Weltweit unter den Top 20

Das Leibniz-Rechenzentrum – Dienstleister für die Wissenschaft

Interview mit Prof. Dr. Dieter Kranzlmüller, Direktor des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 

Seit seiner Gründung im Jahre 1962 ist das LRZ mit der Entwicklung der Rechner- und Informationstechnik zu einem der größten Rechenzentren Europas in Wissenschaft, Forschung und Lehre gewachsen. 2006 zog das LRZ auf den Forschungscampus Garching. Die TiB sprach mit Prof. Dr. Dieter Kranzlmüller über die Aufgaben und aktuellen Projekte des Leibniz-Rechenzentrums sowie über Simulationen und die Zukunft des LRZ.

Technik in Bayern: Prof. Kranzlmüller, wie viele Rechner mit welcher Leistung gibt es am LRZ?

Prof. Dieter Kranzlmüller: Der nationale Höchstleistungsrechner SuperMUC ist im Prinzip einer, dazu gibt es auf bayerischer Ebene Rechencluster – ich nenne es unseren Zoo aus fünf mittelgroßen Geräten – die aber ständig ersetzt werden, denn wir betreiben eine Computer-Cloud. Unser neuester Rechner macht Big Data Machine Learning. Dann haben wir natürlich noch Server für andere Anwendungen, z.B. Exchange E-Mail für 120.000 Accounts, und eine virtualisierte Infrastruktur mit 1.200 Webservern.

In Zahlen ausgedrückt, und hier würde ich Rechenkerne nehmen (= Prozessorkern. Ein Standard-PC hat zwei Rechenkerne. Anm. d. Red.), hat das LRZ insgesamt 350.000 – 400.000 Rechenkerne. Alleine der SuperMUC hat schon 230.000 Rechenkerne.

TiB: Mit welcher Software arbeiten Sie?

Kranzlmüller: Bei uns im Haus läuft der Großteil der Rechner auf LINUX, bzw. UNIX-Derivaten.

TiB: Welche Aufgaben hat das LRZ?

Kranzlmüller: Wir erfüllen mit unseren Rechneranlagen keine administrativen Aufgaben oder Controllingfunktionen, sondern wir unterstützen die höchste Leistungsstufe in der Wissenschaft mit Hilfe modernster Computertechnologie, die der Einzelne nicht selbst betreiben kann.

TiB: Welche wissenschaftlichen Gebiete stehen im Vordergrund?

Kranzlmüller: Wir unterstützen eine breite, vielleicht die breiteste Menge an Anwendungen, die es gibt. Alleine auf dem SuperMUC gibt es 200 Bereiche, die wir bearbeiten. Das fängt an bei Hochenergiephysik, über Astrophysik, Materialwissenschaften, Klimaforschung, Festkörperphysik und reicht bis in die Medizin.

TiB: Wo würden Sie das LRZ weltweit ansiedeln und welche nationalen und internationalen Aufgaben gibt es?

Kranzlmüller: Ich würde sagen, wir sind weltweit garantiert unter den Top 20. Im akademisch-wissenschaftlichen Bereich gibt es kaum vergleichbare Einrichtungen, die wie wir diese Bandbreite an Dienstleistungen abdecken. Das fängt an bei unserem Münchner Wissenschaftsnetz. Hier können Wissenschaftler über eduroam und BAYERNWLAN unsere Netzwerke nutzen. Dann stellen wir den Wissenschaftlern der beiden Münchner Universitäten PCs zur Verfügung, und jeder Wissenschaftler in Bayern hat Anspruch auf 50 GB Cloudspeicher.

Da wir auch Aufgaben z.B. für staatliche Cluster erfüllen, sind wir Bayerisches Rechenzentrum. Und mit unserem Höchstleistungsrechner SuperMUC sind wir gemeinsam mit dem Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart und dem Forschungszentrum Jülich, die beide Höchstleistungsrechner mit anderen Systemen betreiben, nationales Hochleistungsrechenzentrum. Wir haben dann auch noch den Titel Europäisches Höchstleistungsrechenzentrum (European Supercomputing Center) und stellen einen Teil des nationalen Rechenzentrums Europa zur Verfügung. Natürlich arbeiten wir heute rund um die Welt mit Kooperationspartnern.

TiB: Wer bekommt Rechenleistung am SuperMUC?

Kranzlmüller: Nationales Hochleistungsrechenzentrum bedeutet, dass jeder deutschlandweit kostenlos Rechenleistung beantragen kann. Voraussetzung ist, dass es exzellente Wissenschaft ist und dass es zu unserem System passt Meist handelt es sich um Simulationen. Die Idee dahinter ist, dass wir der deutschen Wissenschaft zu einem Wettbewerbsvorteil verhelfen, und ich glaube, dass es auch sehr wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist, denn wenn Wissenschaftler mit unserer Unterstützung den nächsten Schritt in ihrer Forschung machen, dann profitiert auch die Industrie davon.

TiB: Sie haben die rechenintensiven Simulationen angesprochen. Können Sie uns einige Beispiele nennen?

Kranzlmüller: Wir haben hier die weltgrößte Astrophysiksimulation gehabt und die weltgrößte seismologische Simulation, mit der wir sogar einen Weltrekord in Bezug auf die Leistung aufgestellt haben. Hier wurde von TUM-Wissenschaftlern auf dem SuperMUC Phase 1 berechnet, wie sich eine Erdbebenwelle in einem Gestein fortpflanzt. Durch diesen Code war SuperMUC mit seiner Spitzenleistung von 3,2 Petaflops (= 3,2 x 1015 Rechenoperationen pro Sekunde) 7 Stunden belegt.

TiB: Welches war die bisher rechnerintensivste Simulation?

Kranzlmüller: Ein Beispiel gibt es aus dem Bereich der personalisierten Medizin, hier der Brustkrebsbehandlung. Die Anzahl der Medikamente ist nicht sehr groß, die Schwierigkeit sind die verschiedenen Reihenfolgen und die Stärken zueinander. Anstatt diese Möglichkeiten jetzt bei einer Patientin durchzuprobieren, haben wir es gerechnet. Zum ersten Mal haben wir dazu beide Phasen des SuperMUC mit seinen 230.000 Rechenkernen gebraucht. Wir haben dazu eine Wartungszeit genutzt, in der alle anderen Nutzer vom System genommen wurden. Nach 38 Stunden Rechenzeit konnten die Wissenschaftler aus den 1,5 Tera-Byte Ergebnisdaten tatsächlich Effekte sehen, das spricht auch für die Qualität des Modells – ein großer Erfolg.

Natürlich funktionieren nicht alle Simulationen, aber im Großen und Ganzen sehen wir, dass durch die Rechenleistung, die wir zur Verfügung stellen, die Wissenschaftler mit ihren Simulationen Schritte vorwärts machen. Und immer, wenn eine Publikation veröffentlicht wird und darunter steht „Gerechnet am SuperMUC“, dann haben wir unsere Aufgabe erfüllt.

TiB: Wie können wir uns die Priorisierung der Projekte vorstellen?

Kranzlmüller: Wie in der Wissenschaft üblich, gibt es auch bei uns ein Peer Review-Verfahren. Das heißt, wir haben ein Gutachter-Gremium, das aus international anerkannten Experten aus den verschiedensten Gebieten besteht, das diesen Prozess steuert. Wir nehmen die Anträge hier an, bereiten sie auf und geben sie an die Gutachter weiter, die sie dann nach wissenschaftlicher Qualifikation beurteilen. Die Rechenleistung des LRZ ist gratis, aber es steckt natürlich ein Wert dahinter. Eine Bedingung für die öffentliche Finanzierung ist, dass die Ergebnisse veröffentlicht werden müssen.

TiB: Wieviel kostet denn eine Simulation?

Kranzlmüller: Wir verbrauchen in der Stunde alleine für 1000,- Euro Strom, übrigens zu 100% Ökostrom. Im täglichen Betrieb müssen wir uns deshalb auch um Spannungsunterschiede kümmern. Diesen nicht so stabilen Zustand sichern wir natürlich ab, in erster Linie die 300 mission-critical-Systeme mit einem Dieselgenerator. Für den SuperMUC haben wir eine Überbrückungszeit zwischen elf und achtzehn Sekunden.

TiB: Wie geht es mit den genehmigten Projekten dann weiter?

Kranzlmüller: Die stellen sich in eine automatisierte Warteschlange und warten, bis sie an der Reihe sind. Die Rechenleistung muss aber in dem Jahr der Genehmigung verbraucht werden.

TiB: Das LRZ ist technologisch weit vorne. Wie groß ist der Leistungssprung zum nächsten Hochleistungsrechner?

Kranzlmüller: Beim letzten Generationswechsel von Höchstleistungsrechner in Bayern II (HLRB II) zum SuperMUC hatten wir für die Geschwindigkeit einen Faktor 50. In der Endphase des HLRB II hatten wir zehnmal mehr Anträge, als wir genehmigen konnten. Der SuperMUC ist im Oktober 2012 in Betrieb gegangen und Ende November 2012 war er voll. Seitdem haben wir mehr Anträge, als wir bearbeiten können. Also der Bedarf ist da und wir befinden uns jetzt in der heißen Phase für den SuperMUC NG (Next Generation). Anfang 2019 wird dann der nächste SuperMUC installiert und 2021 dann Phase 2.

TiB: Sie haben im April dieses Jahres die Leitung übernommen. Wie sehen Sie die Zukunft des LRZ?

Kranzlmüller: Die Finanzmittel, die wir von Bayern und vom Bund bekommen haben, sind für den Ausbau bis ins Jahr 2021 gesichert. Unser Planungshorizont geht immer über fünf, sieben oder gar zehn Jahre in die Zukunft. Das macht es sehr spannend, weil wir heute noch nicht wissen, welche Technologie es dann gibt. Natürlich haben wir Zugang zu den Herstellern und dadurch Einblicke in die Entwicklung. Wahrscheinlich werden wir beim SuperMUC NG den Faktor 50 nicht erreichen, die Leistungskurve wird sich etwas abflachen. Das hat auch mit sich ändernden Bedürfnissen zu tun. Es geht in Zukunft nicht mehr nur um die Rechenleistung, sondern auch um entsprechend große Speicher.

TiB: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Fritz Münzel, Bernhard Kramer und Silvia Stettmayer

Erstmals erschienen in: TiB Ausgabe 2017 September/Oktober