründet. Die TiB sprach mit Prof. Dr. Klaus Sailer über die Möglichkeiten, unternehmerisches Handeln zu vermitteln.
Technik in Bayern: Wie hat sich die Gründerunterstützung der Hochschulen in den letzten beiden Dekaden verändert?
Prof. Klaus Sailer: Das Gründertum, aber vor allen Dingen die Gründerunterstützung hat sich in den letzten beiden Dekaden stark geändert. Vor 20 Jahren wurde an deutschen Hochschulen Gründertum gelehrt, also in erster Linie die acht Kapitel über „How to write a businessplan“. Dann kam, in Anlehnung an das amerikanische Modell, die große Veränderung. Der Schwerpunkt wurde nicht mehr nur auf die Gründung gelegt, sondern auf die Ausbildung von Persönlichkeiten. Es ging darum, „Wie kann ich unternehmerisch denken und handeln?“, kombiniert mit neuen Lehrmethoden. Es sollten nicht mehr Wissensinhalte, sondern Kompetenzen vermittelt werden. Die Studierenden sollten in Projekten arbeiten, Erfahrungen sammeln und Probleme erkennen.
Hinzu kommt, dass vor 20 Jahren die Voraussetzungen noch ganz andere waren. Damals hatten junge Menschen noch Visionen, sie konnten sich die Zukunft sehr positiv ausmalen und auch einfach nur reich werden war opportun. Heute gibt es einen riesigen Berg an Herausforderungen. Ich sehe die Aufgabe von Entrepreneurship auch darin, den jungen Menschen Tools an die Hand zu geben, um neue Visionen zu entwickeln, und um gesellschaftliche Anforderungen zu erfüllen. Geändert hat sich auch, dass es nicht mehr nur darum geht, gute Produkte zu entwickeln, ein Unternehmen zu gründen und sich selbst zu verwirklichen, sondern darum, dem Anspruch, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen, gerecht zu werden.
TiB: Sind die jungen Menschen denn trotz der misslichen Lage optimistisch?
Sailer: Ja sehr. Ich sehe das zum Beispiel an den Teilnehmern unserer internationalen Summer School, die eine unglaubliche positive Energie ausstrahlen, etwas ganzheitlich für die Gesellschaft zu verbessern.
TiB: Kann man in der Selbstständigkeit mehr verändern als in der Industrie?
Sailer: Ich würde das Thema weiter fassen, denn es hängt von der Persönlichkeit und von den persönlichen Zielen des Menschen ab, wie er sich bestmöglich einbringen kann. Wir sprechen deshalb eher von Entrepreneurship als von Gründung, denn auch die Industrie profitiert sehr von unternehmerisch denkenden Absolventen, die sich die Frage stellen „Wie kann ich selbst einen Mehrwert schaffen?“
TiB: Wie viele Ausgründungen gibt es an Hochschulen?
Sailer: Ganz generell kann man sagen, dass auch an den besten Hochschulen Deutschlands maximal 2 - 3 % der Absolventen ausgründen. Die allermeisten gehen mit dem angesprochenen unternehmerischen Denken in die Industrie.
TiB: Entstehen innovative Produkte und Dienstleistungen hauptsächlich in Startups und eher weniger in den etablierten Firmen?
Sailer: Man sieht gerade im sehr erfolgreichen deutschen Mittelstand, dass sich etablierte Firmen sehr schwer tun mit „disruptiven“ Entwicklungen. Durch die Firmengeschichte ergibt sich eine Kundenerwartung, sie haben eine Pfadabhängigkeit und können nicht von heute auf morgen alles ändern. In der Verbesserung von Innovationen sind diese Unternehmen sehr gut, denn sie haben die Qualität und die Ressourcen. Aber wenn es um disruptive Innovationen geht, brauchen wir ganz neue Perspektiven, die ein Unternehmen so gar nicht haben kann. Dies können wir ganz gut im Automobilbereich beobachten, hier haben Sie die junge, aufstrebende Firma Tesla und einige Startups, die die Etablierten vor sich hertreiben. Man muss verstehen, dass ein Startup kein großes Unternehmen in „klein“ ist, sondern eine Einheit mit einer ganz anderen Kultur, einer ganz anderen Governance und einer ganz anderen Vorgehensweise bei Innovationsprozessen.
TiB: Welches Schicksal droht einem erfolglosen Gründer?
Sailer: Im Vergleich mit den USA treffen hier natürlich die unterschiedlichen Kulturen aufeinander. „Yes, we fail!“ ist in Amerika etwas Tolles, bei uns ist Scheitern sehr negativ besetzt. Ich glaube aber, das ist eine Frage des Wordings und des Umgangs und das ändert sich auch bei uns. Die psychologische Komponente des Scheiterns, persönlich und auch gesellschaftlich, ist nicht zu unterschätzen, hier braucht der Einzelne ein hohes Maß an Resilienz, um wieder positiv nach vorne zu blicken. Dazu sollten wir die Menschen ermutigen. Wenn ich aus einem Misserfolg eine wichtige Erfahrung und einen Erkenntnisgewinn mache, dann kann ich das auch positiv vermitteln. Das Wichtigste ist, dass man lernt, Risiko einzuschätzen und damit umzugehen. Dann natürlich soll durch eine Gründung nicht gleich die eigene Existenz aufs Spiel gesetzt werden. Deutschland ist hier besser geworden, solche Risiken abzufedern, wir haben mehr Business Angels, wir haben mehr Venture Capital und mehr Gründerzentren, die die Gründer coachen und auch Geldmittel zur Verfügung stellen. Ich denke, wenn man es als Gründer:in geschickt anstellt, dann kann Gründung eine sehr positive Erfahrung sein – auch wenn es manchmal nicht so ausgeht, wie gedacht.
TiB: Vermitteln Sie im Coaching auch eine bestimmte Fehlerkultur?
Sailer: Im Entrepreneurship gehören Fehler zum Prozess, weil am Anfang noch nicht klar ist, welches Ziel das Richtige ist. Dies stellt sich oft erst auf dem Weg heraus. Wir bringen den Leuten bei, dass Wege auch ins Nichts führen können und sie wieder von vorne beginnen müssen. Hier würde ich nicht von Fehlern sprechen, ich nenne das „schnell Lernen“.
TiB: Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen, damit eine Neugründung erfolgreich wird?
Sailer: Eine gute Idee ist natürlich wichtig, aber viel wichtiger für den Erfolg des Unternehmens ist die Persönlichkeit des oder der Gründer:in. Diese müssen Resilienz entwickeln können, wenn das Projekt stockt, und gleichzeitig müssen sie Eigenmotivation und Leidenschaft entfalten können und viel positive Energie haben. Der größte Unterschied, ob ein Startup erfolgreich wird oder nicht, ist, wie schnell es Erfahrungen sammeln und für die Anpassung seines Projektes nutzen kann, also nicht auf dem eingeschlagenen Weg beharrt. Und dazu kommt die Risikoeinschätzung und -minimierung und der Umgang mit Unsicherheiten. Ein guter Gründer schafft den Ausgleich zwischen Egozentrik und Empathie und dieses „Bauchgefühl“ wollen wir unseren Studierenden praxisnah in verschiedenen Projekten vermitteln.
TiB: Gibt es für die Vermittlung dieser Eigenschaften spezielle Coaches?
Sailer: Natürlich muss nicht jeder Entrepreneur die gleichen Eigenschaften haben, aber es ist schon ein bestimmtes Persönlichkeitsbild, viele sind extrovertierter, können Menschen besser überzeugen und Ressourcen beschaffen. Unsere Coaches haben sehr unterschiedliche Schwerpunkte – angefangen vom technischen Knowhow einer Idee, über die Aufstellung von Businessplänen und dem Aufbau von Wertschöpfungsketten bis hin zu psychologischer Begleitung z. B. beim Team-Manifest über die zukünftige Zusammenarbeit. Was ich auch sehr wichtig finde ist, wie es Gründer:innen schaffen, durch einen Perspektivwechsel die Zukunft zu antizipieren. Sehr spannend am Entrepreneurship ist, dass aus der Zukunft gestaltet wird und dass nicht die Vergangenheit weiterentwickelt wird.
TiB: Es gibt inzwischen Fernsehformate für Neugründer. Ist das hilfreich und wie sehen Sie die Zukunftsaussichten für Gründer?
Sailer: Ich finde, Sendungen wie „Die Höhle der Löwen“ sind eine sehr interessante Sache, denn hier wird das Thema „Gründung“ in die Gesellschaft getragen und die Menschen reden darüber. Für die Beantwortung der großen Frage „Wie wollen wir in 10 Jahren leben?“ helfen solche Sendungen nur zu einem ganz kleinen Teil, denn die in den Sendungen vorgestellten „Erfindungen“ müssen schnell ankommen, aber sie regen die Leute zum Nachdenken an und geben Impulse.
TiB: Wie soll man mit den umfassenden Herausforderungen unserer Zeit umgehen? Die vielleicht am häufigsten gehörte und gelesene Antwort auf diese Frage ist vielleicht „mit technischen Innovationen“. Teilen Sie diese Ansicht?
Sailer: Technik ist auch in Zukunft sehr wichtig und es macht den Gründern Spaß, neue technische Erfindungen zu machen. Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht eine Technikdomäne nach der anderen verlieren, in der wir früher Vorreiter waren. Wir ruhen uns manchmal auf unserem Erfolg aus, und machen zwar bessere Produkte, aber keine neuen Innovationen. Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, müssen wir jedoch lernen, für die technischen Innovationen ganzheitliche Businessmodelle zu entwickeln und diese systemisch in unsere Gesellschaft integrieren. Dazu gehört ein ganzheitliches Verständnis. Bisher denken wir immer noch viel zu sehr in Produkten anstatt in ganzheitlichen, systemischen Lösungen und Businessmodellen und unsere Firmen sind wirklich sehr konservativ und langsam.
TiB: Was ist Ihrer Meinung nach für die Zukunft und Innovationskraft des Standorts Bayern wichtig?
Sailer: Wir müssen vor allen Dingen gemeinsam schnell lernen und da ist Entrepreneurship im Sinne von disruptiven, systemischen Innovationen mit neuen Businessmodellen eine ganz gute Antwort. Ich glaube auch sehr an Kooperation, denn wir brauchen sowohl die bestehenden Unternehmen, um auf sehr hohem Niveau zu starten und an neuartige Businessmodelle, bei denen etablierte Unternehmen und Gründer:innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Und dann müssen wir lernen systemisch zu Denken. Wir müssen verstehen, wie Produkte die Gesellschaft beeinflussen und diese sehr guten technischen Produkte an die Gesellschaft anpassen.
TiB: Herr Prof. Sailer, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Die Fragen stellten Silvia Stettmayer und Fritz Münzel
Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2023 MAI/JUN