Virtuelles Prototyping

Entwurf von integrierten, multifunktionalen Mikrosystemen

Beitrag von Dr. Gabriele Schrag, LS für Technische Elektrophysik, TUM

Mikrosysteme sind in vielen Bereichen des täglichen Lebens allgegenwärtig. Mit zunehmender Digitalisierung („Internet der Dinge“, „Industrie 4.0“) geht der Trend zu immer stärker integrierten, multifunktionalen Systemen. Solche Systeme lassen sich nur mit Hilfe von virtuellem Prototyping zeit- und kosteneffizient entwerfen. Mehr über die Funktionsweise und die Vorteile von virtuellem Prototyping.

Entwurf von Mikrosystemen

Die Funktionalität von Mikrosystemen, bestehend aus Sensoren, Aktoren und elektronischer Beschaltung, ist aufgrund ihrer Wandlereigenschaften inhärent durch die Kopplung verschiedener Energieformen bestimmt. Im Gegensatz zu elektronischen Bauelementen weisen sie darüber hinaus eine größere Komplexität in ihren Bauformen und Herstellungstechnologien auf, und für die Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit muss immer das Gesamtsystem mit elektronischer Beschaltung zur Ansteuerung, Regelung und Signalauswertung sowie der Einfluss des Gehäuses betrachtet werden.

Einflüsse einzelner Parameter auf die Performanz des Gesamtsystems lassen sich daher nicht einfach abschätzen, und es wird immer schwieriger, integrierte Mikrobauelemente und -systeme hinsichtlich der vom Anwender geforderten Kriterien zu optimieren. Hier setzt die physikalische Modellierung als Basis für den optimalen Mikrosystementwurf an.

Physikalische Modellierung – Basis für virtuelles Prototyping

Mikrosysteme sind meist zu komplex, als dass sie vollständig auf kontinuierlicher Feldebene modelliert werden könnten. Daher benötigt man in der Regel abstrahierende Modelle, um das Gesamtsystemverhalten mit sinnvollem Aufwand schnell und effizient simulieren zu können.

Einen methodischen Rahmen hierfür liefert die verallgemeinerte Kirchhoffsche Netzwerktheorie [1], mit Hilfe derer maßgeschneiderte, physikalisch basierte Kompaktmodelle für Teilsysteme (bzw. Basiskomponenten) abgeleitet und – ähnlich wie bei der elektrischen Schaltkreissimulation – zum Gesamtsystemmodell zusammengefügt werden können (siehe Abbildung 1).
 

Mittels standardisierter Hardware-Beschreibungssprachen lassen sich solche nichtelektrischen Netzwerke direkt in gängige Schaltkreissimulatoren implementieren und eignen sich dann für die Co-Simulation von mikromechanischen Wandlerelementen mit der zu entwickelnden Auswerte- und Regelelektronik.

Bei der Modellierung gilt: Je physikalischer die Modellierung, je sorgfältiger die Kalibrierung und Validierung der Modelle, umso größer die Vorhersagekraft im Entwurfs- und Optimierungsprozess. Virtuelles Prototyping ist daher eng verzahnt mit dezidierter Parameterextraktion, Kalibrierung und Validierung der einzelnen Modelle anhand geeigneter Teststrukturen.

Evaluation neuer Konzepte

Mittels virtuellen Prototypings lässt sich das Potential neuer Bauelementkonzepte in idealer Weise ausloten. Beispielsweise detektiert das bereits am Markt etablierte und in vielen mobilen Endgeräten verbaute mikromechanische Mikrofon den einfallenden Schall mittels einer beweglichen Siliziummembran. Ausgelesen wird die Kapazitätsänderung bezüglich einer starren Rückseitenelektrode, deren Perforationen zwar den Luftabfluss begünstigen, aber durch fluidische Dämpfung maßgeblich zum Rauschen beitragen und damit die wichtigste Kenngröße solcher Mikrofone, den Signal-Rausch-Abstand, limitieren.

Ein alternatives Auslesekonzept hat sternförmig angeordnete Kammstrukturen, die an der beweglichen Membran befestigt sind und den Schall kapazitiv gegenüber darunter liegenden Statorkämmen detektieren. Erste Prototypen wurden in Kooperation mit der Firma Infineon Technologies AG, Neubiberg realisiert. Simulationen auf Basis der vorgestellten Methodik zeigen, dass dieses Konzept Potential für eine deutlich verbesserte Hörqualität besitzt [2].

Virtuelles Prototyping am Lehrstuhl für Technische Elektrophysik der TUM

Der Lehrstuhl für Technische Elektrophysik an der Technischen Universität München (TUM) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Thematik des virtuellen Prototypings in Sensorsystemen. Auf allen Ebenen des Entwurfsprozesses wird in Kooperationen mit Partnern aus der Industrie und von externen Forschungseinrichtungen erfolgreich am Entwurf, der Auslegung und Optimierung bestehender und neuartiger Bauelementkonzepte sowie der Weiterentwicklung der Entwurfsmethodik gearbeitet.

Die Projekte umfassen dabei ein breites Spektrum an Systemen wie die bereits vorgestellten Mikrophone, mikromechanische Drehraten- und Beschleunigungssensoren, aber auch RF-MEMS-Schalter und mikrofluidische Aktoren.

Literatur

[1] G. Schrag, G. Wachutka: System-Level Modeling of MEMS Using Generalized Kirchhoffian Networks – Basic Principles, in: System-Level Modeling of MEMS, Series: Advanced Micro & Nanosystems, Vol. 10, Wiley-VHC, Weinheim, 2013, pp. 19-51.
[2] J. Manz, A. Dehé, G. Schrag: A Novel Silicon „Star-Comb“ Microphone Concept for Enhanced Signal-to-Noise-Ratio: Design, Modeling and First Prototype, Proceedings of Transducers 2017, Kaohsiung, Taiwan, June 2017, pp. 67-70

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 September/Oktober